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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
Monate der Rückreise und um so mehr, als das Gefühl der
körperlichen Schwäche nothwendig auch auf meinen Geist zurück-
wirkte. Mit bleiernen Füßen schlichen die Tage dahin ohne jede
Abwechselung.

Endlich waren die Azoren erreicht und wir fanden den er-
warteten Westwind. Die Inseln Corvo und Flores zeichneten
ihre Conturen in weiter Ferne am Horizont, acht Tage darauf
kamen wir auf die "Gründe" und das tiefe Blau des Oceans
wandelte sich in dunkles Grün, das allmälig heller wurde und
die Nähe des Landes verkündete. Dann tauchte die Küste von
England auf und der günstige West führte uns schnell durch
Kanal und Nordsee. Bei Helgoland erhielten wir einen Loot-
sen; in ununterbrochener fliegender Fahrt ging es hinein in die
Elbe bis Glückstadt und dann anderen Tages nach Hamburg. --
Es war, als ob wir für das Mißgeschick der Ausreise entschädigt
werden sollten und eine geheimnißvolle Macht uns zur Heimath
zöge. Mit Ausnahme weniger Tage am Cap der guten Hoff-
nung hatten wir keinen Sturm gehabt und waren stets von
gutem Winde begünstigt gewesen.

Bei dem Anblick der Thürme der alten Hansestadt über-
wältigte mich der Ansturm der verschiedensten Gefühle. Freude
und Wehmuth kämpften in meiner Brust und machten meine
Augen feucht. Meine Gedanken schweiften in die Vergangen-
heit um ein Jahr zurück. Als ich damals zuerst den Masten-
wald im Hafen sah, war mir das Herz in der Aussicht aufge-
gangen, nun bald selbst mit einem der Schiffe hinauszuziehen
über den weiten Ocean in ferne Welten und meine Jugend-
träume zu verwirklichen. Wie hoffnungsvoll war mir zu jener
Zeit die Zukunft erschienen, wie schön hatte ich es mir gedacht,
nach langer Reise heimzukehren zu den Meinen, stolz und be-
friedigt von meinem Berufe sie zu begrüßen, mich von meinen
Jugendgenossen um all' das Große und Wunderbare beneiden
zu lassen, das ich gesehn und erlebt -- und nun war alles so

Eine erſte Seereiſe
Monate der Rückreiſe und um ſo mehr, als das Gefühl der
körperlichen Schwäche nothwendig auch auf meinen Geiſt zurück-
wirkte. Mit bleiernen Füßen ſchlichen die Tage dahin ohne jede
Abwechſelung.

Endlich waren die Azoren erreicht und wir fanden den er-
warteten Weſtwind. Die Inſeln Corvo und Flores zeichneten
ihre Conturen in weiter Ferne am Horizont, acht Tage darauf
kamen wir auf die „Gründe“ und das tiefe Blau des Oceans
wandelte ſich in dunkles Grün, das allmälig heller wurde und
die Nähe des Landes verkündete. Dann tauchte die Küſte von
England auf und der günſtige Weſt führte uns ſchnell durch
Kanal und Nordſee. Bei Helgoland erhielten wir einen Loot-
ſen; in ununterbrochener fliegender Fahrt ging es hinein in die
Elbe bis Glückſtadt und dann anderen Tages nach Hamburg. —
Es war, als ob wir für das Mißgeſchick der Ausreiſe entſchädigt
werden ſollten und eine geheimnißvolle Macht uns zur Heimath
zöge. Mit Ausnahme weniger Tage am Cap der guten Hoff-
nung hatten wir keinen Sturm gehabt und waren ſtets von
gutem Winde begünſtigt geweſen.

Bei dem Anblick der Thürme der alten Hanſeſtadt über-
wältigte mich der Anſturm der verſchiedenſten Gefühle. Freude
und Wehmuth kämpften in meiner Bruſt und machten meine
Augen feucht. Meine Gedanken ſchweiften in die Vergangen-
heit um ein Jahr zurück. Als ich damals zuerſt den Maſten-
wald im Hafen ſah, war mir das Herz in der Ausſicht aufge-
gangen, nun bald ſelbſt mit einem der Schiffe hinauszuziehen
über den weiten Ocean in ferne Welten und meine Jugend-
träume zu verwirklichen. Wie hoffnungsvoll war mir zu jener
Zeit die Zukunft erſchienen, wie ſchön hatte ich es mir gedacht,
nach langer Reiſe heimzukehren zu den Meinen, ſtolz und be-
friedigt von meinem Berufe ſie zu begrüßen, mich von meinen
Jugendgenoſſen um all’ das Große und Wunderbare beneiden
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[141/0153] Eine erſte Seereiſe Monate der Rückreiſe und um ſo mehr, als das Gefühl der körperlichen Schwäche nothwendig auch auf meinen Geiſt zurück- wirkte. Mit bleiernen Füßen ſchlichen die Tage dahin ohne jede Abwechſelung. Endlich waren die Azoren erreicht und wir fanden den er- warteten Weſtwind. Die Inſeln Corvo und Flores zeichneten ihre Conturen in weiter Ferne am Horizont, acht Tage darauf kamen wir auf die „Gründe“ und das tiefe Blau des Oceans wandelte ſich in dunkles Grün, das allmälig heller wurde und die Nähe des Landes verkündete. Dann tauchte die Küſte von England auf und der günſtige Weſt führte uns ſchnell durch Kanal und Nordſee. Bei Helgoland erhielten wir einen Loot- ſen; in ununterbrochener fliegender Fahrt ging es hinein in die Elbe bis Glückſtadt und dann anderen Tages nach Hamburg. — Es war, als ob wir für das Mißgeſchick der Ausreiſe entſchädigt werden ſollten und eine geheimnißvolle Macht uns zur Heimath zöge. Mit Ausnahme weniger Tage am Cap der guten Hoff- nung hatten wir keinen Sturm gehabt und waren ſtets von gutem Winde begünſtigt geweſen. Bei dem Anblick der Thürme der alten Hanſeſtadt über- wältigte mich der Anſturm der verſchiedenſten Gefühle. Freude und Wehmuth kämpften in meiner Bruſt und machten meine Augen feucht. Meine Gedanken ſchweiften in die Vergangen- heit um ein Jahr zurück. Als ich damals zuerſt den Maſten- wald im Hafen ſah, war mir das Herz in der Ausſicht aufge- gangen, nun bald ſelbſt mit einem der Schiffe hinauszuziehen über den weiten Ocean in ferne Welten und meine Jugend- träume zu verwirklichen. Wie hoffnungsvoll war mir zu jener Zeit die Zukunft erſchienen, wie ſchön hatte ich es mir gedacht, nach langer Reiſe heimzukehren zu den Meinen, ſtolz und be- friedigt von meinem Berufe ſie zu begrüßen, mich von meinen Jugendgenoſſen um all’ das Große und Wunderbare beneiden zu laſſen, das ich geſehn und erlebt — und nun war alles ſo

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/153>, abgerufen am 24.11.2024.