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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Meilen von der Rhede entfernt; wir konnten eben die Mast-
spitzen der dort ankernden Schiffe über dem Horizonte erblicken.
Gegen zehn Uhr Morgens schlief die schwache Landbriese ein,
dann kam Stille und brennende Sonnengluth, gegen die wir
im Gebüsch Schutz suchten. Mit unendlicher Mühe schöpften
wir noch aus dem flachen Tümpel mit den Händen einen Eimer
Wasser, um auf der bevorstehenden langen Rücktour nicht wie-
der Durst zu leiden. Eßbares war auf der Insel nicht vor-
handen außer einigen Schnecken und an den Strand geworfenen
Muscheln; unser Hunger war jedoch noch nicht groß genug, um
diese roh zu verspeisen. Die Seebriese ließ lange auf sich warten;
erst kurz vor Mittag trat sie ein und wir machten uns auf den
Weg. Wir ruderten in der Schaluppe und hatten das Großboot
im Schlepptau. Wir kamen nur sehr langsam vorwärts und
fühlten allmälig unsere Kräfte schwinden. Da die Briese kräftig
auffrischte, versuchten wir, Mast und Segel zu improvisiren.
Die zu den Booten gehörige Betakelung war nicht darin; wie
so oft auf Kauffahrteischiffen war sie aus falscher Sparsamkeit
irgendwo im Schiffe verstaut, anstatt sich stets in den Booten
zu befinden, wie auf Kriegsschiffen. Einige zusammengebundene
Bootsriemen mußten den Mast, ein anderer die Raa abgeben,
die aufgerebbelte Fangleine lieferte das nöthige Bendselwerk und
das Material zu dem Segel bildeten unsere Hemden, die wir
mit den Kabelgarnen der Fangleine an die Raa und zusammen-
nähten, während wir mit nacktem Oberkörper im Boot saßen.
Es war eine wunderliche Takelage; da wir aber platt vor dem
Winde segelten, erfüllte sie ihren Zweck. Gegen Abend, nach
fast 24stündiger Abwesenheit, trafen wir von unserer Irrfahrt
wieder an Bord ein.

Es war Feierabend und die Besatzung stand am Fallreep,
um uns zu empfangen. Sie hatte schon von weitem gesehen,
daß einer fehlte und die Begrüßung war keine laute. Als ich
an Deck kam, drückte mir der Bootsmann stumm die Hand,

Werner
Meilen von der Rhede entfernt; wir konnten eben die Maſt-
ſpitzen der dort ankernden Schiffe über dem Horizonte erblicken.
Gegen zehn Uhr Morgens ſchlief die ſchwache Landbrieſe ein,
dann kam Stille und brennende Sonnengluth, gegen die wir
im Gebüſch Schutz ſuchten. Mit unendlicher Mühe ſchöpften
wir noch aus dem flachen Tümpel mit den Händen einen Eimer
Waſſer, um auf der bevorſtehenden langen Rücktour nicht wie-
der Durſt zu leiden. Eßbares war auf der Inſel nicht vor-
handen außer einigen Schnecken und an den Strand geworfenen
Muſcheln; unſer Hunger war jedoch noch nicht groß genug, um
dieſe roh zu verſpeiſen. Die Seebrieſe ließ lange auf ſich warten;
erſt kurz vor Mittag trat ſie ein und wir machten uns auf den
Weg. Wir ruderten in der Schaluppe und hatten das Großboot
im Schlepptau. Wir kamen nur ſehr langſam vorwärts und
fühlten allmälig unſere Kräfte ſchwinden. Da die Brieſe kräftig
auffriſchte, verſuchten wir, Maſt und Segel zu improviſiren.
Die zu den Booten gehörige Betakelung war nicht darin; wie
ſo oft auf Kauffahrteiſchiffen war ſie aus falſcher Sparſamkeit
irgendwo im Schiffe verſtaut, anſtatt ſich ſtets in den Booten
zu befinden, wie auf Kriegsſchiffen. Einige zuſammengebundene
Bootsriemen mußten den Maſt, ein anderer die Raa abgeben,
die aufgerebbelte Fangleine lieferte das nöthige Bendſelwerk und
das Material zu dem Segel bildeten unſere Hemden, die wir
mit den Kabelgarnen der Fangleine an die Raa und zuſammen-
nähten, während wir mit nacktem Oberkörper im Boot ſaßen.
Es war eine wunderliche Takelage; da wir aber platt vor dem
Winde ſegelten, erfüllte ſie ihren Zweck. Gegen Abend, nach
faſt 24ſtündiger Abweſenheit, trafen wir von unſerer Irrfahrt
wieder an Bord ein.

Es war Feierabend und die Beſatzung ſtand am Fallreep,
um uns zu empfangen. Sie hatte ſchon von weitem geſehen,
daß einer fehlte und die Begrüßung war keine laute. Als ich
an Deck kam, drückte mir der Bootsmann ſtumm die Hand,

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[126/0138] Werner Meilen von der Rhede entfernt; wir konnten eben die Maſt- ſpitzen der dort ankernden Schiffe über dem Horizonte erblicken. Gegen zehn Uhr Morgens ſchlief die ſchwache Landbrieſe ein, dann kam Stille und brennende Sonnengluth, gegen die wir im Gebüſch Schutz ſuchten. Mit unendlicher Mühe ſchöpften wir noch aus dem flachen Tümpel mit den Händen einen Eimer Waſſer, um auf der bevorſtehenden langen Rücktour nicht wie- der Durſt zu leiden. Eßbares war auf der Inſel nicht vor- handen außer einigen Schnecken und an den Strand geworfenen Muſcheln; unſer Hunger war jedoch noch nicht groß genug, um dieſe roh zu verſpeiſen. Die Seebrieſe ließ lange auf ſich warten; erſt kurz vor Mittag trat ſie ein und wir machten uns auf den Weg. Wir ruderten in der Schaluppe und hatten das Großboot im Schlepptau. Wir kamen nur ſehr langſam vorwärts und fühlten allmälig unſere Kräfte ſchwinden. Da die Brieſe kräftig auffriſchte, verſuchten wir, Maſt und Segel zu improviſiren. Die zu den Booten gehörige Betakelung war nicht darin; wie ſo oft auf Kauffahrteiſchiffen war ſie aus falſcher Sparſamkeit irgendwo im Schiffe verſtaut, anſtatt ſich ſtets in den Booten zu befinden, wie auf Kriegsſchiffen. Einige zuſammengebundene Bootsriemen mußten den Maſt, ein anderer die Raa abgeben, die aufgerebbelte Fangleine lieferte das nöthige Bendſelwerk und das Material zu dem Segel bildeten unſere Hemden, die wir mit den Kabelgarnen der Fangleine an die Raa und zuſammen- nähten, während wir mit nacktem Oberkörper im Boot ſaßen. Es war eine wunderliche Takelage; da wir aber platt vor dem Winde ſegelten, erfüllte ſie ihren Zweck. Gegen Abend, nach faſt 24ſtündiger Abweſenheit, trafen wir von unſerer Irrfahrt wieder an Bord ein. Es war Feierabend und die Beſatzung ſtand am Fallreep, um uns zu empfangen. Sie hatte ſchon von weitem geſehen, daß einer fehlte und die Begrüßung war keine laute. Als ich an Deck kam, drückte mir der Bootsmann ſtumm die Hand,

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/138>, abgerufen am 05.05.2024.