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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Werner

Die übrigen Leute redeten auch nur wenig von dem Todten.
Es ist das immer so an Bord, ohne daß Mangel an Gefühl
daran die Schuld trägt. Der gewöhnliche Seemann hat eine
gewisse Scheu vor solchen Gesprächen, die wol mit einer Art
Aberglauben zusammenhängt. Wenige Tage darauf wurden wir
jedoch auf eine schreckliche Art an den Unglücksfall wieder er-
innert.

Ein Bremer Schiff kam auf die Rhede und ankerte in
unserer unmittelbaren Nähe. Am Abend ging die ganze Be-
satzung über Bord, um sich zu baden und schwamm lustig um-
her. Andern Tages kamen die Leute zu uns zum Besuch und
wir warnten sie auf das Eindringlichste vor dem Baden. Kurz
vor unserer Ankunft war ein englischer Matrose von einem Hai
erfaßt worden und ein Kaiman hatte einen holländischen Steuer-
mann, der auf dem Rande des Bootes saß und dessen Rock-
schöße nahe über Wasser hingen, an den letzteren erfaßt, ihn
über Bord gezogen und verschlungen. Sie schienen unsere War-
nung jedoch in den Wind zu schlagen, denn zwei Tage darauf
sahen wir sie zu unserem Schrecken wieder sämmtlich baden und
um das an der Backspiere liegende Boot herumschwimmen.
Einer der Matrosen hielt sich an der Fangleine des Bootes fest,
als er plötzlich den Kameraden zurief: "Leute geht ins Boot,
hier ist ein Hai. Er ist bei mir gewesen, hat mir aber nichts
gethan." Die Leute kletterten schnell in das Boot, sahen jedoch
gleichzeitig, wie Jener sich zwar noch krampfhaft an dem er-
faßten Taue festhielt, aber auch, wie sein Kopf auf die Seite
fiel und sich das Wasser in seiner Umgebung blutig färbte.
Sie holten auf das schleunigste das Boot zu ihm hin und
hoben ihn hinein, doch nur noch den Rumpf. Beide Beine
waren zwischen Knie und Hüfte abgebissen, ob durch einen der
colossalen Grundhaie von 14--16 Fuß Länge, wie man sie in
jenen Gegenden trifft, oder durch einen Kaiman, blieb unent-
schieden. Nach zehn Minuten war der Aermste verblutet und

Werner

Die übrigen Leute redeten auch nur wenig von dem Todten.
Es iſt das immer ſo an Bord, ohne daß Mangel an Gefühl
daran die Schuld trägt. Der gewöhnliche Seemann hat eine
gewiſſe Scheu vor ſolchen Geſprächen, die wol mit einer Art
Aberglauben zuſammenhängt. Wenige Tage darauf wurden wir
jedoch auf eine ſchreckliche Art an den Unglücksfall wieder er-
innert.

Ein Bremer Schiff kam auf die Rhede und ankerte in
unſerer unmittelbaren Nähe. Am Abend ging die ganze Be-
ſatzung über Bord, um ſich zu baden und ſchwamm luſtig um-
her. Andern Tages kamen die Leute zu uns zum Beſuch und
wir warnten ſie auf das Eindringlichſte vor dem Baden. Kurz
vor unſerer Ankunft war ein engliſcher Matroſe von einem Hai
erfaßt worden und ein Kaiman hatte einen holländiſchen Steuer-
mann, der auf dem Rande des Bootes ſaß und deſſen Rock-
ſchöße nahe über Waſſer hingen, an den letzteren erfaßt, ihn
über Bord gezogen und verſchlungen. Sie ſchienen unſere War-
nung jedoch in den Wind zu ſchlagen, denn zwei Tage darauf
ſahen wir ſie zu unſerem Schrecken wieder ſämmtlich baden und
um das an der Backſpiere liegende Boot herumſchwimmen.
Einer der Matroſen hielt ſich an der Fangleine des Bootes feſt,
als er plötzlich den Kameraden zurief: „Leute geht ins Boot,
hier iſt ein Hai. Er iſt bei mir geweſen, hat mir aber nichts
gethan.“ Die Leute kletterten ſchnell in das Boot, ſahen jedoch
gleichzeitig, wie Jener ſich zwar noch krampfhaft an dem er-
faßten Taue feſthielt, aber auch, wie ſein Kopf auf die Seite
fiel und ſich das Waſſer in ſeiner Umgebung blutig färbte.
Sie holten auf das ſchleunigſte das Boot zu ihm hin und
hoben ihn hinein, doch nur noch den Rumpf. Beide Beine
waren zwiſchen Knie und Hüfte abgebiſſen, ob durch einen der
coloſſalen Grundhaie von 14—16 Fuß Länge, wie man ſie in
jenen Gegenden trifft, oder durch einen Kaiman, blieb unent-
ſchieden. Nach zehn Minuten war der Aermſte verblutet und

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[128/0140] Werner Die übrigen Leute redeten auch nur wenig von dem Todten. Es iſt das immer ſo an Bord, ohne daß Mangel an Gefühl daran die Schuld trägt. Der gewöhnliche Seemann hat eine gewiſſe Scheu vor ſolchen Geſprächen, die wol mit einer Art Aberglauben zuſammenhängt. Wenige Tage darauf wurden wir jedoch auf eine ſchreckliche Art an den Unglücksfall wieder er- innert. Ein Bremer Schiff kam auf die Rhede und ankerte in unſerer unmittelbaren Nähe. Am Abend ging die ganze Be- ſatzung über Bord, um ſich zu baden und ſchwamm luſtig um- her. Andern Tages kamen die Leute zu uns zum Beſuch und wir warnten ſie auf das Eindringlichſte vor dem Baden. Kurz vor unſerer Ankunft war ein engliſcher Matroſe von einem Hai erfaßt worden und ein Kaiman hatte einen holländiſchen Steuer- mann, der auf dem Rande des Bootes ſaß und deſſen Rock- ſchöße nahe über Waſſer hingen, an den letzteren erfaßt, ihn über Bord gezogen und verſchlungen. Sie ſchienen unſere War- nung jedoch in den Wind zu ſchlagen, denn zwei Tage darauf ſahen wir ſie zu unſerem Schrecken wieder ſämmtlich baden und um das an der Backſpiere liegende Boot herumſchwimmen. Einer der Matroſen hielt ſich an der Fangleine des Bootes feſt, als er plötzlich den Kameraden zurief: „Leute geht ins Boot, hier iſt ein Hai. Er iſt bei mir geweſen, hat mir aber nichts gethan.“ Die Leute kletterten ſchnell in das Boot, ſahen jedoch gleichzeitig, wie Jener ſich zwar noch krampfhaft an dem er- faßten Taue feſthielt, aber auch, wie ſein Kopf auf die Seite fiel und ſich das Waſſer in ſeiner Umgebung blutig färbte. Sie holten auf das ſchleunigſte das Boot zu ihm hin und hoben ihn hinein, doch nur noch den Rumpf. Beide Beine waren zwiſchen Knie und Hüfte abgebiſſen, ob durch einen der coloſſalen Grundhaie von 14—16 Fuß Länge, wie man ſie in jenen Gegenden trifft, oder durch einen Kaiman, blieb unent- ſchieden. Nach zehn Minuten war der Aermſte verblutet und

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/140>, abgerufen am 04.05.2024.