Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

Art der Volksredner und Advocaten -- leider auch mancher
Naturforscher ist.

Grade die Ameisen geben uns aber noch einen in-
teressanten Fall an die Hand, der beweist, dass Verküm-
merung eines Organs nicht auf Vererbung functioneller
Atrophie beruht, dass es vielmehr verkümmern
kann, auch wenn es fortfährt, zu functioniren
.
Die Verminderung der Facettenzahl an den Augen
der Arbeiterinnen nämlich würde auch dann nicht auf Ver-
erbung functioneller Atrophie bezogen werden können, wenn
die Arbeiterinnen sich fortpflanzten, denn ihre Augen werden
heute noch ebenso gut vom Licht getroffen, wie in früheren
Zeiten, wo sie noch fruchtbare Weibchen waren! Wir haben
es ja nicht mit Thieren zu thun, die in absoluter Finster-
niss leben, sondern abwechselnd im Licht und im Dunkeln,
genau so wie die fruchtbaren Weibchen, bei denen nur der
Hochzeitsflug noch hinzukommt. Die Augen der Arbeiterinnen
werden also thatsächlich nicht ausser Function gesetzt! Sie
werden vom Licht getroffen, so gut wie bei den Weibchen,
sie können also nicht aus Mangel an Function verkümmern,
sondern sie verkümmern, weil und soweit sie über-
flüssig sind zur vollkommenen Ausführung
der Lebensaufgaben einer Arbeiterin
. Also auch
auf diesem Wege werden wir zur Panmixie geführt.

Die zweite Gruppe von Veränderungen, welche an den
Arbeiterinnen eingetreten sind, ist die Vorwärtsent-
wickelung
mancher Theile, und hier ist vor allem die
bedeutend stärkere Ausbildung des Gehirns
zu nennen, die in Zusammenhang steht mit der grösseren
Intelligenz und den vielseitigeren Instincten der Arbeiterinnen,
deren Functionen bekanntlich sehr mannigfacher Art sind,

Art der Volksredner und Advocaten — leider auch mancher
Naturforscher ist.

Grade die Ameisen geben uns aber noch einen in-
teressanten Fall an die Hand, der beweist, dass Verküm-
merung eines Organs nicht auf Vererbung functioneller
Atrophie beruht, dass es vielmehr verkümmern
kann, auch wenn es fortfährt, zu functioniren
.
Die Verminderung der Facettenzahl an den Augen
der Arbeiterinnen nämlich würde auch dann nicht auf Ver-
erbung functioneller Atrophie bezogen werden können, wenn
die Arbeiterinnen sich fortpflanzten, denn ihre Augen werden
heute noch ebenso gut vom Licht getroffen, wie in früheren
Zeiten, wo sie noch fruchtbare Weibchen waren! Wir haben
es ja nicht mit Thieren zu thun, die in absoluter Finster-
niss leben, sondern abwechselnd im Licht und im Dunkeln,
genau so wie die fruchtbaren Weibchen, bei denen nur der
Hochzeitsflug noch hinzukommt. Die Augen der Arbeiterinnen
werden also thatsächlich nicht ausser Function gesetzt! Sie
werden vom Licht getroffen, so gut wie bei den Weibchen,
sie können also nicht aus Mangel an Function verkümmern,
sondern sie verkümmern, weil und soweit sie über-
flüssig sind zur vollkommenen Ausführung
der Lebensaufgaben einer Arbeiterin
. Also auch
auf diesem Wege werden wir zur Panmixie geführt.

