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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Ernstes und Heiteres
ject, mit dem absolut nichts anzufangen war. Nichts fruchtete
bei ihm, weder Güte noch Strenge; die ganze Scala der Strafen,
welche den Vorgesetzten zu Gebote standen, war erschöpft, ohne
irgend welchen Eindruck zu machen. Der Mann war längst
reif für zehn Jahre Zuchthaus, zu denen er aber aus den oben
angeführten Gründen nicht verurtheilt werden konnte. Er stahl
nicht nur wie ein Rabe, sondern war auch einer der ungeber-
digsten und boshaftesten Menschen, die es geben konnte.

Eines Tages erhielt er einen Befehl vom ersten Officier,
aber anstatt denselben zu befolgen, kletterte er in die Bemastung
bis in die Bramsaling -- das Holzgerüst, in welchem der Fuß
der zweiten Verlängerung der Masten, der Bramstenge, befestigt
ist -- setzte sich dort hin und begann in der gemeinsten
Weise auf Commandant und ersten Officier zu schimpfen, so
daß Alle an Bord auf das Höchste empört waren. Ihn von
dort oben herunterzuholen war bei dem verzweifelten Character
des Mannes ein Wagstück, das der Commandant Niemandem
zumuthen mochte; als sich jedoch ein Unterofficier freiwillig er-
bot, den Menschen an Deck zu bringen, erhielt er die Erlaub-
niß dazu und enterte nach oben. Der Missethäter erwartete
augenscheinlich, von ihm angefaßt zu werden, retirirte auf die
äußerste Spitze der Bramsaling und machte sich bereit, sich zur
Wehre zu setzen. Uns wurde bei dieser Aussicht gar nicht wohl
zu Muthe, denn ein Kampf dort in den Lüften, wo die Füße
nur auf den schmalen Balken der Saling einen Halt fanden,
mußte aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Herabsturze des
Einen oder Beider enden. Der Unterofficier jedoch, zu unserm
Erstaunen, that, als ob er sich gar nicht um den Mann
kümmerte, kletterte an ihm vorbei bis er die Spitze der Bram-
stenge erreicht hatte und machte sich dort einige Zeit lang an
dem Tauwerk zu thun. Dann ließ er sich an den Pardunen,
den Haltetauen der Bramstengen, welche von deren Spitze bis
an Deck fahren, wieder ganz gemächlich herunter, bis er sich

Ernſtes und Heiteres
ject, mit dem abſolut nichts anzufangen war. Nichts fruchtete
bei ihm, weder Güte noch Strenge; die ganze Scala der Strafen,
welche den Vorgeſetzten zu Gebote ſtanden, war erſchöpft, ohne
irgend welchen Eindruck zu machen. Der Mann war längſt
reif für zehn Jahre Zuchthaus, zu denen er aber aus den oben
angeführten Gründen nicht verurtheilt werden konnte. Er ſtahl
nicht nur wie ein Rabe, ſondern war auch einer der ungeber-
digſten und boshafteſten Menſchen, die es geben konnte.

Eines Tages erhielt er einen Befehl vom erſten Officier,
aber anſtatt denſelben zu befolgen, kletterte er in die Bemaſtung
bis in die Bramſaling — das Holzgerüſt, in welchem der Fuß
der zweiten Verlängerung der Maſten, der Bramſtenge, befeſtigt
iſt — ſetzte ſich dort hin und begann in der gemeinſten
Weiſe auf Commandant und erſten Officier zu ſchimpfen, ſo
daß Alle an Bord auf das Höchſte empört waren. Ihn von
dort oben herunterzuholen war bei dem verzweifelten Character
des Mannes ein Wagſtück, das der Commandant Niemandem
zumuthen mochte; als ſich jedoch ein Unterofficier freiwillig er-
bot, den Menſchen an Deck zu bringen, erhielt er die Erlaub-
niß dazu und enterte nach oben. Der Miſſethäter erwartete
augenſcheinlich, von ihm angefaßt zu werden, retirirte auf die
äußerſte Spitze der Bramſaling und machte ſich bereit, ſich zur
Wehre zu ſetzen. Uns wurde bei dieſer Ausſicht gar nicht wohl
zu Muthe, denn ein Kampf dort in den Lüften, wo die Füße
nur auf den ſchmalen Balken der Saling einen Halt fanden,
mußte aller Wahrſcheinlichkeit nach mit dem Herabſturze des
Einen oder Beider enden. Der Unterofficier jedoch, zu unſerm
Erſtaunen, that, als ob er ſich gar nicht um den Mann
kümmerte, kletterte an ihm vorbei bis er die Spitze der Bram-
ſtenge erreicht hatte und machte ſich dort einige Zeit lang an
dem Tauwerk zu thun. Dann ließ er ſich an den Pardunen,
den Haltetauen der Bramſtengen, welche von deren Spitze bis
an Deck fahren, wieder ganz gemächlich herunter, bis er ſich

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[235/0247] Ernſtes und Heiteres ject, mit dem abſolut nichts anzufangen war. Nichts fruchtete bei ihm, weder Güte noch Strenge; die ganze Scala der Strafen, welche den Vorgeſetzten zu Gebote ſtanden, war erſchöpft, ohne irgend welchen Eindruck zu machen. Der Mann war längſt reif für zehn Jahre Zuchthaus, zu denen er aber aus den oben angeführten Gründen nicht verurtheilt werden konnte. Er ſtahl nicht nur wie ein Rabe, ſondern war auch einer der ungeber- digſten und boshafteſten Menſchen, die es geben konnte. Eines Tages erhielt er einen Befehl vom erſten Officier, aber anſtatt denſelben zu befolgen, kletterte er in die Bemaſtung bis in die Bramſaling — das Holzgerüſt, in welchem der Fuß der zweiten Verlängerung der Maſten, der Bramſtenge, befeſtigt iſt — ſetzte ſich dort hin und begann in der gemeinſten Weiſe auf Commandant und erſten Officier zu ſchimpfen, ſo daß Alle an Bord auf das Höchſte empört waren. Ihn von dort oben herunterzuholen war bei dem verzweifelten Character des Mannes ein Wagſtück, das der Commandant Niemandem zumuthen mochte; als ſich jedoch ein Unterofficier freiwillig er- bot, den Menſchen an Deck zu bringen, erhielt er die Erlaub- niß dazu und enterte nach oben. Der Miſſethäter erwartete augenſcheinlich, von ihm angefaßt zu werden, retirirte auf die äußerſte Spitze der Bramſaling und machte ſich bereit, ſich zur Wehre zu ſetzen. Uns wurde bei dieſer Ausſicht gar nicht wohl zu Muthe, denn ein Kampf dort in den Lüften, wo die Füße nur auf den ſchmalen Balken der Saling einen Halt fanden, mußte aller Wahrſcheinlichkeit nach mit dem Herabſturze des Einen oder Beider enden. Der Unterofficier jedoch, zu unſerm Erſtaunen, that, als ob er ſich gar nicht um den Mann kümmerte, kletterte an ihm vorbei bis er die Spitze der Bram- ſtenge erreicht hatte und machte ſich dort einige Zeit lang an dem Tauwerk zu thun. Dann ließ er ſich an den Pardunen, den Haltetauen der Bramſtengen, welche von deren Spitze bis an Deck fahren, wieder ganz gemächlich herunter, bis er ſich

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/247>, abgerufen am 25.11.2024.