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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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wären gezwungen auf noch viel weiter zurückliegende Vorfahren
zurückzugehen, um die von Darwin gemachte und von Barde-
leben, Wiedersheim
und Andern früher angenommene Deutung
der Polydactylie des Menschen zu stützen.

Dafür aber fehlt nicht nur jeder sichere Anhalt, sondern
es scheinen mir gewichtige Gründe dagegen zu sprechen. Ein-
mal ist doch nicht zu vergessen, dass jene Urahnen des Menschen
noch keine menschlichen Finger besessen haben; die überzähligen
Finger sind aber wirkliche Finger, nicht immer vollständig aus-
gebildet, aber doch mit dem typischen Nagel des Menschen,
nicht etwa mit einer Kralle versehen. Es scheint mir nicht
statthaft, anzunehmen, dass dieser überzählige Finger zwar durch
eine Determinantengruppe des Keimplasma's vertreten sei, die
von einem Urahn herstammt, die dabei aber die Umwandlung
in den Typus des menschlichen Fingers durchgemacht habe.

Dazu kommt dann noch der Umstand, dass es Fälle von
Verdoppelung an Gliedmaassen giebt, die ihrer Natur nach nicht
atavistisch gedeutet werden können, denn Insekten z. B. haben
niemals doppelte Tarsen gehabt. Es muss also eine solche
Verdoppelung auch auf andere Weise entstehen können.

Ausserdem lässt sich die Plötzlichkeit des Auftretens der
Polydaktylie und ihre starke Neigung zu erblicher Übertragung
sehr wohl durch die Annahme verstehen, dass eine Verdoppe-
lung der betreffenden Determinantengruppe durch lokale excessive
Ernährungsverhältnisse hervorgerufen worden sei.1) Denn wenn
einmal eine solche Verdoppelung in vielen Iden des Keim-

1) Dr. R. Zander hat sich in jüngster Zeit für die Entstehung der
überzähligen Finger u. s. w. durch mechanische Einschnürung der
embryonalen Fingeranlagen von Seiten ammiotischer Fäden erklärt. Sie
würden dann aber nicht erblich sein können, und die Verdoppelung des
Tarsus von Käfern würde doch eine andere Erklärung verlangen. Vgl.:
"Ist die Polydaktylie als theromorphe Varietät oder als Missbildung an-
zusehen?" in Virch. Arch., Bd. 125, p. 453. 1891.

wären gezwungen auf noch viel weiter zurückliegende Vorfahren
zurückzugehen, um die von Darwin gemachte und von Barde-
leben, Wiedersheim
und Andern früher angenommene Deutung
der Polydactylie des Menschen zu stützen.

Dafür aber fehlt nicht nur jeder sichere Anhalt, sondern
es scheinen mir gewichtige Gründe dagegen zu sprechen. Ein-
mal ist doch nicht zu vergessen, dass jene Urahnen des Menschen
noch keine menschlichen Finger besessen haben; die überzähligen
Finger sind aber wirkliche Finger, nicht immer vollständig aus-
gebildet, aber doch mit dem typischen Nagel des Menschen,
nicht etwa mit einer Kralle versehen. Es scheint mir nicht
statthaft, anzunehmen, dass dieser überzählige Finger zwar durch
eine Determinantengruppe des Keimplasma’s vertreten sei, die
von einem Urahn herstammt, die dabei aber die Umwandlung
in den Typus des menschlichen Fingers durchgemacht habe.

Dazu kommt dann noch der Umstand, dass es Fälle von
Verdoppelung an Gliedmaassen giebt, die ihrer Natur nach nicht
atavistisch gedeutet werden können, denn Insekten z. B. haben
niemals doppelte Tarsen gehabt. Es muss also eine solche
Verdoppelung auch auf andere Weise entstehen können.

Ausserdem lässt sich die Plötzlichkeit des Auftretens der
Polydaktylie und ihre starke Neigung zu erblicher Übertragung
sehr wohl durch die Annahme verstehen, dass eine Verdoppe-
lung der betreffenden Determinantengruppe durch lokale excessive
Ernährungsverhältnisse hervorgerufen worden sei.1) Denn wenn
einmal eine solche Verdoppelung in vielen Iden des Keim-

1) Dr. R. Zander hat sich in jüngster Zeit für die Entstehung der
überzähligen Finger u. s. w. durch mechanische Einschnürung der
embryonalen Fingeranlagen von Seiten ammiotischer Fäden erklärt. Sie
würden dann aber nicht erblich sein können, und die Verdoppelung des
Tarsus von Käfern würde doch eine andere Erklärung verlangen. Vgl.:
„Ist die Polydaktylie als theromorphe Varietät oder als Missbildung an-
zusehen?“ in Virch. Arch., Bd. 125, p. 453. 1891.
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[564/0588] wären gezwungen auf noch viel weiter zurückliegende Vorfahren zurückzugehen, um die von Darwin gemachte und von Barde- leben, Wiedersheim und Andern früher angenommene Deutung der Polydactylie des Menschen zu stützen. Dafür aber fehlt nicht nur jeder sichere Anhalt, sondern es scheinen mir gewichtige Gründe dagegen zu sprechen. Ein- mal ist doch nicht zu vergessen, dass jene Urahnen des Menschen noch keine menschlichen Finger besessen haben; die überzähligen Finger sind aber wirkliche Finger, nicht immer vollständig aus- gebildet, aber doch mit dem typischen Nagel des Menschen, nicht etwa mit einer Kralle versehen. Es scheint mir nicht statthaft, anzunehmen, dass dieser überzählige Finger zwar durch eine Determinantengruppe des Keimplasma’s vertreten sei, die von einem Urahn herstammt, die dabei aber die Umwandlung in den Typus des menschlichen Fingers durchgemacht habe. Dazu kommt dann noch der Umstand, dass es Fälle von Verdoppelung an Gliedmaassen giebt, die ihrer Natur nach nicht atavistisch gedeutet werden können, denn Insekten z. B. haben niemals doppelte Tarsen gehabt. Es muss also eine solche Verdoppelung auch auf andere Weise entstehen können. Ausserdem lässt sich die Plötzlichkeit des Auftretens der Polydaktylie und ihre starke Neigung zu erblicher Übertragung sehr wohl durch die Annahme verstehen, dass eine Verdoppe- lung der betreffenden Determinantengruppe durch lokale excessive Ernährungsverhältnisse hervorgerufen worden sei. 1) Denn wenn einmal eine solche Verdoppelung in vielen Iden des Keim- 1) Dr. R. Zander hat sich in jüngster Zeit für die Entstehung der überzähligen Finger u. s. w. durch mechanische Einschnürung der embryonalen Fingeranlagen von Seiten ammiotischer Fäden erklärt. Sie würden dann aber nicht erblich sein können, und die Verdoppelung des Tarsus von Käfern würde doch eine andere Erklärung verlangen. Vgl.: „Ist die Polydaktylie als theromorphe Varietät oder als Missbildung an- zusehen?“ in Virch. Arch., Bd. 125, p. 453. 1891.

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/588>, abgerufen am 22.11.2024.