Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

Stärke wie in den Stammarten aufträten, dass aber dennoch
die eine von ihnen dominirte, weil sie die andere zudeckt; denn
Gelb hängt an besonderen Pigmentkörnern, Roth aber ist nur
als Zellsaft vorhanden, der durch oberflächliche Lagerung der
Chromatophoren möglicherweise fast ganz verdeckt werden könnte.

Wenn nun untersucht werden soll, von welchen Momenten
der Kampf der elterlichen Merkmale bestimmt wird, so ist vor
Allem im Auge zu behalten, dass alle und jede Entscheidung
in den Zellen liegt
. Nur in einer Zelle treffen sich die
Determinanten des Vaters und der Mutter, und alle "Eigen-
schaften", mögen sie einen grossen Theil des Organismus oder
blos eine einzelne Zelle betreffen, können nur durch Vorgänge
im Innern einer oder vieler Zellen bestimmt werden.

Dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass es immer
die sichtbare Differenzirung jeder einzelnen Zelle sein müsse,
welche eine "Eigenschaft" des Organismus ausmache. Nur in den
definitiven Zellcomplexen des Bion kommt neben der Zahl
der Zellen auch die Art und Weise ihrer histologischen Differen-
zirung in Betracht -- ob also Muskel- oder Nervensubstanz,
ob Chlorophyllkörper sich in dem Zellkörper ausbilden oder
nicht. Sehr viele und charakteristische "Eigenschaften" aber
werden nicht darauf beruhen können, sondern wesentlich auf der
Zahl und Anordnung der in ein Organ eingehenden Zellen, und
diese wiederum werden ihren Grund in für uns unsichtbaren
Eigenschaften der embryonalen Zelle haben, hauptsächlich in
ihrem Theilungsmodus und in ihrer Vermehrungsstärke
und -Schnelligkeit.

Wir werden uns vorstellen müssen, dass diese Momente
ganz ebenso vollständig vom Idioplasma der Zelle bestimmt
werden, als die sichtbare Differenzirung derselben. Wohl geht
die Theilung einer Zelle von ihrem Theilungs-Apparat, vor
Allem von dem centralen Theil desselben, der "Attractions-

Stärke wie in den Stammarten aufträten, dass aber dennoch
die eine von ihnen dominirte, weil sie die andere zudeckt; denn
Gelb hängt an besonderen Pigmentkörnern, Roth aber ist nur
als Zellsaft vorhanden, der durch oberflächliche Lagerung der
Chromatophoren möglicherweise fast ganz verdeckt werden könnte.

Wenn nun untersucht werden soll, von welchen Momenten
der Kampf der elterlichen Merkmale bestimmt wird, so ist vor
Allem im Auge zu behalten, dass alle und jede Entscheidung
in den Zellen liegt
. Nur in einer Zelle treffen sich die
Determinanten des Vaters und der Mutter, und alle „Eigen-
schaften“, mögen sie einen grossen Theil des Organismus oder
blos eine einzelne Zelle betreffen, können nur durch Vorgänge
im Innern einer oder vieler Zellen bestimmt werden.

Dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass es immer
die sichtbare Differenzirung jeder einzelnen Zelle sein müsse,
welche eine „Eigenschaft“ des Organismus ausmache. Nur in den
definitiven Zellcomplexen des Bion kommt neben der Zahl
der Zellen auch die Art und Weise ihrer histologischen Differen-
zirung in Betracht — ob also Muskel- oder Nervensubstanz,
ob Chlorophyllkörper sich in dem Zellkörper ausbilden oder
nicht. Sehr viele und charakteristische „Eigenschaften“ aber
werden nicht darauf beruhen können, sondern wesentlich auf der
Zahl und Anordnung der in ein Organ eingehenden Zellen, und
diese wiederum werden ihren Grund in für uns unsichtbaren
Eigenschaften der embryonalen Zelle haben, hauptsächlich in
ihrem Theilungsmodus und in ihrer Vermehrungsstärke
und -Schnelligkeit.

