Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

auf der Vererbung eines Körpers von höherer Vulnerabilität
beruht. Zahlreiche Thatsachen scheinen mir vielmehr dafür zu
sprechen, dass dabei in erster Linie Infection des Keimes
im Spiel ist
. Es ist hier nicht der Ort, darauf im Näheren
einzutreten und einen Beweis zu versuchen -- dies wäre über-
dies mehr Sache der Pathologen --; ich habe hier nur darauf
hinweisen wollen, dass eine Combination von Vererbung und
Infection des Keimes sehr wohl denkbar ist. Die phyletische
Entstehung
solcher sog. "constitutioneller" Krankheiten wird
vermuthlich darauf beruhen, dass gewisse Constitutionen vor-
kamen, welche für eine bestimmte Mikroben-Art leichter affi-
cirbar waren, als die normale. Solche Menschen wurden also
leichter von aussen her von der betreffenden Krankheit befallen.
Hatte diese sich aber einmal in ihnen festgesetzt, und war sie
eine derartige, welche nur langsam zum Tod führt, so bot sich
den Mikroben eine neue und weit sicherere Gelegenheit, sich auf
andere Wirthe zu übertragen, als sie ihnen das Eindringen in
den Körper von aussen her bisher dargeboten hatte: sie setzten
sich in den Keimzellen des befallenen Individuums fest und
übertrugen sich so auf die Nachkommen. Wenn auch der
Nachweis solcher Schmarotzer in den Keimzellen gerade bei
der Tuberkulose noch nicht geführt ist, so liegt doch darin
meines Erachtens nicht im Geringsten ein Beweis, dass diese
Infection nicht dennoch stattfindet. Es ist nicht einmal gesagt,
dass die Mikroben innerhalb der Keimzellen die ihnen sonst
zukommende Grösse und Gestalt haben müssen. Ihre Lebens-
eigenschaften sind jedenfalls dort andere; denn vermehrten sie
sich in der Ei- oder Samenzelle derart, wie sie dies in den
ihnen zusagenden Geweben thun, so würden sie die Keimzellen
rasch zerstören. Wie bei andern Schmarotzern zahllose An-
passungen an den Wirth eingetreten sind, so werden solche
auch hier nicht fehlen; vor Allem dürften sich Latenzperioden

auf der Vererbung eines Körpers von höherer Vulnerabilität
beruht. Zahlreiche Thatsachen scheinen mir vielmehr dafür zu
sprechen, dass dabei in erster Linie Infection des Keimes
im Spiel ist
. Es ist hier nicht der Ort, darauf im Näheren
einzutreten und einen Beweis zu versuchen — dies wäre über-
dies mehr Sache der Pathologen —; ich habe hier nur darauf
hinweisen wollen, dass eine Combination von Vererbung und
Infection des Keimes sehr wohl denkbar ist. Die phyletische
Entstehung
solcher sog. „constitutioneller“ Krankheiten wird
vermuthlich darauf beruhen, dass gewisse Constitutionen vor-
kamen, welche für eine bestimmte Mikroben-Art leichter affi-
cirbar waren, als die normale. Solche Menschen wurden also
leichter von aussen her von der betreffenden Krankheit befallen.
Hatte diese sich aber einmal in ihnen festgesetzt, und war sie
eine derartige, welche nur langsam zum Tod führt, so bot sich
den Mikroben eine neue und weit sicherere Gelegenheit, sich auf
andere Wirthe zu übertragen, als sie ihnen das Eindringen in
den Körper von aussen her bisher dargeboten hatte: sie setzten
sich in den Keimzellen des befallenen Individuums fest und
übertrugen sich so auf die Nachkommen. Wenn auch der
Nachweis solcher Schmarotzer in den Keimzellen gerade bei
der Tuberkulose noch nicht geführt ist, so liegt doch darin
meines Erachtens nicht im Geringsten ein Beweis, dass diese
Infection nicht dennoch stattfindet. Es ist nicht einmal gesagt,
dass die Mikroben innerhalb der Keimzellen die ihnen sonst
zukommende Grösse und Gestalt haben müssen. Ihre Lebens-
eigenschaften sind jedenfalls dort andere; denn vermehrten sie
sich in der Ei- oder Samenzelle derart, wie sie dies in den
ihnen zusagenden Geweben thun, so würden sie die Keimzellen
rasch zerstören. Wie bei andern Schmarotzern zahllose An-
passungen an den Wirth eingetreten sind, so werden solche
auch hier nicht fehlen; vor Allem dürften sich Latenzperioden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0536" n="512"/>
auf der Vererbung eines Körpers von höherer Vulnerabilität<lb/>
beruht. Zahlreiche Thatsachen scheinen mir vielmehr dafür zu<lb/>
