bei einem männlichen Individuum stattgefunden haben. Wir sehen keinen Grund, warum dieselbe Variation der be- treffenden Determinanten nicht auch einmal bei einem weiblichen Individuum sollte entstehen können, und vielleicht werden noch einmal Fälle von weiblichen Blutern gefunden werden. Die strenge Vererbung aber im männlichen Geschlecht scheint mir darauf hinzudeuten, dass diese Gefäss-Determinanten bei Mann und Weib trotz der scheinbaren Gleichheit der Gefässe ver- schieden sind. Sie müssen Doppeldeterminanten sein.
Nehmen wir dies an, so lassen sich die sonst sehr räthsel- haften Vererbungserscheinungen, wie sie bei der Bluterkrankheit beobachtet sind, in einfacher Weise aufklären. Da diese Krank- heit nur bei Männern auftritt, so müsste also bei einem solchen männlichen Bluter die männliche Hälfte seiner Gefässzellen- Determinanten die krankhafte Variation eingegangen sein, un- gefähr ebenso, wie die Determinanten der Zellen, die den Kehl- kopf bilden und die jedenfalls als Doppeldeterminanten zu denken sind, in ihrer männlichen Hälfte variirt haben. Da nun -- wie die Bienenzwitter lehren -- bei der Entscheidung über das Geschlecht eines Embryo zugleich auch entschieden wird, welche Hälften der Doppeldeterminanten des Idioplasma's aktiv, welche passiv bleiben während der Embryogenese, so folgt von selbst, dass bei jedem weiblichen Nachkommen eines Bluters die Krank- heit latent bleiben muss, d. h. überhaupt keine krankhafte Bildung der Gewebe entstehen kann, denn hier tritt die weib- liche, nicht veränderte Hälfte der Gefässzellen-Determinanten in Thätigkeit. Bildet sich aber das Kind eines Bluters zum männ- lichen Individuum aus, so tritt die krankhaft veränderte männ- liche Hälfte der Gefässzellen-Determinanten in Kraft, und nun kann die Krankheit sich ausbilden, vorausgesetzt, dass nicht von Seite der gesunden Mutter her ein stärkerer Vererbungseinfluss in Betreff der Gefässbildung einwirkt, so dass die Krankheits-
bei einem männlichen Individuum stattgefunden haben. Wir sehen keinen Grund, warum dieselbe Variation der be- treffenden Determinanten nicht auch einmal bei einem weiblichen Individuum sollte entstehen können, und vielleicht werden noch einmal Fälle von weiblichen Blutern gefunden werden. Die strenge Vererbung aber im männlichen Geschlecht scheint mir darauf hinzudeuten, dass diese Gefäss-Determinanten bei Mann und Weib trotz der scheinbaren Gleichheit der Gefässe ver- schieden sind. Sie müssen Doppeldeterminanten sein.
Nehmen wir dies an, so lassen sich die sonst sehr räthsel- haften Vererbungserscheinungen, wie sie bei der Bluterkrankheit beobachtet sind, in einfacher Weise aufklären. Da diese Krank- heit nur bei Männern auftritt, so müsste also bei einem solchen männlichen Bluter die männliche Hälfte seiner Gefässzellen- Determinanten die krankhafte Variation eingegangen sein, un- gefähr ebenso, wie die Determinanten der Zellen, die den Kehl- kopf bilden und die jedenfalls als Doppeldeterminanten zu denken sind, in ihrer männlichen Hälfte variirt haben. Da nun — wie die Bienenzwitter lehren — bei der Entscheidung über das Geschlecht eines Embryo zugleich auch entschieden wird, welche Hälften der Doppeldeterminanten des Idioplasma’s aktiv, welche passiv bleiben während der Embryogenese, so folgt von selbst, dass bei jedem weiblichen Nachkommen eines Bluters die Krank- heit latent bleiben muss, d. h. überhaupt keine krankhafte Bildung der Gewebe entstehen kann, denn hier tritt die weib- liche, nicht veränderte Hälfte der Gefässzellen-Determinanten in Thätigkeit. Bildet sich aber das Kind eines Bluters zum männ- lichen Individuum aus, so tritt die krankhaft veränderte männ- liche Hälfte der Gefässzellen-Determinanten in Kraft, und nun kann die Krankheit sich ausbilden, vorausgesetzt, dass nicht von Seite der gesunden Mutter her ein stärkerer Vererbungseinfluss in Betreff der Gefässbildung einwirkt, so dass die Krankheits-
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[486/0510]
bei einem männlichen Individuum stattgefunden haben.
Wir sehen keinen Grund, warum dieselbe Variation der be-
treffenden Determinanten nicht auch einmal bei einem weiblichen
Individuum sollte entstehen können, und vielleicht werden noch
einmal Fälle von weiblichen Blutern gefunden werden. Die
strenge Vererbung aber im männlichen Geschlecht scheint mir
darauf hinzudeuten, dass diese Gefäss-Determinanten bei Mann
und Weib trotz der scheinbaren Gleichheit der Gefässe ver-
schieden sind. Sie müssen Doppeldeterminanten sein.
Nehmen wir dies an, so lassen sich die sonst sehr räthsel-
haften Vererbungserscheinungen, wie sie bei der Bluterkrankheit
beobachtet sind, in einfacher Weise aufklären. Da diese Krank-
heit nur bei Männern auftritt, so müsste also bei einem solchen
männlichen Bluter die männliche Hälfte seiner Gefässzellen-
Determinanten die krankhafte Variation eingegangen sein, un-
gefähr ebenso, wie die Determinanten der Zellen, die den Kehl-
kopf bilden und die jedenfalls als Doppeldeterminanten zu denken
sind, in ihrer männlichen Hälfte variirt haben. Da nun —
wie die Bienenzwitter lehren — bei der Entscheidung über das
Geschlecht eines Embryo zugleich auch entschieden wird, welche
Hälften der Doppeldeterminanten des Idioplasma’s aktiv, welche
passiv bleiben während der Embryogenese, so folgt von selbst,
dass bei jedem weiblichen Nachkommen eines Bluters die Krank-
heit latent bleiben muss, d. h. überhaupt keine krankhafte
Bildung der Gewebe entstehen kann, denn hier tritt die weib-
liche, nicht veränderte Hälfte der Gefässzellen-Determinanten in
Thätigkeit. Bildet sich aber das Kind eines Bluters zum männ-
lichen Individuum aus, so tritt die krankhaft veränderte männ-
liche Hälfte der Gefässzellen-Determinanten in Kraft, und nun
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/510>, abgerufen am 21.11.2024.
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