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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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Sehr einfach erklärt sich ferner die Beobachtung, dass die
Sämlinge einer Variation, z. B. der Balsamine, zwar alle den
Eltern glichen, selbst aber nicht alle den Charakter der Abart
ihren Nachkommen überlieferten. Hier war in den Tochter-
pflanzen der Abart überall noch eine Majorität abgeänderter
Determinanten vorhanden gewesen, aber in sehr verschiedener
Stärke. Solche Töchter, welche eine sehr starke Majorität in
ihrem Keimplasma enthielten, mussten nothwendig auch eine
Überzahl von Keimzellen liefern, in welchen eine Majorität
abgeänderter Determinanten enthalten war, bei denen aber mit
schwacher Majorität wird die Wahrscheinlichkeit überwogen
haben, dass die Sämlinge nur Minoritäten enthielten.

Darwin berichtet, dass von der wild gefundenen gefleckten
Abart der Ballota nigra Sämlinge erhalten wurden, von welchen
nur 30 Procent die gefleckten Blätter der Mutterpflanze besassen;
der Samen aber dieser gefleckten Pflanzen zweiter Generation
ergab 60 Procent der Abart. Auch dies stimmt völlig mit der
Theorie, denn in der Mutterpflanze können nicht lauter ab-
geänderte Determinanten der Blätter enthalten gewesen sein,
sondern nur eine Majorität derselben; diese nun wird bei den
Reductionstheilungen der Keimzellen in verschiedener Weise
gruppirt worden sein. Ob ein Samen die Abart oder die Stamm-
form hervorbrachte, hing davon ab, ob bei der Befruchtung
eine Majorität, oder eine Minorität abgeänderter Determinanten
zusammengeführt wurde. Da nun von den Pflanzen zweiter
Generation nur diejenigen zur Nachzucht benutzt wurden, die
abgeändert waren, so trafen jetzt zahlreichere Abart-Determinanten
bei der Befruchtung zusammen, und der Procentsatz der
Abart musste in der dritten Generation steigen
. Er
würde noch mehr gestiegen sein, wenn man auf dieselbe Weise
noch eine vierte und fünfte Generation gezüchtet hätte, denn
in Samen, die die Abart geben, muss das Keimplasma jedenfalls

Sehr einfach erklärt sich ferner die Beobachtung, dass die
Sämlinge einer Variation, z. B. der Balsamine, zwar alle den
Eltern glichen, selbst aber nicht alle den Charakter der Abart
ihren Nachkommen überlieferten. Hier war in den Tochter-
pflanzen der Abart überall noch eine Majorität abgeänderter
Determinanten vorhanden gewesen, aber in sehr verschiedener
Stärke. Solche Töchter, welche eine sehr starke Majorität in
ihrem Keimplasma enthielten, mussten nothwendig auch eine
Überzahl von Keimzellen liefern, in welchen eine Majorität
abgeänderter Determinanten enthalten war, bei denen aber mit
schwacher Majorität wird die Wahrscheinlichkeit überwogen
haben, dass die Sämlinge nur Minoritäten enthielten.

Darwin berichtet, dass von der wild gefundenen gefleckten
Abart der Ballota nigra Sämlinge erhalten wurden, von welchen
nur 30 Procent die gefleckten Blätter der Mutterpflanze besassen;
der Samen aber dieser gefleckten Pflanzen zweiter Generation
ergab 60 Procent der Abart. Auch dies stimmt völlig mit der
Theorie, denn in der Mutterpflanze können nicht lauter ab-
geänderte Determinanten der Blätter enthalten gewesen sein,
sondern nur eine Majorität derselben; diese nun wird bei den
Reductionstheilungen der Keimzellen in verschiedener Weise
gruppirt worden sein. Ob ein Samen die Abart oder die Stamm-
form hervorbrachte, hing davon ab, ob bei der Befruchtung
eine Majorität, oder eine Minorität abgeänderter Determinanten
zusammengeführt wurde. Da nun von den Pflanzen zweiter
Generation nur diejenigen zur Nachzucht benutzt wurden, die
abgeändert waren, so trafen jetzt zahlreichere Abart-Determinanten
bei der Befruchtung zusammen, und der Procentsatz der
Abart musste in der dritten Generation steigen
. Er
würde noch mehr gestiegen sein, wenn man auf dieselbe Weise
noch eine vierte und fünfte Generation gezüchtet hätte, denn
in Samen, die die Abart geben, muss das Keimplasma jedenfalls

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[586/0610] Sehr einfach erklärt sich ferner die Beobachtung, dass die Sämlinge einer Variation, z. B. der Balsamine, zwar alle den Eltern glichen, selbst aber nicht alle den Charakter der Abart ihren Nachkommen überlieferten. Hier war in den Tochter- pflanzen der Abart überall noch eine Majorität abgeänderter Determinanten vorhanden gewesen, aber in sehr verschiedener Stärke. Solche Töchter, welche eine sehr starke Majorität in ihrem Keimplasma enthielten, mussten nothwendig auch eine Überzahl von Keimzellen liefern, in welchen eine Majorität abgeänderter Determinanten enthalten war, bei denen aber mit schwacher Majorität wird die Wahrscheinlichkeit überwogen haben, dass die Sämlinge nur Minoritäten enthielten. Darwin berichtet, dass von der wild gefundenen gefleckten Abart der Ballota nigra Sämlinge erhalten wurden, von welchen nur 30 Procent die gefleckten Blätter der Mutterpflanze besassen; der Samen aber dieser gefleckten Pflanzen zweiter Generation ergab 60 Procent der Abart. Auch dies stimmt völlig mit der Theorie, denn in der Mutterpflanze können nicht lauter ab- geänderte Determinanten der Blätter enthalten gewesen sein, sondern nur eine Majorität derselben; diese nun wird bei den Reductionstheilungen der Keimzellen in verschiedener Weise gruppirt worden sein. Ob ein Samen die Abart oder die Stamm- form hervorbrachte, hing davon ab, ob bei der Befruchtung eine Majorität, oder eine Minorität abgeänderter Determinanten zusammengeführt wurde. Da nun von den Pflanzen zweiter Generation nur diejenigen zur Nachzucht benutzt wurden, die abgeändert waren, so trafen jetzt zahlreichere Abart-Determinanten bei der Befruchtung zusammen, und der Procentsatz der Abart musste in der dritten Generation steigen. Er würde noch mehr gestiegen sein, wenn man auf dieselbe Weise noch eine vierte und fünfte Generation gezüchtet hätte, denn in Samen, die die Abart geben, muss das Keimplasma jedenfalls

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/610>, abgerufen am 23.11.2024.