Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.Verschiedenheiten in der Dauer der Zellvermehrung zu er- Verschiedenheiten in der Dauer der Zellvermehrung zu er- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0089" n="77"/> Verschiedenheiten in der Dauer der Zellvermehrung zu er-<lb/> klären. Da ist zuerst der von den Eltern überkommene<lb/> Nahrungsstoff, dann die Qualität der Nahrung, der Grad<lb/> von „visceral development“, der für die Herbeischaffung<lb/> der Nahrung nöthige Aufwand von Kraft, die Kosten für<lb/> die Aufrechterhaltung der Körperwärme, und schliesslich<lb/> das Verhältniss der Masse des Körpers zur Oberfläche in<lb/> seinen verschiedenen Aeusserungen. Es ist nun gewiss<lb/> ganz richtig, dass alle diese Factoren einen Einfluss auf<lb/> die Zellvermehrung ausüben, aber wenn <hi rendition="#g">Spencer</hi> meint,<lb/> ehe man noch andere Ursachen für die Normirung der Zell-<lb/> vermehrung annehme, müsse man gezeigt haben, dass die<lb/> von ihm aufgeführten nicht ausreichten zur Erklärung, so<lb/> halte ich dies für einen logischen Fehlschluss. Diese Argu-<lb/> mentirung würde nur dann richtig sein, wenn eine <hi rendition="#g">unbe-<lb/> kannte</hi> Kraft zur Erklärung angenommen werden sollte,<lb/> so wie z. B. <hi rendition="#g">Spencer</hi> eine Vererbung erworbener Eigen-<lb/> schaften annimmt, um die „coadaptation“ zu erklären. Hier<lb/> steht die Sache aber anders; ich nehme zur Erklärung der<lb/> verschiedenen Lebensdauer der Zellen nicht eine unbekannte<lb/> Kraft an, sondern denjenigen Factor, den <hi rendition="#g">Herbert<lb/> Spencer</hi> vergessen hat, aufzuführen, und der der wich-<lb/> tigste von allen ist, nämlich <hi rendition="#g">die Beschaffenheit der<lb/> lebenden Zellen selbst</hi>. Oder wollte mein Gegner<lb/> etwa leugnen, dass die Qualität der lebenden Substanz der<lb/> Zelle selbst einen Einfluss auf ihre Vermehrungsfähigkeit<lb/> ausübt? Vermehren sich alle Zellen gleich stark und gleich<lb/> lang, wenn sie unter denselben äusseren Einflüssen stehen,<lb/> ist nicht vielmehr das Erste und Wichtigste von allem, was<lb/> die Zelle bestimmt, eben ihre eigne Constitution? Es ist<lb/> also wohl nicht zu bestreiten, dass diese als die zehnte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [77/0089]
Verschiedenheiten in der Dauer der Zellvermehrung zu er-
klären. Da ist zuerst der von den Eltern überkommene
Nahrungsstoff, dann die Qualität der Nahrung, der Grad
von „visceral development“, der für die Herbeischaffung
der Nahrung nöthige Aufwand von Kraft, die Kosten für
die Aufrechterhaltung der Körperwärme, und schliesslich
das Verhältniss der Masse des Körpers zur Oberfläche in
seinen verschiedenen Aeusserungen. Es ist nun gewiss
ganz richtig, dass alle diese Factoren einen Einfluss auf
die Zellvermehrung ausüben, aber wenn Spencer meint,
ehe man noch andere Ursachen für die Normirung der Zell-
vermehrung annehme, müsse man gezeigt haben, dass die
von ihm aufgeführten nicht ausreichten zur Erklärung, so
halte ich dies für einen logischen Fehlschluss. Diese Argu-
mentirung würde nur dann richtig sein, wenn eine unbe-
kannte Kraft zur Erklärung angenommen werden sollte,
so wie z. B. Spencer eine Vererbung erworbener Eigen-
schaften annimmt, um die „coadaptation“ zu erklären. Hier
steht die Sache aber anders; ich nehme zur Erklärung der
verschiedenen Lebensdauer der Zellen nicht eine unbekannte
Kraft an, sondern denjenigen Factor, den Herbert
Spencer vergessen hat, aufzuführen, und der der wich-
tigste von allen ist, nämlich die Beschaffenheit der
lebenden Zellen selbst. Oder wollte mein Gegner
etwa leugnen, dass die Qualität der lebenden Substanz der
Zelle selbst einen Einfluss auf ihre Vermehrungsfähigkeit
ausübt? Vermehren sich alle Zellen gleich stark und gleich
lang, wenn sie unter denselben äusseren Einflüssen stehen,
ist nicht vielmehr das Erste und Wichtigste von allem, was
die Zelle bestimmt, eben ihre eigne Constitution? Es ist
also wohl nicht zu bestreiten, dass diese als die zehnte
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