Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Bestimmung der Zelle durch das Idioplasma gepasst
hätte, welches aber an jener Stelle unverständlich geblieben
wäre, weil die Reifungserscheinungen von Ei und Samenzelle
dabei als bekannt vorausgesetzt werden müssen.

Die Erkenntniss, dass die der Reifung der thierischen Ei-
zelle vorhergehenden Zelltheilungen, die sog. "Abschnürung
der beiden Richtungskörper
", echtes Keimplasma aus dem
Ei entfernen, ist keineswegs leicht, sondern erst durch lange
und mühevolle Beobachtungs- und Gedankenarbeit im Laufe
eines vollen Jahrzehntes errungen worden. Ich habe es nicht
für zweckmässig gehalten, diese ganze Entwickelungsgeschichte
unserer Erkenntniss1) hier vorzuführen, da es zum Verständniss
der Vererbungserscheinungen nicht nothwendig ist, sie zu kennen.
Aber ich möchte hier nachträglich noch eine Periode aus dieser
Geschichte kurz berühren, da sie für die von de Vries erdachte
und von mir angenommene Art und Weise der Beherrschung
der Zelle durch Auswanderung von Kernmaterial in den Zell-
körper lehrreich ist.

Nachdem man erkannt hatte, dass der sog. "Austritt" der
Richtungskörperchen aus dem Ei nichts Anderes sei, als eine
sehr ungleiche Zelltheilung, und nachdem man die Überzeugung
gewonnen hatte, dass die bestimmende Substanz in dem Chro-
matin des Kernes zu sehen sei, musste es ein logisches Postulat
erscheinen, wie für jede Zelle, so auch für die Eizelle eine be-
sondere bestimmende Substanz, ein specifisches Idioplasma
anzunehmen, dessen Aufgabe es sein musste, eben die besondere
histologische Beschaffenheit des betreffenden Eies hervorzurufen.
Ich zog damals diesen Schluss und nahm an, die Eizelle würde
von ihrer ersten Jugend an bis zu der Erreichung ihrer vollen

1) Dieselbe ist in meiner Schrift über "Amphimixis", Jena 1891,
ausführlicher noch in den verschiedenen Abhandlungen meiner "Auf-
sätze über Vererbung" u. s. w., Jena 1892, enthalten.

Bestimmung der Zelle durch das Idioplasma gepasst
hätte, welches aber an jener Stelle unverständlich geblieben
wäre, weil die Reifungserscheinungen von Ei und Samenzelle
dabei als bekannt vorausgesetzt werden müssen.

Die Erkenntniss, dass die der Reifung der thierischen Ei-
zelle vorhergehenden Zelltheilungen, die sog. „Abschnürung
der beiden Richtungskörper
“, echtes Keimplasma aus dem
Ei entfernen, ist keineswegs leicht, sondern erst durch lange
und mühevolle Beobachtungs- und Gedankenarbeit im Laufe
eines vollen Jahrzehntes errungen worden. Ich habe es nicht
für zweckmässig gehalten, diese ganze Entwickelungsgeschichte
unserer Erkenntniss1) hier vorzuführen, da es zum Verständniss
der Vererbungserscheinungen nicht nothwendig ist, sie zu kennen.
Aber ich möchte hier nachträglich noch eine Periode aus dieser
Geschichte kurz berühren, da sie für die von de Vries erdachte
und von mir angenommene Art und Weise der Beherrschung
der Zelle durch Auswanderung von Kernmaterial in den Zell-
körper lehrreich ist.

Nachdem man erkannt hatte, dass der sog. „Austritt“ der
Richtungskörperchen aus dem Ei nichts Anderes sei, als eine
sehr ungleiche Zelltheilung, und nachdem man die Überzeugung
gewonnen hatte, dass die bestimmende Substanz in dem Chro-
matin des Kernes zu sehen sei, musste es ein logisches Postulat
erscheinen, wie für jede Zelle, so auch für die Eizelle eine be-
sondere bestimmende Substanz, ein specifisches Idioplasma
anzunehmen, dessen Aufgabe es sein musste, eben die besondere
histologische Beschaffenheit des betreffenden Eies hervorzurufen.
Ich zog damals diesen Schluss und nahm an, die Eizelle würde
von ihrer ersten Jugend an bis zu der Erreichung ihrer vollen

