Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

erbungserscheinungen selbst und ihrer Erklärung noch recht
ferne steht. Ist man in diese etwas tiefer eingedrungen, so
wird man nicht mehr zweifeln, dass der Bau der Vererbungs-
substanz ein so verwickelter sein muss, dass wir nur staunen
können, wie er dennoch ausführbar war. Wenn wir nun sehen,
dass im Kern eine Substanz enthalten ist, welche schon für
unser blödes Auge sehr complicirt beschaffen ist, welche in
höchst auffälliger Weise sich nach jeder Zelltheilung verändert,
um sich bei Herannahen einer neuen Zelltheilung wieder rück-
zuverändern; wenn wir weiter sehen, dass offenbar für die
genaueste Halbirung dieser Substanz ein besonderer Theilungs-
apparat der Zelle beigegeben ist, so ist es kaum mehr eine
Hypothese zu nennen, wenn wir sagen: diese Substanz ist
die Vererbungssubstanz
.

Man hat auch gemeint, der neuerdings durch Fol1) und
Guignard2) gelieferte Nachweis, dass bei der Befruchtung nicht
lediglich der Kern, sondern immer auch der dem Zellkörper
angehörige Theilungs-Apparat, das Centrosama mit seiner
Attractionssphäre übertragen werde, sei ein Beweis gegen die
Auffassung der Chromosomen als der Vererbungssubstanz. Wenn
ich aber zwei entfernte Haufen Getreide auf zwei Wagen lade,
vor jeden Wagen ein Pferd spanne und sie zusammen auf einen
Platz führen lasse, liegt darin ein Beweis, dass die Pferde auch
Getreide sind? Sie sind Bewegungsmittel, und so sind es auch
die Centrosomen; ob diese Letzteren zugleich auch noch etwas
Anderes, also Vererbungssubstanz sind, wäre erst noch zu be-
weisen und ist wohl kaum unwahrscheinlicher, als dass die
Pferde zugleich Korn seien.

1) Fol, "Le quadrille des Centres". Archiv. sc. phys. et nat.
Geneve, 15 Avril 1891.
2) Guignard, "Sur l'existence des spheres attractives dans les
cellules vegetales". Compt. rend. Acad. sc. 9 Mars 1891.

erbungserscheinungen selbst und ihrer Erklärung noch recht
ferne steht. Ist man in diese etwas tiefer eingedrungen, so
wird man nicht mehr zweifeln, dass der Bau der Vererbungs-
substanz ein so verwickelter sein muss, dass wir nur staunen
können, wie er dennoch ausführbar war. Wenn wir nun sehen,
dass im Kern eine Substanz enthalten ist, welche schon für
unser blödes Auge sehr complicirt beschaffen ist, welche in
höchst auffälliger Weise sich nach jeder Zelltheilung verändert,
um sich bei Herannahen einer neuen Zelltheilung wieder rück-
zuverändern; wenn wir weiter sehen, dass offenbar für die
genaueste Halbirung dieser Substanz ein besonderer Theilungs-
apparat der Zelle beigegeben ist, so ist es kaum mehr eine
Hypothese zu nennen, wenn wir sagen: diese Substanz ist
die Vererbungssubstanz
.

Man hat auch gemeint, der neuerdings durch Fol1) und
Guignard2) gelieferte Nachweis, dass bei der Befruchtung nicht
lediglich der Kern, sondern immer auch der dem Zellkörper
angehörige Theilungs-Apparat, das Centrosama mit seiner
Attractionssphäre übertragen werde, sei ein Beweis gegen die
Auffassung der Chromosomen als der Vererbungssubstanz. Wenn
ich aber zwei entfernte Haufen Getreide auf zwei Wagen lade,
vor jeden Wagen ein Pferd spanne und sie zusammen auf einen
Platz führen lasse, liegt darin ein Beweis, dass die Pferde auch
Getreide sind? Sie sind Bewegungsmittel, und so sind es auch
die Centrosomen; ob diese Letzteren zugleich auch noch etwas
Anderes, also Vererbungssubstanz sind, wäre erst noch zu be-
weisen und ist wohl kaum unwahrscheinlicher, als dass die
Pferde zugleich Korn seien.

