halten. Ähnlichkeit mit dem Grosselter, auch starke Ähnlich- keit kommt sicherlich häufig vor, allein diese ist doch noch weit von einer Übereinstimmung sämmtlicher oder doch der weitaus meisten individuellen Charaktere entfernt, etwa in dem Grade, wie wir sie bei "identischen" Zwillingen beobachten. Niemand hat noch Kind und Grosselter auch nur einmal in allen ihren Körpertheilen genau mit einander verglichen, ge- schweige denn in demselben Lebensalter. Auch wären für Rückschlag-Untersuchungen nur solche Fälle zu brauchen, in welchen der Vater Nichts von dem Bild der Grossmutter an sich hat -- um bei diesem Beispiel zu bleiben. Solche Fälle sind aber wohl selbst nicht ganz sicher, jedenfalls nicht häufig.
Ich neige daher der Ansicht zu, dass es sich in allen diesen Fällen nicht um vollständigen, sondern nur um theilweisen Rückschlag auf den Grosselter handelt, um das Wiederauftauchen eines kleineren oder grösseren Complexes von Grosselter-Charak- teren, und dies genügt sicherlich in vielen Fällen, um das Bild des Grosselters vorzutäuschen. Dass aber grössere oder kleinere Complexe von grosselterlichen Charakteren im Kind wieder- erscheinen können, das unterliegt keinem Zweifel, und erklärt sich theoretisch einfacher und ohne dass man dem Zufall eine so grosse Rolle zuertheilen muss. Denn bei vollständigem Rückschlag müssten vielerlei seltenere Vorkommnisse zusammen- treffen, um ihn zu ermöglichen. In unserem Beispiel müsste in je einem Individuum von drei aufeinander folgenden Genera- tionen jedesmal nur die eine der beiden Idantengruppen der Eltern das Bild des Kindes bestimmen, und zugleich müsste in je einer Mutter-Keimzelle von vier verschiedenen Individuen den beiden Grosseltern und Eltern, die Reductionshalbirung ge- rade so durchgeschnitten haben, dass die Idantengruppen der Eltern dadurch getrennt wurden. Möglich, dass Alles dies ein- mal zusammentreffen kann, allein man wird es erst dann be-
halten. Ähnlichkeit mit dem Grosselter, auch starke Ähnlich- keit kommt sicherlich häufig vor, allein diese ist doch noch weit von einer Übereinstimmung sämmtlicher oder doch der weitaus meisten individuellen Charaktere entfernt, etwa in dem Grade, wie wir sie bei „identischen“ Zwillingen beobachten. Niemand hat noch Kind und Grosselter auch nur einmal in allen ihren Körpertheilen genau mit einander verglichen, ge- schweige denn in demselben Lebensalter. Auch wären für Rückschlag-Untersuchungen nur solche Fälle zu brauchen, in welchen der Vater Nichts von dem Bild der Grossmutter an sich hat — um bei diesem Beispiel zu bleiben. Solche Fälle sind aber wohl selbst nicht ganz sicher, jedenfalls nicht häufig.
Ich neige daher der Ansicht zu, dass es sich in allen diesen Fällen nicht um vollständigen, sondern nur um theilweisen Rückschlag auf den Grosselter handelt, um das Wiederauftauchen eines kleineren oder grösseren Complexes von Grosselter-Charak- teren, und dies genügt sicherlich in vielen Fällen, um das Bild des Grosselters vorzutäuschen. Dass aber grössere oder kleinere Complexe von grosselterlichen Charakteren im Kind wieder- erscheinen können, das unterliegt keinem Zweifel, und erklärt sich theoretisch einfacher und ohne dass man dem Zufall eine so grosse Rolle zuertheilen muss. Denn bei vollständigem Rückschlag müssten vielerlei seltenere Vorkommnisse zusammen- treffen, um ihn zu ermöglichen. In unserem Beispiel müsste in je einem Individuum von drei aufeinander folgenden Genera- tionen jedesmal nur die eine der beiden Idantengruppen der Eltern das Bild des Kindes bestimmen, und zugleich müsste in je einer Mutter-Keimzelle von vier verschiedenen Individuen den beiden Grosseltern und Eltern, die Reductionshalbirung ge- rade so durchgeschnitten haben, dass die Idantengruppen der Eltern dadurch getrennt wurden. Möglich, dass Alles dies ein- mal zusammentreffen kann, allein man wird es erst dann be-
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halten. Ähnlichkeit mit dem Grosselter, auch starke Ähnlich-
keit kommt sicherlich häufig vor, allein diese ist doch noch
weit von einer Übereinstimmung sämmtlicher oder doch der
weitaus meisten individuellen Charaktere entfernt, etwa in dem
Grade, wie wir sie bei „identischen“ Zwillingen beobachten.
Niemand hat noch Kind und Grosselter auch nur einmal in
allen ihren Körpertheilen genau mit einander verglichen, ge-
schweige denn in demselben Lebensalter. Auch wären für
Rückschlag-Untersuchungen nur solche Fälle zu brauchen, in
welchen der Vater Nichts von dem Bild der Grossmutter an
sich hat — um bei diesem Beispiel zu bleiben. Solche Fälle
sind aber wohl selbst nicht ganz sicher, jedenfalls nicht häufig.
Ich neige daher der Ansicht zu, dass es sich in allen diesen
Fällen nicht um vollständigen, sondern nur um theilweisen
Rückschlag auf den Grosselter handelt, um das Wiederauftauchen
eines kleineren oder grösseren Complexes von Grosselter-Charak-
teren, und dies genügt sicherlich in vielen Fällen, um das Bild
des Grosselters vorzutäuschen. Dass aber grössere oder kleinere
Complexe von grosselterlichen Charakteren im Kind wieder-
erscheinen können, das unterliegt keinem Zweifel, und erklärt
sich theoretisch einfacher und ohne dass man dem Zufall eine
so grosse Rolle zuertheilen muss. Denn bei vollständigem
Rückschlag müssten vielerlei seltenere Vorkommnisse zusammen-
treffen, um ihn zu ermöglichen. In unserem Beispiel müsste
in je einem Individuum von drei aufeinander folgenden Genera-
tionen jedesmal nur die eine der beiden Idantengruppen der
Eltern das Bild des Kindes bestimmen, und zugleich müsste in
je einer Mutter-Keimzelle von vier verschiedenen Individuen
den beiden Grosseltern und Eltern, die Reductionshalbirung ge-
rade so durchgeschnitten haben, dass die Idantengruppen der
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/431>, abgerufen am 22.11.2024.
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