1) Dieselbe ist in meiner Schrift über „Amphimixis“, Jena 1891,
ausführlicher noch in den verschiedenen Abhandlungen meiner „Auf-
sätze über Vererbung“ u. s. w., Jena 1892, enthalten.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0481" n="457"/>
Bestimmung der Zelle durch das Idioplasma</hi> gepasst<lb/>
hätte, welches aber an jener Stelle unverständlich geblieben<lb/>
wäre, weil die Reifungserscheinungen von Ei und Samenzelle<lb/>
dabei als bekannt vorausgesetzt werden müssen.</p><lb/>
            <p>Die Erkenntniss, dass die der Reifung der thierischen Ei-<lb/>
zelle vorhergehenden Zelltheilungen, die sog. &#x201E;<hi rendition="#g">Abschnürung<lb/>
der beiden Richtungskörper</hi>&#x201C;, echtes Keimplasma aus dem<lb/>
Ei entfernen, ist keineswegs leicht, sondern erst durch lange<lb/>
und mühevolle Beobachtungs- und Gedankenarbeit im Laufe<lb/>
eines vollen Jahrzehntes errungen worden. Ich habe es nicht<lb/>
für zweckmässig gehalten, diese ganze Entwickelungsgeschichte<lb/>
unserer Erkenntniss<note place="foot" n="1)">Dieselbe ist in meiner Schrift über &#x201E;Amphimixis&#x201C;, Jena 1891,<lb/>
ausführlicher noch in den verschiedenen Abhandlungen meiner &#x201E;Auf-<lb/>
sätze über Vererbung&#x201C; u. s. w., Jena 1892, enthalten.</note> hier vorzuführen, da es zum Verständniss<lb/>
der Vererbungserscheinungen nicht nothwendig ist, sie zu kennen.<lb/>
Aber ich möchte hier nachträglich noch eine Periode aus dieser<lb/>
Geschichte kurz berühren, da sie für die von <hi rendition="#g">de Vries</hi> erdachte<lb/>
und von mir angenommene Art und Weise der Beherrschung<lb/>
der Zelle durch Auswanderung von Kernmaterial in den Zell-<lb/>
körper lehrreich ist.</p><lb/>
            <p>Nachdem man erkannt hatte, dass der sog. &#x201E;Austritt&#x201C; der<lb/>
Richtungskörperchen aus dem Ei nichts Anderes sei, als eine<lb/>
sehr ungleiche Zelltheilung, und nachdem man die Überzeugung<lb/>
gewonnen hatte, dass die bestimmende Substanz in dem Chro-<lb/>
matin des Kernes zu sehen sei, musste es ein logisches Postulat<lb/>
erscheinen, wie für jede Zelle, so auch für die Eizelle eine be-<lb/>
sondere bestimmende Substanz, ein <hi rendition="#g">specifisches Idioplasma</hi><lb/>
anzunehmen, dessen Aufgabe es sein musste, eben die besondere<lb/>
histologische Beschaffenheit des betreffenden Eies hervorzurufen.<lb/>
Ich zog damals diesen Schluss und nahm an, die Eizelle würde<lb/>
von ihrer ersten Jugend an bis zu der Erreichung ihrer vollen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[457/0481] Bestimmung der Zelle durch das Idioplasma gepasst hätte, welches aber an jener Stelle unverständlich geblieben wäre, weil die Reifungserscheinungen von Ei und Samenzelle dabei als bekannt vorausgesetzt werden müssen. Die Erkenntniss, dass die der Reifung der thierischen Ei- zelle vorhergehenden Zelltheilungen, die sog. „Abschnürung der beiden Richtungskörper“, echtes Keimplasma aus dem Ei entfernen, ist keineswegs leicht, sondern erst durch lange und mühevolle Beobachtungs- und Gedankenarbeit im Laufe eines vollen Jahrzehntes errungen worden. Ich habe es nicht für zweckmässig gehalten, diese ganze Entwickelungsgeschichte unserer Erkenntniss 1) hier vorzuführen, da es zum Verständniss der Vererbungserscheinungen nicht nothwendig ist, sie zu kennen. Aber ich möchte hier nachträglich noch eine Periode aus dieser Geschichte kurz berühren, da sie für die von de Vries erdachte und von mir angenommene Art und Weise der Beherrschung der Zelle durch Auswanderung von Kernmaterial in den Zell- körper lehrreich ist. Nachdem man erkannt hatte, dass der sog. „Austritt“ der Richtungskörperchen aus dem Ei nichts Anderes sei, als eine sehr ungleiche Zelltheilung, und nachdem man die Überzeugung gewonnen hatte, dass die bestimmende Substanz in dem Chro- matin des Kernes zu sehen sei, musste es ein logisches Postulat erscheinen, wie für jede Zelle, so auch für die Eizelle eine be- sondere bestimmende Substanz, ein specifisches Idioplasma anzunehmen, dessen Aufgabe es sein musste, eben die besondere histologische Beschaffenheit des betreffenden Eies hervorzurufen. Ich zog damals diesen Schluss und nahm an, die Eizelle würde von ihrer ersten Jugend an bis zu der Erreichung ihrer vollen 1) Dieselbe ist in meiner Schrift über „Amphimixis“, Jena 1891, ausführlicher noch in den verschiedenen Abhandlungen meiner „Auf- sätze über Vererbung“ u. s. w., Jena 1892, enthalten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/481
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 457. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/481>, abgerufen am 22.11.2024.