zellen des Kindes bedingt, und dadurch wird es verständlich, dass das Kind durchaus nicht blos Keimzellen producirt, welche die seine eigene Ontogenese leitende Idgruppe enthalten (die "dominirende"), sondern dass auch viele andere Id-Combinationen in ihnen enthalten sein können.
An dieser Stelle möchte ich einer interessanten Schrift ge- denken, welche erschien, als ich mit der letzten Ausfeilung meines Manuskriptes schon nahezu fertig war. Sie trägt das Pseudonym "Josef Müller" auf ihrem Titel1) und hat speciell das eben besprochene Problem zu lösen versucht. Der scharf- sinnige und vortrefflich unterrichtete Verfasser nimmt meine Ide nicht an, sondern sucht eine Erklärung für das so auf- fallende Verschwinden der Vererbungstendenzen des einen Elters bei der pseudo-monogonen Vererbung dadurch zu finden, dass er die beiden homologen Anlagen von Vater und Mutter in einen Kampf (Gamomachie) eintreten lässt, der mit dem Unter- gang, dem völligen Aufgezehrtwerden (Gamophagie) des einen endet. Das kommt der hier versuchten Erklärung dem Princip nach äusserst nah, und ich muss die Grundidee für eine durch- aus richtige halten, nur glaube ich nicht, dass man diesen Kampf an den Beginn der Ontogenese setzen darf, wie es der Verfasser thut. Derselbe fusst auf einer Äusserung von O. Hertwig, nach welchem es denkbar wäre, dass bei der Be- fruchtung die homologen "Anlagen" des Vaters und der Mutter sich vereinigten, und folgert dann weiter, dass bei dieser Ver- einigung der Kampf stattfinde, der zur Vernichtung der einen führe. Abgesehen von dem Getrenntbleiben der Idanten des Vaters und der Mutter bei der Befruchtung, scheinen mir zahl- reiche Vererbungserscheinungen einer solchen Vereinigung mit nachfolgendem Kampf zu widerstreiten: das Wiederauftauchen
1)Josef Müller, "Über Gamophagie, ein Versuch zur weiteren Ausbau der Theorie der Befruchtung und Vererbung", Stuttgart 1892.
zellen des Kindes bedingt, und dadurch wird es verständlich, dass das Kind durchaus nicht blos Keimzellen producirt, welche die seine eigene Ontogenese leitende Idgruppe enthalten (die „dominirende“), sondern dass auch viele andere Id-Combinationen in ihnen enthalten sein können.
An dieser Stelle möchte ich einer interessanten Schrift ge- denken, welche erschien, als ich mit der letzten Ausfeilung meines Manuskriptes schon nahezu fertig war. Sie trägt das Pseudonym „Josef Müller“ auf ihrem Titel1) und hat speciell das eben besprochene Problem zu lösen versucht. Der scharf- sinnige und vortrefflich unterrichtete Verfasser nimmt meine Ide nicht an, sondern sucht eine Erklärung für das so auf- fallende Verschwinden der Vererbungstendenzen des einen Elters bei der pseudo-monogonen Vererbung dadurch zu finden, dass er die beiden homologen Anlagen von Vater und Mutter in einen Kampf (Gamomachie) eintreten lässt, der mit dem Unter- gang, dem völligen Aufgezehrtwerden (Gamophagie) des einen endet. Das kommt der hier versuchten Erklärung dem Princip nach äusserst nah, und ich muss die Grundidee für eine durch- aus richtige halten, nur glaube ich nicht, dass man diesen Kampf an den Beginn der Ontogenese setzen darf, wie es der Verfasser thut. Derselbe fusst auf einer Äusserung von O. Hertwig, nach welchem es denkbar wäre, dass bei der Be- fruchtung die homologen „Anlagen“ des Vaters und der Mutter sich vereinigten, und folgert dann weiter, dass bei dieser Ver- einigung der Kampf stattfinde, der zur Vernichtung der einen führe. Abgesehen von dem Getrenntbleiben der Idanten des Vaters und der Mutter bei der Befruchtung, scheinen mir zahl- reiche Vererbungserscheinungen einer solchen Vereinigung mit nachfolgendem Kampf zu widerstreiten: das Wiederauftauchen
1)Josef Müller, „Über Gamophagie, ein Versuch zur weiteren Ausbau der Theorie der Befruchtung und Vererbung“, Stuttgart 1892.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0412"n="388"/>
zellen des Kindes bedingt, und dadurch wird es verständlich,<lb/>
dass das Kind durchaus nicht blos Keimzellen producirt, welche<lb/>
die seine eigene Ontogenese leitende Idgruppe enthalten (die<lb/>„dominirende“), sondern dass auch viele andere Id-Combinationen<lb/>
