die Gallen als Anpassungen der Pflanze an ihre Parasiten be- trachten dürften, wie dies z. B. bei den merkwürdigen Ein- richtungen gewisser tropischer Pflanzen zum Schutze der die Pflanze selbst wieder beschützenden Ameisen angenommen werden darf. Hier hat gegenseitige Anpassung stattgefunden, das Thier hat sich der Pflanze, die Pflanze aber auch dem Thier angepasst, weil für Beide das Zusammenleben förderlich ist. Bei den Gallen der Cynipiden und Blattwespen ist ein Nutzen, der der Pflanze durch den Parasiten erwachsen könnte, nicht erfindlich, und wir sind also darauf angewiesen, dieselbe als Reaction der Pflanze auf den vom Thier ausgeübten Reiz zu erklären. Entstünde die Galle, wie man früher annahm, durch ein Gift, welches von dem eierlegenden Weibchen in das Pflanzen- gewebe gebracht würde, so wäre diese Erklärung durchaus un- genügend, da es nicht denkbar ist, dass die einmalige Ein- flössung eines Giftes die langsam wachsende und erst allmälig ihre definitive, oft recht complicirte Structur annehmende Galle in solcher Regelmässigkeit hervorrufen sollte. Sie wäre dies um so mehr, als auf derselben Unterlage, z. B. dem Eichen- blatt, vielerlei Gallen wachsen können, die sehr verschieden von einander sind. Durch Adler und Beyerinck wissen wir aber, dass nicht der Stich des Mutterthieres, sondern die Thätigkeit der aus dem Ei geschlüpften Larve es ist, welche die Gallen- bildung hervorruft. So wird man sich denn vorstellen müssen, dass diese Larven durch den Reiz, den einmal ihr sich be- wegender Körper setzt, dann aber ihr Fressen und schliesslich die specifischen Secrete ihrer Speicheldrüsen die eigenthümliche und specifische Wucherung des Pflanzengewebes bedingen. Die Verschiedenartigkeit der Gallen auf gleicher Unterlage aber wird man aus Verschiedenheiten dieser Momente herleiten müssen, und die augenfälligen, dem Parasiten zum Schutz und zur Er- haltung und Ernährung dienenden Anpassungen der Galle müssen
Weismann, Das Keimplasma. 19
die Gallen als Anpassungen der Pflanze an ihre Parasiten be- trachten dürften, wie dies z. B. bei den merkwürdigen Ein- richtungen gewisser tropischer Pflanzen zum Schutze der die Pflanze selbst wieder beschützenden Ameisen angenommen werden darf. Hier hat gegenseitige Anpassung stattgefunden, das Thier hat sich der Pflanze, die Pflanze aber auch dem Thier angepasst, weil für Beide das Zusammenleben förderlich ist. Bei den Gallen der Cynipiden und Blattwespen ist ein Nutzen, der der Pflanze durch den Parasiten erwachsen könnte, nicht erfindlich, und wir sind also darauf angewiesen, dieselbe als Reaction der Pflanze auf den vom Thier ausgeübten Reiz zu erklären. Entstünde die Galle, wie man früher annahm, durch ein Gift, welches von dem eierlegenden Weibchen in das Pflanzen- gewebe gebracht würde, so wäre diese Erklärung durchaus un- genügend, da es nicht denkbar ist, dass die einmalige Ein- flössung eines Giftes die langsam wachsende und erst allmälig ihre definitive, oft recht complicirte Structur annehmende Galle in solcher Regelmässigkeit hervorrufen sollte. Sie wäre dies um so mehr, als auf derselben Unterlage, z. B. dem Eichen- blatt, vielerlei Gallen wachsen können, die sehr verschieden von einander sind. Durch Adler und Beyerinck wissen wir aber, dass nicht der Stich des Mutterthieres, sondern die Thätigkeit der aus dem Ei geschlüpften Larve es ist, welche die Gallen- bildung hervorruft. So wird man sich denn vorstellen müssen, dass diese Larven durch den Reiz, den einmal ihr sich be- wegender Körper setzt, dann aber ihr Fressen und schliesslich die specifischen Secrete ihrer Speicheldrüsen die eigenthümliche und specifische Wucherung des Pflanzengewebes bedingen. Die Verschiedenartigkeit der Gallen auf gleicher Unterlage aber wird man aus Verschiedenheiten dieser Momente herleiten müssen, und die augenfälligen, dem Parasiten zum Schutz und zur Er- haltung und Ernährung dienenden Anpassungen der Galle müssen
Weismann, Das Keimplasma. 19
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0313"n="289"/>
die Gallen als Anpassungen der Pflanze an ihre Parasiten be-<lb/>
trachten dürften, wie dies z. B. bei den merkwürdigen Ein-<lb/>
richtungen gewisser tropischer Pflanzen zum Schutze der die<lb/>
