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Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893.

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und nach 6 Jahren hatten 57 Gruppen von den im Krystall-
palast ausgestellten Hühnern Bärte." Sollte Jemand ge-
neigt sein, zu glauben, dass diese Bärte durch Ziehen an
den Federn, oder durch was immer für eine Manipulation
oder Uebung entstanden seien? Oder der Schwanz der
Pfauentaube durch häufiges Spreizen des Schwanzes? Ich
werde meinem Kritiker eine solche Thorheit nicht zumuthen,
allein hundert von Fällen könnten angeführt werden, welche
dasselbe beweisen, dass nämlich die mannigfaltigsten Ab-
änderungen an allen möglichen Theilen von Thieren durch
blosse Auswahl der sich darbietenden Variationen zur Nach-
zucht fixirt und gesteigert werden können, bei völligem
Ausschluss irgend einer Uebung. Und nun denke man
noch weiter an die unzähligen Rassen der Blumen und
Früchte, an die Riesenstachelbeeren u. s. w., bei welchen
allen Uebung nicht in Betracht kommen kann. Keimes-
variationen
sind es, welche in allen diesen Fällen aus-
gewählt und gezüchtet wurden, und diese boten sich dar,
unabhängig von jeder Beeinflussung durch die Art der
Functionirung.

Was berechtigt uns also, grade beim Rennpferd anzu-
nehmen, dass die Uebungsresultate des Einzellebens bei den
eingetretenen Veränderungen der Nachkommen eine Rolle
spielen? Doch wohl nichts Anderes, als das Vorurtheil, es
müsse so sein.

Niemand wird es mit grösserer Freude begrüssen, als
ich, wenn die landwirthschaftliche Thierzucht sich in den
Dienst rein theoretischer Probleme stellt; dazu wäre aber
vor allem nöthig, dass sie sich dazu verstünde, diese Pro-
bleme kennen zu lernen, anstatt bloss über sie abzusprechen.
Wie wenig aber mein Kritiker in das Wesen der von ihm

und nach 6 Jahren hatten 57 Gruppen von den im Krystall-
palast ausgestellten Hühnern Bärte.“ Sollte Jemand ge-
neigt sein, zu glauben, dass diese Bärte durch Ziehen an
den Federn, oder durch was immer für eine Manipulation
oder Uebung entstanden seien? Oder der Schwanz der
Pfauentaube durch häufiges Spreizen des Schwanzes? Ich
werde meinem Kritiker eine solche Thorheit nicht zumuthen,
allein hundert von Fällen könnten angeführt werden, welche
dasselbe beweisen, dass nämlich die mannigfaltigsten Ab-
änderungen an allen möglichen Theilen von Thieren durch
blosse Auswahl der sich darbietenden Variationen zur Nach-
zucht fixirt und gesteigert werden können, bei völligem
Ausschluss irgend einer Uebung. Und nun denke man
noch weiter an die unzähligen Rassen der Blumen und
Früchte, an die Riesenstachelbeeren u. s. w., bei welchen
allen Uebung nicht in Betracht kommen kann. Keimes-
variationen
sind es, welche in allen diesen Fällen aus-
gewählt und gezüchtet wurden, und diese boten sich dar,
unabhängig von jeder Beeinflussung durch die Art der
Functionirung.

Was berechtigt uns also, grade beim Rennpferd anzu-
nehmen, dass die Uebungsresultate des Einzellebens bei den
eingetretenen Veränderungen der Nachkommen eine Rolle
spielen? Doch wohl nichts Anderes, als das Vorurtheil, es
müsse so sein.

Niemand wird es mit grösserer Freude begrüssen, als
ich, wenn die landwirthschaftliche Thierzucht sich in den
Dienst rein theoretischer Probleme stellt; dazu wäre aber
vor allem nöthig, dass sie sich dazu verstünde, diese Pro-
bleme kennen zu lernen, anstatt bloss über sie abzusprechen.
Wie wenig aber mein Kritiker in das Wesen der von ihm

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[5/0017] und nach 6 Jahren hatten 57 Gruppen von den im Krystall- palast ausgestellten Hühnern Bärte.“ Sollte Jemand ge- neigt sein, zu glauben, dass diese Bärte durch Ziehen an den Federn, oder durch was immer für eine Manipulation oder Uebung entstanden seien? Oder der Schwanz der Pfauentaube durch häufiges Spreizen des Schwanzes? Ich werde meinem Kritiker eine solche Thorheit nicht zumuthen, allein hundert von Fällen könnten angeführt werden, welche dasselbe beweisen, dass nämlich die mannigfaltigsten Ab- änderungen an allen möglichen Theilen von Thieren durch blosse Auswahl der sich darbietenden Variationen zur Nach- zucht fixirt und gesteigert werden können, bei völligem Ausschluss irgend einer Uebung. Und nun denke man noch weiter an die unzähligen Rassen der Blumen und Früchte, an die Riesenstachelbeeren u. s. w., bei welchen allen Uebung nicht in Betracht kommen kann. Keimes- variationen sind es, welche in allen diesen Fällen aus- gewählt und gezüchtet wurden, und diese boten sich dar, unabhängig von jeder Beeinflussung durch die Art der Functionirung. Was berechtigt uns also, grade beim Rennpferd anzu- nehmen, dass die Uebungsresultate des Einzellebens bei den eingetretenen Veränderungen der Nachkommen eine Rolle spielen? Doch wohl nichts Anderes, als das Vorurtheil, es müsse so sein. Niemand wird es mit grösserer Freude begrüssen, als ich, wenn die landwirthschaftliche Thierzucht sich in den Dienst rein theoretischer Probleme stellt; dazu wäre aber vor allem nöthig, dass sie sich dazu verstünde, diese Pro- bleme kennen zu lernen, anstatt bloss über sie abzusprechen. Wie wenig aber mein Kritiker in das Wesen der von ihm

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Zitationshilfe: Weismann, August: Die Allmacht der Naturzüchtung. Eine Erwiderung an Herbert Spencer. Jena, 1893, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_naturzuechtung_1893/17>, abgerufen am 23.04.2024.