Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Werner
Eichen zu Kielen und Planken und knorriges Krummholz zu
Schiffsrippen in Fülle, die alljährlich selbst nach dem Norden
ausgeführt werden. Hanf gedeiht bei uns in Menge zu Tau-
werk und Segeln. Wir haben lernbegierige Schiffsbaumeister
und Zimmerer, Anker- und Kettenschmiede, Stückgießer. Wir
haben vom Samlande bis nach Ostfriesland ein zahlloses
Fischer- und Schiffervolk, breit von Brust und Schultern, mit
markvollen Knochen, scharfen Auges; Piloten, deren wetterge-
bräuntes Gesicht trotzig in den Sturm blickt und die die Pfade
des Meeres, seine Tiefen überall kennen. Wir haben geschütz-
kundige Meister, Soldaten, die den Tod nicht scheuen, mehr
als wir brauchen; entschlossene unerschrockene Schiffsführer.
Wir haben die Wissenschaft, welche die Sternenbahnen mißt
und die geheimen Gesetze der Natur ergründet und -- dennoch
kein Kriegsschiff, um einen übermüthigen kleinen Nachbar hinter
seinen schmalen Belten aufzusuchen, und unter dem weiten
Himmelsgewölbe kein Fleckchen freien Landes zur Aufnahme
darbender fleißiger Menge. Täuscht uns unsere Prüfung alter
Geschichten und der deutschen Volksnatur nicht, so bleibt uns
nur ein Mittel, aber ein wie unerreichbares! um jeder Seemacht
der Welt gewachsen zu sein: starke Territorialeinheit
an unseren Meeren
."

In der Hauptsache sind die Worte des Geschichtsforschers
prophetisch gewesen. Die Bedeutung unserer Flotte beginnt erst
mit der Schaffung jener starken Territorialeinheit an unseren
Meeren. Daß der Zeitpunkt dafür schon nach zwei Jahrzehn-
ten kommen sollte, hat Bartholdt sich freilich nicht gedacht.
Ebenso irrte er in der Annahme, daß die deutsche Flotte unter
jener Vorbedingung jeder Seemacht der Welt gewachsen sein
werde. Das ist sie weder jetzt, noch wird sie es voraussichtlich
werden, weil Deutschland dazu zu arm ist und seiner geogra-
phischen Lage nach den militärischen Schwerpunkt stets in der
Armee suchen muß; aber die Marine kann bei verständiger Be-

Werner
Eichen zu Kielen und Planken und knorriges Krummholz zu
Schiffsrippen in Fülle, die alljährlich ſelbſt nach dem Norden
ausgeführt werden. Hanf gedeiht bei uns in Menge zu Tau-
werk und Segeln. Wir haben lernbegierige Schiffsbaumeiſter
und Zimmerer, Anker- und Kettenſchmiede, Stückgießer. Wir
haben vom Samlande bis nach Oſtfriesland ein zahlloſes
Fiſcher- und Schiffervolk, breit von Bruſt und Schultern, mit
markvollen Knochen, ſcharfen Auges; Piloten, deren wetterge-
bräuntes Geſicht trotzig in den Sturm blickt und die die Pfade
des Meeres, ſeine Tiefen überall kennen. Wir haben geſchütz-
kundige Meiſter, Soldaten, die den Tod nicht ſcheuen, mehr
als wir brauchen; entſchloſſene unerſchrockene Schiffsführer.
Wir haben die Wiſſenſchaft, welche die Sternenbahnen mißt
und die geheimen Geſetze der Natur ergründet und — dennoch
kein Kriegsſchiff, um einen übermüthigen kleinen Nachbar hinter
ſeinen ſchmalen Belten aufzuſuchen, und unter dem weiten
Himmelsgewölbe kein Fleckchen freien Landes zur Aufnahme
darbender fleißiger Menge. Täuſcht uns unſere Prüfung alter
Geſchichten und der deutſchen Volksnatur nicht, ſo bleibt uns
nur ein Mittel, aber ein wie unerreichbares! um jeder Seemacht
der Welt gewachſen zu ſein: ſtarke Territorialeinheit
an unſeren Meeren
.“

