Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

die Darwin'sche, er müsste denn versuchen wollen, die
Thatsachen selbst zu bestreiten, worauf ich zurückkommen
werde. Sobald er aber diese Erklärung als die richtige
annimmt, hat er zugleich zugegeben, dass nicht nur die
Verkümmerung überflüssig gewordener Theile, nicht nur
die höhere Entwickelung anderer Theile, sondern auch
die harmonische, zweckentsprechende Umge-
staltung vieler zusammenwirkender Theile

(cooperative parts) ohne jegliche Mitwirkung der
Vererbung erworbener Eigenschaften vor sich
gehen kann
.

Ich schreite zum Beweise. Die Ameisen gehören zu
denjenigen Thieren, welche in Bezug auf ihr Leben und
Treiben, wie auf ihre Organisation am allergenauesten unter-
sucht worden sind. Eine lange Reihe ausgezeichneter Be-
obachter haben sie anhaltender Forschung werth gehalten,
und manche von diesen haben ihnen sogar ihre Forschungs-
kraft ganz ausschliesslich gewidmet, wie P. Huber,
A. Forel
und der Jesuitenpater Wasmann. Es liegt ein
grosses und vorzügliches Material an Beobachtungen vor,
so dass theoretische Schlüsse hier auf eine feste Grundlage
gestellt werden können. Ich sehe deshalb auch ganz von
den Termiten ab, über die wir viel weniger sicher und
genau unterrichtet sind.

Dass die Arbeiterinnen der Ameisen durch
phyletische Umgestaltung fruchtbarer Weibchen entstanden
sind, wird wohl auch ohne ausführlichen Beweis zugegeben
werden. Woher sollten sie auch sonst gekommen sein?
Dies ist auch die Ansicht sämmtlicher Ameisen-Forscher
der neueren Zeit, von Forel bis zu Wasmann. Heute
noch leben einige Arten, wie Leptothorax acervorum, bei

Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. 2

die Darwin’sche, er müsste denn versuchen wollen, die
Thatsachen selbst zu bestreiten, worauf ich zurückkommen
werde. Sobald er aber diese Erklärung als die richtige
annimmt, hat er zugleich zugegeben, dass nicht nur die
Verkümmerung überflüssig gewordener Theile, nicht nur
die höhere Entwickelung anderer Theile, sondern auch
die harmonische, zweckentsprechende Umge-
staltung vieler zusammenwirkender Theile

(cooperative parts) ohne jegliche Mitwirkung der
Vererbung erworbener Eigenschaften vor sich
gehen kann
.

Ich schreite zum Beweise. Die Ameisen gehören zu
denjenigen Thieren, welche in Bezug auf ihr Leben und
Treiben, wie auf ihre Organisation am allergenauesten unter-
sucht worden sind. Eine lange Reihe ausgezeichneter Be-
obachter haben sie anhaltender Forschung werth gehalten,
und manche von diesen haben ihnen sogar ihre Forschungs-
kraft ganz ausschliesslich gewidmet, wie P. Huber,
A. Forel
und der Jesuitenpater Wasmann. Es liegt ein
grosses und vorzügliches Material an Beobachtungen vor,
so dass theoretische Schlüsse hier auf eine feste Grundlage
gestellt werden können. Ich sehe deshalb auch ganz von
den Termiten ab, über die wir viel weniger sicher und
genau unterrichtet sind.

Dass die Arbeiterinnen der Ameisen durch
phyletische Umgestaltung fruchtbarer Weibchen entstanden
sind, wird wohl auch ohne ausführlichen Beweis zugegeben
werden. Woher sollten sie auch sonst gekommen sein?
Dies ist auch die Ansicht sämmtlicher Ameisen-Forscher
der neueren Zeit, von Forel bis zu Wasmann. Heute
noch leben einige Arten, wie Leptothorax acervorum, bei

Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="17"/>
die <hi rendition="#g">Darwin&#x2019;s</hi>che, er müsste denn versuchen wollen, die<lb/>
Thatsachen selbst zu bestreiten, worauf ich zurückkommen<lb/>
werde. Sobald er aber diese Erklärung als die richtige<lb/>
annimmt, hat er zugleich zugegeben, dass nicht nur die<lb/>
Verkümmerung überflüssig gewordener Theile, nicht nur<lb/>
die höhere Entwickelung anderer Theile, <hi rendition="#g">sondern auch<lb/>
die harmonische, zweckentsprechende Umge-<lb/>
staltung vieler zusammenwirkender Theile</hi><lb/>
(cooperative parts) <hi rendition="#g">ohne jegliche Mitwirkung der<lb/>
Vererbung erworbener Eigenschaften vor sich<lb/>
gehen kann</hi>.</p><lb/>
        <p>Ich schreite zum Beweise. Die <hi rendition="#g">Ameisen</hi> gehören zu<lb/>
denjenigen Thieren, welche in Bezug auf ihr Leben und<lb/>
Treiben, wie auf ihre Organisation am allergenauesten unter-<lb/>
sucht worden sind. Eine lange Reihe ausgezeichneter Be-<lb/>
obachter haben sie anhaltender Forschung werth gehalten,<lb/>
und manche von diesen haben ihnen sogar ihre Forschungs-<lb/>
kraft ganz ausschliesslich gewidmet, wie P. <hi rendition="#g">Huber,<lb/>
A. Forel</hi> und der Jesuitenpater <hi rendition="#g">Wasmann</hi>. Es liegt ein<lb/>
grosses und vorzügliches Material an Beobachtungen vor,<lb/>
so dass theoretische Schlüsse hier auf eine feste Grundlage<lb/>
gestellt werden können. Ich sehe deshalb auch ganz von<lb/>
den Termiten ab, über die wir viel weniger sicher und<lb/>
genau unterrichtet sind.</p><lb/>
        <p>Dass die <hi rendition="#g">Arbeiterinnen der Ameisen</hi> durch<lb/>
phyletische Umgestaltung fruchtbarer Weibchen entstanden<lb/>
sind, wird wohl auch ohne ausführlichen Beweis zugegeben<lb/>
werden. Woher sollten sie auch sonst gekommen sein?<lb/>
Dies ist auch die Ansicht sämmtlicher Ameisen-Forscher<lb/>
der neueren Zeit, von <hi rendition="#g">Forel</hi> bis zu <hi rendition="#g">Wasmann</hi>. Heute<lb/>
noch leben einige Arten, wie Leptothorax acervorum, bei<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Weismann</hi>, Allmacht der Naturzüchtung. 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0029] die Darwin’sche, er müsste denn versuchen wollen, die Thatsachen selbst zu bestreiten, worauf ich zurückkommen werde. Sobald er aber diese Erklärung als die richtige annimmt, hat er zugleich zugegeben, dass nicht nur die Verkümmerung überflüssig gewordener Theile, nicht nur die höhere Entwickelung anderer Theile, sondern auch die harmonische, zweckentsprechende Umge- staltung vieler zusammenwirkender Theile (cooperative parts) ohne jegliche Mitwirkung der Vererbung erworbener Eigenschaften vor sich gehen kann. Ich schreite zum Beweise. Die Ameisen gehören zu denjenigen Thieren, welche in Bezug auf ihr Leben und Treiben, wie auf ihre Organisation am allergenauesten unter- sucht worden sind. Eine lange Reihe ausgezeichneter Be- obachter haben sie anhaltender Forschung werth gehalten, und manche von diesen haben ihnen sogar ihre Forschungs- kraft ganz ausschliesslich gewidmet, wie P. Huber, A. Forel und der Jesuitenpater Wasmann. Es liegt ein grosses und vorzügliches Material an Beobachtungen vor, so dass theoretische Schlüsse hier auf eine feste Grundlage gestellt werden können. Ich sehe deshalb auch ganz von den Termiten ab, über die wir viel weniger sicher und genau unterrichtet sind. Dass die Arbeiterinnen der Ameisen durch phyletische Umgestaltung fruchtbarer Weibchen entstanden sind, wird wohl auch ohne ausführlichen Beweis zugegeben werden. Woher sollten sie auch sonst gekommen sein? Dies ist auch die Ansicht sämmtlicher Ameisen-Forscher der neueren Zeit, von Forel bis zu Wasmann. Heute noch leben einige Arten, wie Leptothorax acervorum, bei Weismann, Allmacht der Naturzüchtung. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/29
Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/29>, abgerufen am 21.11.2024.