1) Fol, „Le quadrille des Centres“. Archiv. sc. phys. et nat.
Genève, 15 Avril 1891.
2) Guignard, „Sur l’existence des sphères attractives dans les
cellules végétales“. Compt. rend. Acad. sc. 9 Mars 1891.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0064" n="40"/>
erbungserscheinungen selbst und ihrer Erklärung noch recht<lb/>
ferne steht. Ist man in diese etwas tiefer eingedrungen, so<lb/>
wird man nicht mehr zweifeln, dass der Bau der Vererbungs-<lb/>
substanz ein so verwickelter sein muss, dass wir nur staunen<lb/>
können, wie er dennoch ausführbar war. Wenn wir nun sehen,<lb/>
dass im Kern eine Substanz enthalten ist, welche schon für<lb/>
unser blödes Auge sehr complicirt beschaffen ist, welche in<lb/>
höchst auffälliger Weise sich nach jeder Zelltheilung verändert,<lb/>
um sich bei Herannahen einer neuen Zelltheilung wieder rück-<lb/>
zuverändern; wenn wir weiter sehen, dass offenbar für die<lb/>
genaueste Halbirung dieser Substanz ein besonderer Theilungs-<lb/>
apparat der Zelle beigegeben ist, so ist es kaum mehr eine<lb/>
Hypothese zu nennen, wenn wir sagen: <hi rendition="#g">diese Substanz ist<lb/>
die Vererbungssubstanz</hi>.</p><lb/>
          <p>Man hat auch gemeint, der neuerdings durch <hi rendition="#g">Fol</hi><note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Fol</hi>, &#x201E;Le quadrille des Centres&#x201C;. Archiv. sc. phys. et nat.<lb/>
Genève, 15 Avril 1891.</note> und<lb/>
Guignard<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Guignard</hi>, &#x201E;Sur l&#x2019;existence des sphères attractives dans les<lb/>
cellules végétales&#x201C;. Compt. rend. Acad. sc. 9 Mars 1891.</note> gelieferte Nachweis, dass bei der Befruchtung nicht<lb/>
lediglich der Kern, sondern immer auch der dem Zellkörper<lb/>
angehörige Theilungs-Apparat, das Centrosama mit seiner<lb/>
Attractionssphäre übertragen werde, sei ein Beweis gegen die<lb/>
Auffassung der Chromosomen als der Vererbungssubstanz. Wenn<lb/>
ich aber zwei entfernte Haufen Getreide auf zwei Wagen lade,<lb/>
vor jeden Wagen ein Pferd spanne und sie zusammen auf einen<lb/>
Platz führen lasse, liegt darin ein Beweis, dass die Pferde auch<lb/>
Getreide sind? Sie sind Bewegungsmittel, und so sind es auch<lb/>
die Centrosomen; ob diese Letzteren zugleich auch noch etwas<lb/>
Anderes, also Vererbungssubstanz sind, wäre erst noch zu be-<lb/>
weisen und ist wohl kaum unwahrscheinlicher, als dass die<lb/>
Pferde zugleich Korn seien.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0064] erbungserscheinungen selbst und ihrer Erklärung noch recht ferne steht. Ist man in diese etwas tiefer eingedrungen, so wird man nicht mehr zweifeln, dass der Bau der Vererbungs- substanz ein so verwickelter sein muss, dass wir nur staunen können, wie er dennoch ausführbar war. Wenn wir nun sehen, dass im Kern eine Substanz enthalten ist, welche schon für unser blödes Auge sehr complicirt beschaffen ist, welche in höchst auffälliger Weise sich nach jeder Zelltheilung verändert, um sich bei Herannahen einer neuen Zelltheilung wieder rück- zuverändern; wenn wir weiter sehen, dass offenbar für die genaueste Halbirung dieser Substanz ein besonderer Theilungs- apparat der Zelle beigegeben ist, so ist es kaum mehr eine Hypothese zu nennen, wenn wir sagen: diese Substanz ist die Vererbungssubstanz. Man hat auch gemeint, der neuerdings durch Fol 1) und Guignard 2) gelieferte Nachweis, dass bei der Befruchtung nicht lediglich der Kern, sondern immer auch der dem Zellkörper angehörige Theilungs-Apparat, das Centrosama mit seiner Attractionssphäre übertragen werde, sei ein Beweis gegen die Auffassung der Chromosomen als der Vererbungssubstanz. Wenn ich aber zwei entfernte Haufen Getreide auf zwei Wagen lade, vor jeden Wagen ein Pferd spanne und sie zusammen auf einen Platz führen lasse, liegt darin ein Beweis, dass die Pferde auch Getreide sind? Sie sind Bewegungsmittel, und so sind es auch die Centrosomen; ob diese Letzteren zugleich auch noch etwas Anderes, also Vererbungssubstanz sind, wäre erst noch zu be- weisen und ist wohl kaum unwahrscheinlicher, als dass die Pferde zugleich Korn seien. 1) Fol, „Le quadrille des Centres“. Archiv. sc. phys. et nat. Genève, 15 Avril 1891. 2) Guignard, „Sur l’existence des sphères attractives dans les cellules végétales“. Compt. rend. Acad. sc. 9 Mars 1891.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/64
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/64>, abgerufen am 24.11.2024.