In der Hauptſache ſind die Worte des Geſchichtsforſchers
prophetiſch geweſen. Die Bedeutung unſerer Flotte beginnt erſt
mit der Schaffung jener ſtarken Territorialeinheit an unſeren
Meeren. Daß der Zeitpunkt dafür ſchon nach zwei Jahrzehn-
ten kommen ſollte, hat Bartholdt ſich freilich nicht gedacht.
Ebenſo irrte er in der Annahme, daß die deutſche Flotte unter
jener Vorbedingung jeder Seemacht der Welt gewachſen ſein
werde. Das iſt ſie weder jetzt, noch wird ſie es vorausſichtlich
werden, weil Deutſchland dazu zu arm iſt und ſeiner geogra-
phiſchen Lage nach den militäriſchen Schwerpunkt ſtets in der
Armee ſuchen muß; aber die Marine kann bei verſtändiger Be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0158" n="146"/><fw place="top" type="header">Werner</fw><lb/>
Eichen zu Kielen und Planken und knorriges Krummholz zu<lb/>
Schiffsrippen in Fülle, die alljährlich &#x017F;elb&#x017F;t nach dem Norden<lb/>
ausgeführt werden. Hanf gedeiht bei uns in Menge zu Tau-<lb/>
werk und Segeln. Wir haben lernbegierige Schiffsbaumei&#x017F;ter<lb/>
und Zimmerer, Anker- und Ketten&#x017F;chmiede, Stückgießer. Wir<lb/>
haben vom Samlande bis nach O&#x017F;tfriesland ein zahllo&#x017F;es<lb/>
Fi&#x017F;cher- und Schiffervolk, breit von Bru&#x017F;t und Schultern, mit<lb/>
markvollen Knochen, &#x017F;charfen Auges; Piloten, deren wetterge-<lb/>
bräuntes Ge&#x017F;icht trotzig in den Sturm blickt und die die Pfade<lb/>
des Meeres, &#x017F;eine Tiefen überall kennen. Wir haben ge&#x017F;chütz-<lb/>
kundige Mei&#x017F;ter, Soldaten, die den Tod nicht &#x017F;cheuen, mehr<lb/>
als wir brauchen; ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene uner&#x017F;chrockene Schiffsführer.<lb/>
Wir haben die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, welche die Sternenbahnen mißt<lb/>
und die geheimen Ge&#x017F;etze der Natur ergründet und &#x2014; dennoch<lb/>
kein Kriegs&#x017F;chiff, um einen übermüthigen kleinen Nachbar hinter<lb/>
&#x017F;einen &#x017F;chmalen Belten aufzu&#x017F;uchen, und unter dem weiten<lb/>
Himmelsgewölbe kein Fleckchen freien Landes zur Aufnahme<lb/>
darbender fleißiger Menge. Täu&#x017F;cht uns un&#x017F;ere Prüfung alter<lb/>
Ge&#x017F;chichten und der deut&#x017F;chen Volksnatur nicht, &#x017F;o bleibt uns<lb/>
nur ein Mittel, aber ein wie unerreichbares! um jeder Seemacht<lb/>
der Welt gewach&#x017F;en zu &#x017F;ein: <hi rendition="#g">&#x017F;tarke Territorialeinheit<lb/>
an un&#x017F;eren Meeren</hi>.&#x201C;</p><lb/>
          <p>In der Haupt&#x017F;ache &#x017F;ind die Worte des Ge&#x017F;chichtsfor&#x017F;chers<lb/>
propheti&#x017F;ch gewe&#x017F;en. Die Bedeutung un&#x017F;erer Flotte beginnt er&#x017F;t<lb/>
mit der Schaffung jener &#x017F;tarken Territorialeinheit an un&#x017F;eren<lb/>
Meeren. Daß der Zeitpunkt dafür &#x017F;chon nach zwei Jahrzehn-<lb/>
ten kommen &#x017F;ollte, hat Bartholdt &#x017F;ich freilich nicht gedacht.<lb/>
Eben&#x017F;o irrte er in der Annahme, daß die deut&#x017F;che Flotte unter<lb/>
jener Vorbedingung jeder Seemacht der Welt gewach&#x017F;en &#x017F;ein<lb/>
werde. Das i&#x017F;t &#x017F;ie weder jetzt, noch wird &#x017F;ie es voraus&#x017F;ichtlich<lb/>
werden, weil Deut&#x017F;chland dazu zu arm i&#x017F;t und &#x017F;einer geogra-<lb/>
phi&#x017F;chen Lage nach den militäri&#x017F;chen Schwerpunkt &#x017F;tets in der<lb/>
Armee &#x017F;uchen muß; aber die Marine kann bei ver&#x017F;tändiger Be-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0158] Werner Eichen zu Kielen und Planken und knorriges Krummholz zu Schiffsrippen in Fülle, die alljährlich ſelbſt nach dem Norden ausgeführt werden. Hanf gedeiht bei uns in Menge zu Tau- werk und Segeln. Wir haben lernbegierige Schiffsbaumeiſter und Zimmerer, Anker- und Kettenſchmiede, Stückgießer. Wir haben vom Samlande bis nach Oſtfriesland ein zahlloſes Fiſcher- und Schiffervolk, breit von Bruſt und Schultern, mit markvollen Knochen, ſcharfen Auges; Piloten, deren wetterge- bräuntes Geſicht trotzig in den Sturm blickt und die die Pfade des Meeres, ſeine Tiefen überall kennen. Wir haben geſchütz- kundige Meiſter, Soldaten, die den Tod nicht ſcheuen, mehr als wir brauchen; entſchloſſene unerſchrockene Schiffsführer. Wir haben die Wiſſenſchaft, welche die Sternenbahnen mißt und die geheimen Geſetze der Natur ergründet und — dennoch kein Kriegsſchiff, um einen übermüthigen kleinen Nachbar hinter ſeinen ſchmalen Belten aufzuſuchen, und unter dem weiten Himmelsgewölbe kein Fleckchen freien Landes zur Aufnahme darbender fleißiger Menge. Täuſcht uns unſere Prüfung alter Geſchichten und der deutſchen Volksnatur nicht, ſo bleibt uns nur ein Mittel, aber ein wie unerreichbares! um jeder Seemacht der Welt gewachſen zu ſein: ſtarke Territorialeinheit an unſeren Meeren.“ In der Hauptſache ſind die Worte des Geſchichtsforſchers prophetiſch geweſen. Die Bedeutung unſerer Flotte beginnt erſt mit der Schaffung jener ſtarken Territorialeinheit an unſeren Meeren. Daß der Zeitpunkt dafür ſchon nach zwei Jahrzehn- ten kommen ſollte, hat Bartholdt ſich freilich nicht gedacht. Ebenſo irrte er in der Annahme, daß die deutſche Flotte unter jener Vorbedingung jeder Seemacht der Welt gewachſen ſein werde. Das iſt ſie weder jetzt, noch wird ſie es vorausſichtlich werden, weil Deutſchland dazu zu arm iſt und ſeiner geogra- phiſchen Lage nach den militäriſchen Schwerpunkt ſtets in der Armee ſuchen muß; aber die Marine kann bei verſtändiger Be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/158
Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/158>, abgerufen am 03.05.2024.