Die zweite Gruppe von Veränderungen, welche an den
Arbeiterinnen eingetreten sind, ist die Vorwärtsent-
wickelung
mancher Theile, und hier ist vor allem die
bedeutend stärkere Ausbildung des Gehirns
zu nennen, die in Zusammenhang steht mit der grösseren
Intelligenz und den vielseitigeren Instincten der Arbeiterinnen,
deren Functionen bekanntlich sehr mannigfacher Art sind,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0034" n="22"/>
Art der Volksredner und Advocaten &#x2014; leider auch mancher<lb/>
Naturforscher ist.</p><lb/>
        <p>Grade die Ameisen geben uns aber noch einen in-<lb/>
teressanten Fall an die Hand, der beweist, dass Verküm-<lb/>
merung eines Organs nicht auf Vererbung functioneller<lb/>
Atrophie beruht, <hi rendition="#g">dass es vielmehr verkümmern<lb/>
kann, auch wenn es fortfährt, zu functioniren</hi>.<lb/>
Die <hi rendition="#g">Verminderung der Facettenzahl</hi> an den Augen<lb/>
der Arbeiterinnen nämlich würde auch dann nicht auf Ver-<lb/>
erbung functioneller Atrophie bezogen werden können, wenn<lb/>
die Arbeiterinnen sich fortpflanzten, denn ihre Augen werden<lb/>
heute noch ebenso gut vom Licht getroffen, wie in früheren<lb/>
Zeiten, wo sie noch fruchtbare Weibchen waren! Wir haben<lb/>
es ja nicht mit Thieren zu thun, die in absoluter Finster-<lb/>
niss leben, sondern abwechselnd im Licht und im Dunkeln,<lb/>
genau so wie die fruchtbaren Weibchen, bei denen nur der<lb/>
Hochzeitsflug noch hinzukommt. Die Augen der Arbeiterinnen<lb/>
werden also thatsächlich nicht ausser Function gesetzt! Sie<lb/>
werden vom Licht getroffen, so gut wie bei den Weibchen,<lb/>
sie können also nicht aus Mangel an Function verkümmern,<lb/>
sondern sie verkümmern, <hi rendition="#g">weil und soweit sie über-<lb/>
flüssig sind zur vollkommenen Ausführung<lb/>
der Lebensaufgaben einer Arbeiterin</hi>. Also auch<lb/>
auf diesem Wege werden wir zur Panmixie geführt.</p><lb/>
        <p>Die zweite Gruppe von Veränderungen, welche an den<lb/>
Arbeiterinnen eingetreten sind, ist die <hi rendition="#g">Vorwärtsent-<lb/>
wickelung</hi> mancher Theile, und hier ist vor allem die<lb/><hi rendition="#g">bedeutend stärkere Ausbildung des Gehirns</hi><lb/>
zu nennen, die in Zusammenhang steht mit der grösseren<lb/>
Intelligenz und den vielseitigeren Instincten der Arbeiterinnen,<lb/>
deren Functionen bekanntlich sehr mannigfacher Art sind,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0034] Art der Volksredner und Advocaten — leider auch mancher Naturforscher ist. Grade die Ameisen geben uns aber noch einen in- teressanten Fall an die Hand, der beweist, dass Verküm- merung eines Organs nicht auf Vererbung functioneller Atrophie beruht, dass es vielmehr verkümmern kann, auch wenn es fortfährt, zu functioniren. Die Verminderung der Facettenzahl an den Augen der Arbeiterinnen nämlich würde auch dann nicht auf Ver- erbung functioneller Atrophie bezogen werden können, wenn die Arbeiterinnen sich fortpflanzten, denn ihre Augen werden heute noch ebenso gut vom Licht getroffen, wie in früheren Zeiten, wo sie noch fruchtbare Weibchen waren! Wir haben es ja nicht mit Thieren zu thun, die in absoluter Finster- niss leben, sondern abwechselnd im Licht und im Dunkeln, genau so wie die fruchtbaren Weibchen, bei denen nur der Hochzeitsflug noch hinzukommt. Die Augen der Arbeiterinnen werden also thatsächlich nicht ausser Function gesetzt! Sie werden vom Licht getroffen, so gut wie bei den Weibchen, sie können also nicht aus Mangel an Function verkümmern, sondern sie verkümmern, weil und soweit sie über- flüssig sind zur vollkommenen Ausführung der Lebensaufgaben einer Arbeiterin. Also auch auf diesem Wege werden wir zur Panmixie geführt. Die zweite Gruppe von Veränderungen, welche an den Arbeiterinnen eingetreten sind, ist die Vorwärtsent- wickelung mancher Theile, und hier ist vor allem die bedeutend stärkere Ausbildung des Gehirns zu nennen, die in Zusammenhang steht mit der grösseren Intelligenz und den vielseitigeren Instincten der Arbeiterinnen, deren Functionen bekanntlich sehr mannigfacher Art sind,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/34
Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/34>, abgerufen am 19.04.2024.