sprechen, dass dabei <hi rendition="#g">in erster Linie Infection des Keimes<lb/>
im Spiel ist</hi>. Es ist hier nicht der Ort, darauf im Näheren<lb/>
einzutreten und einen Beweis zu versuchen &#x2014; dies wäre über-<lb/>
dies mehr Sache der Pathologen &#x2014;; ich habe hier nur darauf<lb/>
hinweisen wollen, dass eine Combination von Vererbung und<lb/>
Infection des Keimes sehr wohl denkbar ist. <hi rendition="#g">Die phyletische<lb/>
Entstehung</hi> solcher sog. &#x201E;constitutioneller&#x201C; Krankheiten wird<lb/>
vermuthlich darauf beruhen, dass gewisse Constitutionen vor-<lb/>
kamen, welche für eine bestimmte Mikroben-Art leichter affi-<lb/>
cirbar waren, als die normale. Solche Menschen wurden also<lb/>
leichter von aussen her von der betreffenden Krankheit befallen.<lb/>
Hatte diese sich aber einmal in ihnen festgesetzt, und war sie<lb/>
eine derartige, welche nur langsam zum Tod führt, so bot sich<lb/>
den Mikroben eine neue und weit sicherere Gelegenheit, sich auf<lb/>
andere Wirthe zu übertragen, als sie ihnen das Eindringen in<lb/>
den Körper von aussen her bisher dargeboten hatte: sie setzten<lb/>
sich in den Keimzellen des befallenen Individuums fest und<lb/>
übertrugen sich so auf die Nachkommen. Wenn auch der<lb/>
Nachweis solcher Schmarotzer in den Keimzellen gerade bei<lb/>
der Tuberkulose noch nicht geführt ist, so liegt doch darin<lb/>
meines Erachtens nicht im Geringsten ein Beweis, dass diese<lb/>
Infection nicht dennoch stattfindet. Es ist nicht einmal gesagt,<lb/>
dass die Mikroben innerhalb der Keimzellen die ihnen sonst<lb/>
zukommende Grösse und Gestalt haben müssen. Ihre Lebens-<lb/>
eigenschaften sind jedenfalls dort andere; denn vermehrten sie<lb/>
sich in der Ei- oder Samenzelle derart, wie sie dies in den<lb/>
ihnen zusagenden Geweben thun, so würden sie die Keimzellen<lb/>
rasch zerstören. Wie bei andern Schmarotzern zahllose An-<lb/>
passungen an den Wirth eingetreten sind, so werden solche<lb/>
auch hier nicht fehlen; vor Allem dürften sich <hi rendition="#g">Latenzperioden<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[512/0536] auf der Vererbung eines Körpers von höherer Vulnerabilität beruht. Zahlreiche Thatsachen scheinen mir vielmehr dafür zu sprechen, dass dabei in erster Linie Infection des Keimes im Spiel ist. Es ist hier nicht der Ort, darauf im Näheren einzutreten und einen Beweis zu versuchen — dies wäre über- dies mehr Sache der Pathologen —; ich habe hier nur darauf hinweisen wollen, dass eine Combination von Vererbung und Infection des Keimes sehr wohl denkbar ist. Die phyletische Entstehung solcher sog. „constitutioneller“ Krankheiten wird vermuthlich darauf beruhen, dass gewisse Constitutionen vor- kamen, welche für eine bestimmte Mikroben-Art leichter affi- cirbar waren, als die normale. Solche Menschen wurden also leichter von aussen her von der betreffenden Krankheit befallen. Hatte diese sich aber einmal in ihnen festgesetzt, und war sie eine derartige, welche nur langsam zum Tod führt, so bot sich den Mikroben eine neue und weit sicherere Gelegenheit, sich auf andere Wirthe zu übertragen, als sie ihnen das Eindringen in den Körper von aussen her bisher dargeboten hatte: sie setzten sich in den Keimzellen des befallenen Individuums fest und übertrugen sich so auf die Nachkommen. Wenn auch der Nachweis solcher Schmarotzer in den Keimzellen gerade bei der Tuberkulose noch nicht geführt ist, so liegt doch darin meines Erachtens nicht im Geringsten ein Beweis, dass diese Infection nicht dennoch stattfindet. Es ist nicht einmal gesagt, dass die Mikroben innerhalb der Keimzellen die ihnen sonst zukommende Grösse und Gestalt haben müssen. Ihre Lebens- eigenschaften sind jedenfalls dort andere; denn vermehrten sie sich in der Ei- oder Samenzelle derart, wie sie dies in den ihnen zusagenden Geweben thun, so würden sie die Keimzellen rasch zerstören. Wie bei andern Schmarotzern zahllose An- passungen an den Wirth eingetreten sind, so werden solche auch hier nicht fehlen; vor Allem dürften sich Latenzperioden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/536
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/536>, abgerufen am 22.11.2024.