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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880.

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Sundastraße und weiterhin die Java-See kennzeichnen. Viele
Hunderte von ihnen schwimmen wie lichtgrüne mit einem Silber-
reif eingefaßte Perlen auf dem tiefblauen Wasser. Ein schmaler
Sandstrand umsäumt sie und die vom milden Windhauch be-
wegten Wellen rauschen leise und schaumglänzend zu ihm hin-
auf. Ein idyllischer Friede ruht über ihnen, doch wie paradie-
sisch schön sie auch von außen erscheinen, ist fast keine von ihnen
bewohnt, weil ihnen noch die Bedingungen für die menschliche
Existenz fehlen. Einst, vor Jahrtausenden, nahm hohes Festland
ihre Stelle ein; dann sank es unmerklich tiefer und tiefer, bis
die Fluten des Meeres es bedeckten und es für immer in
ihrem Schooße begruben. Aber jene kleinen Inseln sind die
Wahrzeichen seines ehemaligen Daseins; in geheimnißvoller und
geräuschloser Weise sind sie auf den Spitzen der versunkenen
Berge aufgebaut und ununterbrochen arbeiten Milliarden winziger
Arbeiter weiter an ihnen, um auf das Geheiß des Schöpfers
Continente zu schaffen und der Menschheit neue Wohnstätten an
Stelle der verschwundenen zu bereiten.

Jene wunderbaren Baumeister sind die Korallenthiere, deren
hervorragendste Typen die Actinien oder See-Anemonen bilden.
Ihre Structur und mannigfaltige lebhafte Färbung verleiht ihnen
das Aussehen lebendiger Blumen, und sie fesseln in den Aquarien
vorzugsweise durch ihre Schönheit die Aufmerksamkeit und das
Interesse des Beschauers. Ein transparenter Schlauch, mit
dessen unterer Fläche sie sich an den Meeresboden heften, bildet
ihre äußere Körperhülle und in ihm ist strahlenförmig durch
Scheidewände ein zweiter unten offner Schlauch, der Magen,
befestigt, dessen oberes Ende den mit einem dichten Büschel
seiner Saug- und Fühlfäden besetzten Mund trägt. Bei den
ungestörten Thieren sind diese Fäden in unaufhörlicher Be-
wegung, um aus dem umgebenden Seewasser sowol die nöthige
Nahrung aufzunehmen, als auch aus ihm kohlensauren Kalk
abzuscheiden, denselben Atom für Atom von ihrem Körper wieder

Werner
Sundaſtraße und weiterhin die Java-See kennzeichnen. Viele
Hunderte von ihnen ſchwimmen wie lichtgrüne mit einem Silber-
reif eingefaßte Perlen auf dem tiefblauen Waſſer. Ein ſchmaler
Sandſtrand umſäumt ſie und die vom milden Windhauch be-
wegten Wellen rauſchen leiſe und ſchaumglänzend zu ihm hin-
auf. Ein idylliſcher Friede ruht über ihnen, doch wie paradie-
ſiſch ſchön ſie auch von außen erſcheinen, iſt faſt keine von ihnen
bewohnt, weil ihnen noch die Bedingungen für die menſchliche
Exiſtenz fehlen. Einſt, vor Jahrtauſenden, nahm hohes Feſtland
ihre Stelle ein; dann ſank es unmerklich tiefer und tiefer, bis
die Fluten des Meeres es bedeckten und es für immer in
ihrem Schooße begruben. Aber jene kleinen Inſeln ſind die
Wahrzeichen ſeines ehemaligen Daſeins; in geheimnißvoller und
geräuſchloſer Weiſe ſind ſie auf den Spitzen der verſunkenen
Berge aufgebaut und ununterbrochen arbeiten Milliarden winziger
Arbeiter weiter an ihnen, um auf das Geheiß des Schöpfers
Continente zu ſchaffen und der Menſchheit neue Wohnſtätten an
Stelle der verſchwundenen zu bereiten.

