die beiden Hälften der Chromatinstäbchen, um von nun an nie wieder in einem Kern zusammenzutreffen; jede kommt in einen besonderen Kern zu liegen und jeder Kern wird durch einen besonderen Zellkörper von dem andern getrennt. Es fragt sich nun, ob alle diese Stückchen der Vererbungssubstanz, welche den Chromatinbaum eines Organismus zusammensetzen, untereinander gleich oder aber verschieden sind, und es lässt sich leicht zeigen, dass das Letztere der Fall sein muss.
Wir fussen auf der sichergestellten Annahme, dass das Chromatin im Kern des befruchteten Eies diejenige Substanz ist, welche die Vererbung bewirkt. Wir wissen, dass an der winzigen Masse einiger Chromatinkörnchen im Kern z. B. der Samenzelle die Möglichkeit hängt, dass der sich entwickelnde Organismus dem Vater in tausenderlei physischen und geistigen Eigenschaften ähnlich wird. Da wir nun andrerseits auch wissen, dass die Eigenschaften eines fertigen Organismus im Grossen, wie im Kleinsten von der Anordnung, Zahl und Be- schaffenheit der Zellen abhängt, die ihn zusammensetzen, so kann der Einfluss, den die winzige Menge von väterlichem Chromatin im Kern der befruchteten Eizelle auf den Gang der Entwickelung ausübt, kein anderer sein, als dass durch sie das Wesen und der Vermehrungsrhythmus der kindlichen Körper- zellen derart bestimmt wird, dass sie den Zellen des väterlichen Körpers ähnlich werden. Das Chromatin ist also im Stande, der Zelle, in deren Kern es liegt, einen speci- fischen Charakter aufzudrücken. Da nun die Tausende von Zellen, welche den Organismus zusammensetzen, einen sehr verschiedenen Charakter besitzen, so kann das Chromatin, welches sie beherrscht, nicht das gleiche, es muss viel- mehr in jeder Art von Zellen ein verschiedenes sein.
Auch kann dasselbe nicht erst in den Zellen des fertigen Organismus verschieden werden, sondern die Verschiedenheit
die beiden Hälften der Chromatinstäbchen, um von nun an nie wieder in einem Kern zusammenzutreffen; jede kommt in einen besonderen Kern zu liegen und jeder Kern wird durch einen besonderen Zellkörper von dem andern getrennt. Es fragt sich nun, ob alle diese Stückchen der Vererbungssubstanz, welche den Chromatinbaum eines Organismus zusammensetzen, untereinander gleich oder aber verschieden sind, und es lässt sich leicht zeigen, dass das Letztere der Fall sein muss.
Wir fussen auf der sichergestellten Annahme, dass das Chromatin im Kern des befruchteten Eies diejenige Substanz ist, welche die Vererbung bewirkt. Wir wissen, dass an der winzigen Masse einiger Chromatinkörnchen im Kern z. B. der Samenzelle die Möglichkeit hängt, dass der sich entwickelnde Organismus dem Vater in tausenderlei physischen und geistigen Eigenschaften ähnlich wird. Da wir nun andrerseits auch wissen, dass die Eigenschaften eines fertigen Organismus im Grossen, wie im Kleinsten von der Anordnung, Zahl und Be- schaffenheit der Zellen abhängt, die ihn zusammensetzen, so kann der Einfluss, den die winzige Menge von väterlichem Chromatin im Kern der befruchteten Eizelle auf den Gang der Entwickelung ausübt, kein anderer sein, als dass durch sie das Wesen und der Vermehrungsrhythmus der kindlichen Körper- zellen derart bestimmt wird, dass sie den Zellen des väterlichen Körpers ähnlich werden. Das Chromatin ist also im Stande, der Zelle, in deren Kern es liegt, einen speci- fischen Charakter aufzudrücken. Da nun die Tausende von Zellen, welche den Organismus zusammensetzen, einen sehr verschiedenen Charakter besitzen, so kann das Chromatin, welches sie beherrscht, nicht das gleiche, es muss viel- mehr in jeder Art von Zellen ein verschiedenes sein.
Auch kann dasselbe nicht erst in den Zellen des fertigen Organismus verschieden werden, sondern die Verschiedenheit
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die beiden Hälften der Chromatinstäbchen, um von nun an nie
wieder in einem Kern zusammenzutreffen; jede kommt in
einen besonderen Kern zu liegen und jeder Kern wird durch
einen besonderen Zellkörper von dem andern getrennt. Es
fragt sich nun, ob alle diese Stückchen der Vererbungssubstanz,
welche den Chromatinbaum eines Organismus zusammensetzen,
untereinander gleich oder aber verschieden sind, und es lässt
sich leicht zeigen, dass das Letztere der Fall sein muss.
Wir fussen auf der sichergestellten Annahme, dass das
Chromatin im Kern des befruchteten Eies diejenige Substanz
ist, welche die Vererbung bewirkt. Wir wissen, dass an der
winzigen Masse einiger Chromatinkörnchen im Kern z. B. der
Samenzelle die Möglichkeit hängt, dass der sich entwickelnde
Organismus dem Vater in tausenderlei physischen und geistigen
Eigenschaften ähnlich wird. Da wir nun andrerseits auch
wissen, dass die Eigenschaften eines fertigen Organismus im
Grossen, wie im Kleinsten von der Anordnung, Zahl und Be-
schaffenheit der Zellen abhängt, die ihn zusammensetzen, so
kann der Einfluss, den die winzige Menge von väterlichem
Chromatin im Kern der befruchteten Eizelle auf den Gang der
Entwickelung ausübt, kein anderer sein, als dass durch sie das
Wesen und der Vermehrungsrhythmus der kindlichen Körper-
zellen derart bestimmt wird, dass sie den Zellen des väterlichen
Körpers ähnlich werden. Das Chromatin ist also im
Stande, der Zelle, in deren Kern es liegt, einen speci-
fischen Charakter aufzudrücken. Da nun die Tausende
von Zellen, welche den Organismus zusammensetzen, einen sehr
verschiedenen Charakter besitzen, so kann das Chromatin,
welches sie beherrscht, nicht das gleiche, es muss viel-
mehr in jeder Art von Zellen ein verschiedenes sein.
Auch kann dasselbe nicht erst in den Zellen des fertigen
Organismus verschieden werden, sondern die Verschiedenheit
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/67>, abgerufen am 27.11.2024.
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