in ihnen enthalten sein können.</p><lb/><p>An dieser Stelle möchte ich einer interessanten Schrift ge-<lb/>
denken, welche erschien, als ich mit der letzten Ausfeilung<lb/>
meines Manuskriptes schon nahezu fertig war. Sie trägt das<lb/>
Pseudonym <hirendition="#g">„Josef Müller“</hi> auf ihrem Titel<noteplace="foot"n="1)"><hirendition="#g">Josef Müller</hi>, „Über Gamophagie, ein Versuch zur weiteren<lb/>
Ausbau der Theorie der Befruchtung und Vererbung“, Stuttgart 1892.</note> und hat speciell<lb/>
das eben besprochene Problem zu lösen versucht. Der scharf-<lb/>
sinnige und vortrefflich unterrichtete Verfasser nimmt meine<lb/>
Ide nicht an, sondern sucht eine Erklärung für das so auf-<lb/>
fallende Verschwinden der Vererbungstendenzen des <hirendition="#g">einen</hi> Elters<lb/>
bei der pseudo-monogonen Vererbung dadurch zu finden, dass<lb/>
er die beiden homologen Anlagen von Vater und Mutter in<lb/>
einen Kampf (Gamomachie) eintreten lässt, der mit dem Unter-<lb/>
gang, dem völligen Aufgezehrtwerden (Gamophagie) des einen<lb/>
endet. Das kommt der hier versuchten Erklärung dem Princip<lb/>
nach äusserst nah, und ich muss die Grundidee für eine durch-<lb/>
aus richtige halten, nur glaube ich nicht, dass man diesen Kampf<lb/><hirendition="#g">an den Beginn der Ontogenese</hi> setzen darf, wie es der<lb/>
Verfasser thut. Derselbe fusst auf einer Äusserung von<lb/>
O. <hirendition="#g">Hertwig</hi>, nach welchem es denkbar wäre, dass bei der Be-<lb/>
fruchtung die homologen „Anlagen“ des Vaters und der Mutter<lb/>
sich vereinigten, und folgert dann weiter, dass bei dieser Ver-<lb/>
einigung der Kampf stattfinde, der zur Vernichtung der einen<lb/>
führe. Abgesehen von dem Getrenntbleiben der Idanten des<lb/>
Vaters und der Mutter bei der Befruchtung, scheinen mir zahl-<lb/>
reiche Vererbungserscheinungen einer solchen Vereinigung mit<lb/>
nachfolgendem Kampf zu widerstreiten: das Wiederauftauchen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[388/0412]
zellen des Kindes bedingt, und dadurch wird es verständlich,
dass das Kind durchaus nicht blos Keimzellen producirt, welche
die seine eigene Ontogenese leitende Idgruppe enthalten (die
„dominirende“), sondern dass auch viele andere Id-Combinationen
in ihnen enthalten sein können.
An dieser Stelle möchte ich einer interessanten Schrift ge-
denken, welche erschien, als ich mit der letzten Ausfeilung
meines Manuskriptes schon nahezu fertig war. Sie trägt das
Pseudonym „Josef Müller“ auf ihrem Titel 1) und hat speciell
das eben besprochene Problem zu lösen versucht. Der scharf-
sinnige und vortrefflich unterrichtete Verfasser nimmt meine
Ide nicht an, sondern sucht eine Erklärung für das so auf-
fallende Verschwinden der Vererbungstendenzen des einen Elters
bei der pseudo-monogonen Vererbung dadurch zu finden, dass
er die beiden homologen Anlagen von Vater und Mutter in
einen Kampf (Gamomachie) eintreten lässt, der mit dem Unter-
gang, dem völligen Aufgezehrtwerden (Gamophagie) des einen
endet. Das kommt der hier versuchten Erklärung dem Princip
nach äusserst nah, und ich muss die Grundidee für eine durch-
aus richtige halten, nur glaube ich nicht, dass man diesen Kampf
an den Beginn der Ontogenese setzen darf, wie es der
Verfasser thut. Derselbe fusst auf einer Äusserung von
O. Hertwig, nach welchem es denkbar wäre, dass bei der Be-
fruchtung die homologen „Anlagen“ des Vaters und der Mutter
sich vereinigten, und folgert dann weiter, dass bei dieser Ver-
einigung der Kampf stattfinde, der zur Vernichtung der einen
führe. Abgesehen von dem Getrenntbleiben der Idanten des
Vaters und der Mutter bei der Befruchtung, scheinen mir zahl-
reiche Vererbungserscheinungen einer solchen Vereinigung mit
nachfolgendem Kampf zu widerstreiten: das Wiederauftauchen
1) Josef Müller, „Über Gamophagie, ein Versuch zur weiteren
Ausbau der Theorie der Befruchtung und Vererbung“, Stuttgart 1892.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/412>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.