Jene wunderbaren Baumeiſter ſind die Korallenthiere, deren
hervorragendſte Typen die Actinien oder See-Anemonen bilden.
Ihre Structur und mannigfaltige lebhafte Färbung verleiht ihnen
das Ausſehen lebendiger Blumen, und ſie feſſeln in den Aquarien
vorzugsweiſe durch ihre Schönheit die Aufmerkſamkeit und das
Intereſſe des Beſchauers. Ein transparenter Schlauch, mit
deſſen unterer Fläche ſie ſich an den Meeresboden heften, bildet
ihre äußere Körperhülle und in ihm iſt ſtrahlenförmig durch
Scheidewände ein zweiter unten offner Schlauch, der Magen,
befeſtigt, deſſen oberes Ende den mit einem dichten Büſchel
ſeiner Saug- und Fühlfäden beſetzten Mund trägt. Bei den
ungeſtörten Thieren ſind dieſe Fäden in unaufhörlicher Be-
wegung, um aus dem umgebenden Seewaſſer ſowol die nöthige
Nahrung aufzunehmen, als auch aus ihm kohlenſauren Kalk
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[112/0124] Werner Sundaſtraße und weiterhin die Java-See kennzeichnen. Viele Hunderte von ihnen ſchwimmen wie lichtgrüne mit einem Silber- reif eingefaßte Perlen auf dem tiefblauen Waſſer. Ein ſchmaler Sandſtrand umſäumt ſie und die vom milden Windhauch be- wegten Wellen rauſchen leiſe und ſchaumglänzend zu ihm hin- auf. Ein idylliſcher Friede ruht über ihnen, doch wie paradie- ſiſch ſchön ſie auch von außen erſcheinen, iſt faſt keine von ihnen bewohnt, weil ihnen noch die Bedingungen für die menſchliche Exiſtenz fehlen. Einſt, vor Jahrtauſenden, nahm hohes Feſtland ihre Stelle ein; dann ſank es unmerklich tiefer und tiefer, bis die Fluten des Meeres es bedeckten und es für immer in ihrem Schooße begruben. Aber jene kleinen Inſeln ſind die Wahrzeichen ſeines ehemaligen Daſeins; in geheimnißvoller und geräuſchloſer Weiſe ſind ſie auf den Spitzen der verſunkenen Berge aufgebaut und ununterbrochen arbeiten Milliarden winziger Arbeiter weiter an ihnen, um auf das Geheiß des Schöpfers Continente zu ſchaffen und der Menſchheit neue Wohnſtätten an Stelle der verſchwundenen zu bereiten. Jene wunderbaren Baumeiſter ſind die Korallenthiere, deren hervorragendſte Typen die Actinien oder See-Anemonen bilden. Ihre Structur und mannigfaltige lebhafte Färbung verleiht ihnen das Ausſehen lebendiger Blumen, und ſie feſſeln in den Aquarien vorzugsweiſe durch ihre Schönheit die Aufmerkſamkeit und das Intereſſe des Beſchauers. Ein transparenter Schlauch, mit deſſen unterer Fläche ſie ſich an den Meeresboden heften, bildet ihre äußere Körperhülle und in ihm iſt ſtrahlenförmig durch Scheidewände ein zweiter unten offner Schlauch, der Magen, befeſtigt, deſſen oberes Ende den mit einem dichten Büſchel ſeiner Saug- und Fühlfäden beſetzten Mund trägt. Bei den ungeſtörten Thieren ſind dieſe Fäden in unaufhörlicher Be- wegung, um aus dem umgebenden Seewaſſer ſowol die nöthige Nahrung aufzunehmen, als auch aus ihm kohlenſauren Kalk abzuſcheiden, denſelben Atom für Atom von ihrem Körper wieder

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Zitationshilfe: Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/124>, abgerufen am 04.05.2024.