Pflanze selbst wieder beschützenden Ameisen angenommen werden<lb/>
darf. Hier hat gegenseitige Anpassung stattgefunden, das<lb/>
Thier hat sich der Pflanze, die Pflanze aber auch dem Thier<lb/>
angepasst, weil für Beide das Zusammenleben förderlich ist.<lb/>
Bei den Gallen der Cynipiden und Blattwespen ist ein Nutzen,<lb/>
der der Pflanze durch den Parasiten erwachsen könnte, nicht<lb/>
erfindlich, und wir sind also darauf angewiesen, dieselbe als<lb/>
Reaction der Pflanze auf den vom Thier ausgeübten Reiz zu<lb/>
erklären. Entstünde die Galle, wie man früher annahm, durch<lb/>
ein Gift, welches von dem eierlegenden Weibchen in das Pflanzen-<lb/>
gewebe gebracht würde, so wäre diese Erklärung durchaus un-<lb/>
genügend, da es nicht denkbar ist, dass die <hirendition="#g">einmalige</hi> Ein-<lb/>
flössung eines Giftes die langsam wachsende und erst allmälig<lb/>
ihre definitive, oft recht complicirte Structur annehmende Galle<lb/>
in solcher Regelmässigkeit hervorrufen sollte. Sie wäre dies<lb/>
um so mehr, als auf <hirendition="#g">derselben</hi> Unterlage, z. B. dem Eichen-<lb/>
blatt, vielerlei Gallen wachsen können, die sehr verschieden von<lb/>
einander sind. Durch <hirendition="#g">Adler</hi> und <hirendition="#g">Beyerinck</hi> wissen wir aber,<lb/>
dass nicht der Stich des Mutterthieres, sondern die Thätigkeit<lb/>
der aus dem Ei geschlüpften Larve es ist, welche die Gallen-<lb/>
bildung hervorruft. So wird man sich denn vorstellen müssen,<lb/>
dass diese Larven durch den Reiz, den einmal ihr sich be-<lb/>
wegender Körper setzt, dann aber ihr Fressen und schliesslich<lb/>
die specifischen Secrete ihrer Speicheldrüsen die eigenthümliche<lb/>
und specifische Wucherung des Pflanzengewebes bedingen. Die<lb/>
Verschiedenartigkeit der Gallen auf gleicher Unterlage aber<lb/>
wird man aus Verschiedenheiten dieser Momente herleiten müssen,<lb/>
und die augenfälligen, dem Parasiten zum Schutz und zur Er-<lb/>
haltung und Ernährung dienenden Anpassungen der Galle müssen<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Weismann</hi>, Das Keimplasma. 19</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[289/0313]
die Gallen als Anpassungen der Pflanze an ihre Parasiten be-
trachten dürften, wie dies z. B. bei den merkwürdigen Ein-
richtungen gewisser tropischer Pflanzen zum Schutze der die
Pflanze selbst wieder beschützenden Ameisen angenommen werden
darf. Hier hat gegenseitige Anpassung stattgefunden, das
Thier hat sich der Pflanze, die Pflanze aber auch dem Thier
angepasst, weil für Beide das Zusammenleben förderlich ist.
Bei den Gallen der Cynipiden und Blattwespen ist ein Nutzen,
der der Pflanze durch den Parasiten erwachsen könnte, nicht
erfindlich, und wir sind also darauf angewiesen, dieselbe als
Reaction der Pflanze auf den vom Thier ausgeübten Reiz zu
erklären. Entstünde die Galle, wie man früher annahm, durch
ein Gift, welches von dem eierlegenden Weibchen in das Pflanzen-
gewebe gebracht würde, so wäre diese Erklärung durchaus un-
genügend, da es nicht denkbar ist, dass die einmalige Ein-
flössung eines Giftes die langsam wachsende und erst allmälig
ihre definitive, oft recht complicirte Structur annehmende Galle
in solcher Regelmässigkeit hervorrufen sollte. Sie wäre dies
um so mehr, als auf derselben Unterlage, z. B. dem Eichen-
blatt, vielerlei Gallen wachsen können, die sehr verschieden von
einander sind. Durch Adler und Beyerinck wissen wir aber,
dass nicht der Stich des Mutterthieres, sondern die Thätigkeit
der aus dem Ei geschlüpften Larve es ist, welche die Gallen-
bildung hervorruft. So wird man sich denn vorstellen müssen,
dass diese Larven durch den Reiz, den einmal ihr sich be-
wegender Körper setzt, dann aber ihr Fressen und schliesslich
die specifischen Secrete ihrer Speicheldrüsen die eigenthümliche
und specifische Wucherung des Pflanzengewebes bedingen. Die
Verschiedenartigkeit der Gallen auf gleicher Unterlage aber
wird man aus Verschiedenheiten dieser Momente herleiten müssen,
und die augenfälligen, dem Parasiten zum Schutz und zur Er-
haltung und Ernährung dienenden Anpassungen der Galle müssen
Weismann, Das Keimplasma. 19
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/313>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.