Wir werden uns vorstellen müssen, dass diese Momente
ganz ebenso vollständig vom Idioplasma der Zelle bestimmt
werden, als die sichtbare Differenzirung derselben. Wohl geht
die Theilung einer Zelle von ihrem Theilungs-Apparat, vor
Allem von dem centralen Theil desselben, der „Attractions-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0367" n="343"/>
Stärke wie in den Stammarten aufträten, dass aber dennoch<lb/>
die eine von ihnen dominirte, weil sie die andere zudeckt; denn<lb/>
Gelb hängt an besonderen Pigmentkörnern, Roth aber ist nur<lb/>
als Zellsaft vorhanden, der durch oberflächliche Lagerung der<lb/>
Chromatophoren möglicherweise fast ganz verdeckt werden könnte.</p><lb/>
              <p>Wenn nun untersucht werden soll, von welchen Momenten<lb/>
der Kampf der elterlichen Merkmale bestimmt wird, so ist vor<lb/>
Allem im Auge zu behalten, dass alle und <hi rendition="#g">jede Entscheidung<lb/>
in den Zellen liegt</hi>. Nur in einer Zelle treffen sich die<lb/>
Determinanten des Vaters und der Mutter, und alle &#x201E;Eigen-<lb/>
schaften&#x201C;, mögen sie einen grossen Theil des Organismus oder<lb/>
blos eine einzelne Zelle betreffen, können nur durch Vorgänge<lb/>
im Innern einer oder vieler Zellen bestimmt werden.</p><lb/>
              <p>Dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass es immer<lb/>
die <hi rendition="#g">sichtbare</hi> Differenzirung jeder einzelnen Zelle sein müsse,<lb/>
welche eine &#x201E;Eigenschaft&#x201C; des Organismus ausmache. Nur in den<lb/><hi rendition="#g">definitiven</hi> Zellcomplexen des Bion kommt neben der <hi rendition="#g">Zahl</hi><lb/>
der Zellen auch die Art und Weise ihrer histologischen Differen-<lb/>
zirung in Betracht &#x2014; ob also Muskel- oder Nervensubstanz,<lb/>
ob Chlorophyllkörper sich in dem Zellkörper ausbilden oder<lb/>
nicht. Sehr viele und charakteristische &#x201E;Eigenschaften&#x201C; aber<lb/>
werden nicht darauf beruhen können, sondern wesentlich auf der<lb/>
Zahl und Anordnung der in ein Organ eingehenden Zellen, und<lb/>
diese wiederum werden ihren Grund in für uns unsichtbaren<lb/>
Eigenschaften der embryonalen Zelle haben, hauptsächlich in<lb/>
ihrem <hi rendition="#g">Theilungsmodus</hi> und in ihrer <hi rendition="#g">Vermehrungsstärke</hi><lb/>
und -<hi rendition="#g">Schnelligkeit</hi>.</p><lb/>
              <p>Wir werden uns vorstellen müssen, dass diese Momente<lb/>
ganz ebenso vollständig vom Idioplasma der Zelle bestimmt<lb/>
werden, als die <hi rendition="#g">sichtbare</hi> Differenzirung derselben. Wohl geht<lb/>
die Theilung einer Zelle von ihrem Theilungs-Apparat, vor<lb/>
Allem von dem centralen Theil desselben, der &#x201E;Attractions-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0367] Stärke wie in den Stammarten aufträten, dass aber dennoch die eine von ihnen dominirte, weil sie die andere zudeckt; denn Gelb hängt an besonderen Pigmentkörnern, Roth aber ist nur als Zellsaft vorhanden, der durch oberflächliche Lagerung der Chromatophoren möglicherweise fast ganz verdeckt werden könnte. Wenn nun untersucht werden soll, von welchen Momenten der Kampf der elterlichen Merkmale bestimmt wird, so ist vor Allem im Auge zu behalten, dass alle und jede Entscheidung in den Zellen liegt. Nur in einer Zelle treffen sich die Determinanten des Vaters und der Mutter, und alle „Eigen- schaften“, mögen sie einen grossen Theil des Organismus oder blos eine einzelne Zelle betreffen, können nur durch Vorgänge im Innern einer oder vieler Zellen bestimmt werden. Dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass es immer die sichtbare Differenzirung jeder einzelnen Zelle sein müsse, welche eine „Eigenschaft“ des Organismus ausmache. Nur in den definitiven Zellcomplexen des Bion kommt neben der Zahl der Zellen auch die Art und Weise ihrer histologischen Differen- zirung in Betracht — ob also Muskel- oder Nervensubstanz, ob Chlorophyllkörper sich in dem Zellkörper ausbilden oder nicht. Sehr viele und charakteristische „Eigenschaften“ aber werden nicht darauf beruhen können, sondern wesentlich auf der Zahl und Anordnung der in ein Organ eingehenden Zellen, und diese wiederum werden ihren Grund in für uns unsichtbaren Eigenschaften der embryonalen Zelle haben, hauptsächlich in ihrem Theilungsmodus und in ihrer Vermehrungsstärke und -Schnelligkeit. Wir werden uns vorstellen müssen, dass diese Momente ganz ebenso vollständig vom Idioplasma der Zelle bestimmt werden, als die sichtbare Differenzirung derselben. Wohl geht die Theilung einer Zelle von ihrem Theilungs-Apparat, vor Allem von dem centralen Theil desselben, der „Attractions-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/367
Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/367>, abgerufen am 08.05.2024.