fluss auf die Weiterentwickelung der Vererbungstheorie ge- habt habe; er wurde selbst in England -- wie es scheint -- nicht sehr beachtet und ist im Ausland lange Zeit unbekannt geblieben. Damit darf ich es wohl entschuldigen, wenn ich in meinen, fast ein Jahrzehnt später erschienenen Schriften von seinem eben besprochenen Aufsatz keine Kenntniss hatte und also auch keinen Bezug darauf nehmen konnte. 1) In einer dieser Schriften, betitelt "über die Vererbung" (1883), bestritt ich zuerst ganz allgemein nicht nur die Existenz, sondern auch die theoretische Möglichkeit einer Vererbung erworbener (soma- togener) Eigenschaften und suchte so die Theorie von der Last einer Erklärungspflicht zu befreien, die ihr jede weitere freie Entwickelung abschnitt. In dieser Schrift auch nahm ich zu- erst eine Vererbungssubstanz an, das Keimplasma, welches in den Keimzellen enthalten ist und welches nie neu gebildet werden kann, sondern sich immer nur von der Keimzelle, aus der ein Bion entsteht, in direkter Continuität auf die Keim- zellen der folgenden Generation überträgt. Ein Gegensatz von "Körper" im engeren Sinne (Soma) und Fortpflanzungszellen wurde hervorgehoben, und die Auffassung vertheidigt, dass allein die Keimzellen die Vererbungssubstanz, das Keimplasma, in ununterbrochener Folge von einer zur andern Generation weitergeben, während die Körper (Somata) gewissermassen
1) Diese Arbeiten sind zuerst einzeln erschienen in den Jahren 1881--1891; in vollständiger gesammelter Ausgabe bisher nur in eng- lischer Übersetzung als "Essays upon Heredity and kindred biological Problems" edited by Poulton, Schönland and Shipley, Oxford 1889, Bd. I, enthaltend Aufsatz I--VIII, in zweiter Auflage 1891 erschienen. Die Aufsätze IX--XII werden in diesem Jahre als Bd. II nachfolgen. -- In französischer Übersetzung sind die Aufsätze mit Ausnahme des letzten von ihnen ("über Amphimixis") unter dem Titel: "Essais sur l'Heredite et la selection naturelle" traduit par Henry de Varigny, Paris 1892, veröffentlicht worden. Eine deutsche Gesammtausgabe ist im Erscheinen begriffen.
fluss auf die Weiterentwickelung der Vererbungstheorie ge- habt habe; er wurde selbst in England — wie es scheint — nicht sehr beachtet und ist im Ausland lange Zeit unbekannt geblieben. Damit darf ich es wohl entschuldigen, wenn ich in meinen, fast ein Jahrzehnt später erschienenen Schriften von seinem eben besprochenen Aufsatz keine Kenntniss hatte und also auch keinen Bezug darauf nehmen konnte. 1) In einer dieser Schriften, betitelt „über die Vererbung“ (1883), bestritt ich zuerst ganz allgemein nicht nur die Existenz, sondern auch die theoretische Möglichkeit einer Vererbung erworbener (soma- togener) Eigenschaften und suchte so die Theorie von der Last einer Erklärungspflicht zu befreien, die ihr jede weitere freie Entwickelung abschnitt. In dieser Schrift auch nahm ich zu- erst eine Vererbungssubstanz an, das Keimplasma, welches in den Keimzellen enthalten ist und welches nie neu gebildet werden kann, sondern sich immer nur von der Keimzelle, aus der ein Bion entsteht, in direkter Continuität auf die Keim- zellen der folgenden Generation überträgt. Ein Gegensatz von „Körper“ im engeren Sinne (Soma) und Fortpflanzungszellen wurde hervorgehoben, und die Auffassung vertheidigt, dass allein die Keimzellen die Vererbungssubstanz, das Keimplasma, in ununterbrochener Folge von einer zur andern Generation weitergeben, während die Körper (Somata) gewissermassen
1) Diese Arbeiten sind zuerst einzeln erschienen in den Jahren 1881—1891; in vollständiger gesammelter Ausgabe bisher nur in eng- lischer Übersetzung als „Essays upon Heredity and kindred biological Problems“ edited by Poulton, Schönland and Shipley, Oxford 1889, Bd. I, enthaltend Aufsatz I—VIII, in zweiter Auflage 1891 erschienen. Die Aufsätze IX—XII werden in diesem Jahre als Bd. II nachfolgen. — In französischer Übersetzung sind die Aufsätze mit Ausnahme des letzten von ihnen („über Amphimixis“) unter dem Titel: „Essais sur l’Hérédité et la sélection naturelle“ traduit par Henry de Varigny, Paris 1892, veröffentlicht worden. Eine deutsche Gesammtausgabe ist im Erscheinen begriffen.
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geblieben. Damit darf ich es wohl entschuldigen, wenn ich
in meinen, fast ein Jahrzehnt später erschienenen Schriften von
seinem eben besprochenen Aufsatz keine Kenntniss hatte und
also auch keinen Bezug darauf nehmen konnte. 1) In einer
dieser Schriften, betitelt „über die Vererbung“ (1883), bestritt
ich zuerst ganz allgemein nicht nur die Existenz, sondern auch
die theoretische Möglichkeit einer Vererbung erworbener (soma-
togener) Eigenschaften und suchte so die Theorie von der Last
einer Erklärungspflicht zu befreien, die ihr jede weitere freie
Entwickelung abschnitt. In dieser Schrift auch nahm ich zu-
erst eine Vererbungssubstanz an, das Keimplasma, welches
in den Keimzellen enthalten ist und welches nie neu gebildet
werden kann, sondern sich immer nur von der Keimzelle, aus
der ein Bion entsteht, in direkter Continuität auf die Keim-
zellen der folgenden Generation überträgt. Ein Gegensatz von
„Körper“ im engeren Sinne (Soma) und Fortpflanzungszellen
wurde hervorgehoben, und die Auffassung vertheidigt, dass
allein die Keimzellen die Vererbungssubstanz, das Keimplasma,
in ununterbrochener Folge von einer zur andern Generation
weitergeben, während die Körper (Somata) gewissermassen
1) Diese Arbeiten sind zuerst einzeln erschienen in den Jahren
1881—1891; in vollständiger gesammelter Ausgabe bisher nur in eng-
lischer Übersetzung als „Essays upon Heredity and kindred biological
Problems“ edited by Poulton, Schönland and Shipley, Oxford 1889,
Bd. I, enthaltend Aufsatz I—VIII, in zweiter Auflage 1891 erschienen.
Die Aufsätze IX—XII werden in diesem Jahre als Bd. II nachfolgen. —
In französischer Übersetzung sind die Aufsätze mit Ausnahme des
letzten von ihnen („über Amphimixis“) unter dem Titel: „Essais sur
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/36>, abgerufen am 24.11.2024.
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