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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Eine erste Seereise
erhaltenen Befehl aus, uns wieder an Bord zu begeben, und die
folgende Stunde angestrengten Ruderns vermochte nicht meine
Stimmung zu verbessern.

Wo waren die Träume geblieben, denen ich mich früher
hingegeben, wenn meine Phantasie mir die Schönheiten der
Tropenländer ausmalte, in deren Genuß ich zu schwelgen hoffte,
indem ich Seemann wurde? -- Zerstoben, verweht, wie schon so
viele andere in den letzten fünf Monaten! Der Kauffahrtei-
seemann, mit Ausnahme des Kapitäns, sieht wenig oder nichts
von den meisten fremden Ländern; die viele Arbeit, welche grade
in den Häfen sich häuft und seine ganzen Kräfte in Anspruch
nimmt, so daß er Abends erschöpft nur Ruhe sucht, die wenigen
Stunden Urlaub, die er höchstens Sonntags einmal erhält, und
andere Umstände sind ebenso viele Hindernisse für ihn, und für
mich gab es keine Ausnahme. Alle Romantik war dahin; wir
trafen an einem Sonntage ein und es lagen zunächst vierzehn
Tage schwerer Arbeit des Löschens und Ladens vor mir. Es
wird bei größerer Entfernung vom Land nur immer eine Hälfte
der Mannschaft auf einmal beurlaubt; nach altem Herkommen
hat Steuerbord-Wache, die vom Obersteuermann commandirt
wird, bei solchen Anlässen den Vorzug und ich gehörte zur
Backbordwache.

Das Bootsrudern hörte glücklicher Weise auf. Europäer
erkranken zu leicht dadurch und es werden deshalb für die Dauer
des Aufenthaltes malayische Ruderer angenommen, mit denen
der am Lande wohnende Kapitän täglich an Bord kommt, um
Anordnungen zu treffen. Die materiellen Genüsse, welche sich
uns boten, beschränkten sich auf die schönen Südfrüchte, an denen
ich mich allerdings hoch erquickte, die geistigen auf Austausch
von abendlichen Besuchen bei unsern Landsleuten auf den deut-
schen Schiffen. Eine große Freude, die allerdings für mich viel
Trübes aufwog, bereitete die unerwartete Ankunft von Briefen
aus der Heimath. Die Nachrichten waren zwar schon Monate

Eine erſte Seereiſe
erhaltenen Befehl aus, uns wieder an Bord zu begeben, und die
folgende Stunde angeſtrengten Ruderns vermochte nicht meine
Stimmung zu verbeſſern.

Wo waren die Träume geblieben, denen ich mich früher
hingegeben, wenn meine Phantaſie mir die Schönheiten der
Tropenländer ausmalte, in deren Genuß ich zu ſchwelgen hoffte,
indem ich Seemann wurde? — Zerſtoben, verweht, wie ſchon ſo
viele andere in den letzten fünf Monaten! Der Kauffahrtei-
ſeemann, mit Ausnahme des Kapitäns, ſieht wenig oder nichts
von den meiſten fremden Ländern; die viele Arbeit, welche grade
in den Häfen ſich häuft und ſeine ganzen Kräfte in Anſpruch
nimmt, ſo daß er Abends erſchöpft nur Ruhe ſucht, die wenigen
Stunden Urlaub, die er höchſtens Sonntags einmal erhält, und
andere Umſtände ſind ebenſo viele Hinderniſſe für ihn, und für
mich gab es keine Ausnahme. Alle Romantik war dahin; wir
trafen an einem Sonntage ein und es lagen zunächſt vierzehn
Tage ſchwerer Arbeit des Löſchens und Ladens vor mir. Es
wird bei größerer Entfernung vom Land nur immer eine Hälfte
der Mannſchaft auf einmal beurlaubt; nach altem Herkommen
hat Steuerbord-Wache, die vom Oberſteuermann commandirt
wird, bei ſolchen Anläſſen den Vorzug und ich gehörte zur
Backbordwache.

Das Bootsrudern hörte glücklicher Weiſe auf. Europäer
erkranken zu leicht dadurch und es werden deshalb für die Dauer
des Aufenthaltes malayiſche Ruderer angenommen, mit denen
der am Lande wohnende Kapitän täglich an Bord kommt, um
Anordnungen zu treffen. Die materiellen Genüſſe, welche ſich
uns boten, beſchränkten ſich auf die ſchönen Südfrüchte, an denen
ich mich allerdings hoch erquickte, die geiſtigen auf Austauſch
von abendlichen Beſuchen bei unſern Landsleuten auf den deut-
ſchen Schiffen. Eine große Freude, die allerdings für mich viel
Trübes aufwog, bereitete die unerwartete Ankunft von Briefen
aus der Heimath. Die Nachrichten waren zwar ſchon Monate

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[117/0129] Eine erſte Seereiſe erhaltenen Befehl aus, uns wieder an Bord zu begeben, und die folgende Stunde angeſtrengten Ruderns vermochte nicht meine Stimmung zu verbeſſern. Wo waren die Träume geblieben, denen ich mich früher hingegeben, wenn meine Phantaſie mir die Schönheiten der Tropenländer ausmalte, in deren Genuß ich zu ſchwelgen hoffte, indem ich Seemann wurde? — Zerſtoben, verweht, wie ſchon ſo viele andere in den letzten fünf Monaten! Der Kauffahrtei- ſeemann, mit Ausnahme des Kapitäns, ſieht wenig oder nichts von den meiſten fremden Ländern; die viele Arbeit, welche grade in den Häfen ſich häuft und ſeine ganzen Kräfte in Anſpruch nimmt, ſo daß er Abends erſchöpft nur Ruhe ſucht, die wenigen Stunden Urlaub, die er höchſtens Sonntags einmal erhält, und andere Umſtände ſind ebenſo viele Hinderniſſe für ihn, und für mich gab es keine Ausnahme. Alle Romantik war dahin; wir trafen an einem Sonntage ein und es lagen zunächſt vierzehn Tage ſchwerer Arbeit des Löſchens und Ladens vor mir. Es wird bei größerer Entfernung vom Land nur immer eine Hälfte der Mannſchaft auf einmal beurlaubt; nach altem Herkommen hat Steuerbord-Wache, die vom Oberſteuermann commandirt wird, bei ſolchen Anläſſen den Vorzug und ich gehörte zur Backbordwache. Das Bootsrudern hörte glücklicher Weiſe auf. Europäer erkranken zu leicht dadurch und es werden deshalb für die Dauer des Aufenthaltes malayiſche Ruderer angenommen, mit denen der am Lande wohnende Kapitän täglich an Bord kommt, um Anordnungen zu treffen. Die materiellen Genüſſe, welche ſich uns boten, beſchränkten ſich auf die ſchönen Südfrüchte, an denen ich mich allerdings hoch erquickte, die geiſtigen auf Austauſch von abendlichen Beſuchen bei unſern Landsleuten auf den deut- ſchen Schiffen. Eine große Freude, die allerdings für mich viel Trübes aufwog, bereitete die unerwartete Ankunft von Briefen aus der Heimath. Die Nachrichten waren zwar ſchon Monate

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/129>, abgerufen am 04.05.2024.