Gegen Mitternacht schlief die Briese ein und es wurde eine kleine Weile still. Daß wir ganz nahe unter der Küste sein mußten, merkten wir an dem ruhigen Wasser, auf dem sich das Schiff fast gar nicht bewegte, bald aber auch an den kost- baren Blumendüften, die der leise Hauch des jetzt ankommenden Landwindes zu uns herüberführte. In der Nähe von größeren Landgebieten hört der Passat auf und wird durch die täglich regelmäßig wechselnde See- und Landbriese verdrängt, welche das Resultat der Einwirkung der Sonne sind. Am Tage er- wärmt sie durch ihre Strahlen das Land bedeutend schneller und intensiver als das umgebende Meer, dessen Temperatur nur unmerklich dadurch geändert wird. Die Folge ist, daß sich die Luft über dem Lande verdünnt und die Luft vom kälteren Meere zur Ausgleichung als Seebriese herbeiströmt. Nachts findet dagegen der umgekehrte Proceß statt. Durch Ausstrah- lung wird das Land zu einer niedrigeren Temperatur abgekühlt, als sie das Meer bewahrt. In Folge dessen strömt die Luft von ersterem seewärts und trägt das Aroma, das Blumen und Blüthen mit Eintritt der Abendkühle ausströmen, viele Meilen weit mit sich hinaus.
Am andern Morgen mit Tagesanbruch liefen wir in die Sundastraße ein. Wir hatten für damalige Zeiten eine ziemlich schnelle Reise gehabt, 105 Tage von Helvetsluys, aber seit 100 Tagen sahen wir zum ersten Male wieder Land. Mit welcher Freude begrüßte ich den so lang entbehrten Anblick und weidete meine Augen an dem prachtvollen Grün der Waldungen. In ungeahnter Fülle und Ueppigkeit bedeckten sie das schöne Java, an dessen Küste wir auf kaum tausend Schritt Entfernung hinsegelten, während zur Linken die mächtigen Bergkegel der Insel Cracatoa und Sumatras sich in die Lüfte erhoben und in jenem bläulichen Dufte schwammen, der den südlichen Gegenden eigenthümlich ist. Aber die ganze wunderbare Schönheit einer tropischen Landschaft enthüllte sich meinem trunkenen Blicke erst,
Eine erſte Seereiſe
Gegen Mitternacht ſchlief die Brieſe ein und es wurde eine kleine Weile ſtill. Daß wir ganz nahe unter der Küſte ſein mußten, merkten wir an dem ruhigen Waſſer, auf dem ſich das Schiff faſt gar nicht bewegte, bald aber auch an den koſt- baren Blumendüften, die der leiſe Hauch des jetzt ankommenden Landwindes zu uns herüberführte. In der Nähe von größeren Landgebieten hört der Paſſat auf und wird durch die täglich regelmäßig wechſelnde See- und Landbrieſe verdrängt, welche das Reſultat der Einwirkung der Sonne ſind. Am Tage er- wärmt ſie durch ihre Strahlen das Land bedeutend ſchneller und intenſiver als das umgebende Meer, deſſen Temperatur nur unmerklich dadurch geändert wird. Die Folge iſt, daß ſich die Luft über dem Lande verdünnt und die Luft vom kälteren Meere zur Ausgleichung als Seebrieſe herbeiſtrömt. Nachts findet dagegen der umgekehrte Proceß ſtatt. Durch Ausſtrah- lung wird das Land zu einer niedrigeren Temperatur abgekühlt, als ſie das Meer bewahrt. In Folge deſſen ſtrömt die Luft von erſterem ſeewärts und trägt das Aroma, das Blumen und Blüthen mit Eintritt der Abendkühle ausſtrömen, viele Meilen weit mit ſich hinaus.
Am andern Morgen mit Tagesanbruch liefen wir in die Sundaſtraße ein. Wir hatten für damalige Zeiten eine ziemlich ſchnelle Reiſe gehabt, 105 Tage von Helvetsluys, aber ſeit 100 Tagen ſahen wir zum erſten Male wieder Land. Mit welcher Freude begrüßte ich den ſo lang entbehrten Anblick und weidete meine Augen an dem prachtvollen Grün der Waldungen. In ungeahnter Fülle und Ueppigkeit bedeckten ſie das ſchöne Java, an deſſen Küſte wir auf kaum tauſend Schritt Entfernung hinſegelten, während zur Linken die mächtigen Bergkegel der Inſel Cracatoa und Sumatras ſich in die Lüfte erhoben und in jenem bläulichen Dufte ſchwammen, der den ſüdlichen Gegenden eigenthümlich iſt. Aber die ganze wunderbare Schönheit einer tropiſchen Landſchaft enthüllte ſich meinem trunkenen Blicke erſt,
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Eine erſte Seereiſe
Gegen Mitternacht ſchlief die Brieſe ein und es wurde
eine kleine Weile ſtill. Daß wir ganz nahe unter der Küſte
ſein mußten, merkten wir an dem ruhigen Waſſer, auf dem ſich
das Schiff faſt gar nicht bewegte, bald aber auch an den koſt-
baren Blumendüften, die der leiſe Hauch des jetzt ankommenden
Landwindes zu uns herüberführte. In der Nähe von größeren
Landgebieten hört der Paſſat auf und wird durch die täglich
regelmäßig wechſelnde See- und Landbrieſe verdrängt, welche
das Reſultat der Einwirkung der Sonne ſind. Am Tage er-
wärmt ſie durch ihre Strahlen das Land bedeutend ſchneller
und intenſiver als das umgebende Meer, deſſen Temperatur
nur unmerklich dadurch geändert wird. Die Folge iſt, daß ſich
die Luft über dem Lande verdünnt und die Luft vom kälteren
Meere zur Ausgleichung als Seebrieſe herbeiſtrömt. Nachts
findet dagegen der umgekehrte Proceß ſtatt. Durch Ausſtrah-
lung wird das Land zu einer niedrigeren Temperatur abgekühlt,
als ſie das Meer bewahrt. In Folge deſſen ſtrömt die Luft
von erſterem ſeewärts und trägt das Aroma, das Blumen und
Blüthen mit Eintritt der Abendkühle ausſtrömen, viele Meilen
weit mit ſich hinaus.
Am andern Morgen mit Tagesanbruch liefen wir in die
Sundaſtraße ein. Wir hatten für damalige Zeiten eine ziemlich
ſchnelle Reiſe gehabt, 105 Tage von Helvetsluys, aber ſeit
100 Tagen ſahen wir zum erſten Male wieder Land. Mit
welcher Freude begrüßte ich den ſo lang entbehrten Anblick und
weidete meine Augen an dem prachtvollen Grün der Waldungen.
In ungeahnter Fülle und Ueppigkeit bedeckten ſie das ſchöne
Java, an deſſen Küſte wir auf kaum tauſend Schritt Entfernung
hinſegelten, während zur Linken die mächtigen Bergkegel der
Inſel Cracatoa und Sumatras ſich in die Lüfte erhoben und in
jenem bläulichen Dufte ſchwammen, der den ſüdlichen Gegenden
eigenthümlich iſt. Aber die ganze wunderbare Schönheit einer
tropiſchen Landſchaft enthüllte ſich meinem trunkenen Blicke erſt,
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Werner, Reinhold von: Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Berlin, 1880, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/werner_seeleben_1880/121>, abgerufen am 24.11.2024.
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