eindringen können. Er setzt also an die Stelle der "freien Cir- culation der Keimchen", wie sie Darwin lehrte, eine lokal be- schränkte Ausbreitung derselben.
Wenn man diese noch etwas unbestimmten und schwer in die Realität zu übersetzenden Vorstellungen etwas realistischer fasst und den "stirp" dem Keimplasma, das "residuum of the stirp" dem gebundenen Reserve-Keimplasma gleichstellt, so leuchtet eine gewisse Ähnlichkeit mit der Continuitäts-Theorie hervor. Es bleibt aber ein fundamentaler Unterschied, insofern Galton's Vorstellung nur unter Voraussetzung sexueller Fort- pflanzung denkbar ist, die Continuität des Keimplasma's aber ganz unabhängig davon ist, ob jede Anlage nur ein Mal, oder ob sie viele Male im Keim enthalten ist. Nach meiner Idee sind im aktiven Keimplasma genau dieselben Anlagen, Keimchen oder Determinanten enthalten, wie im Reserve-Keimplasma und gerade darauf beruht die Ähnlichkeit zwischen Elter und Kind. Die Continuität des Keimplasma's, wie ich sie mir vorstelle, hat ihre Wurzel nicht darin, dass jedes zum Aufbau des Soma nöthige "Keimchen" vielfach vorhanden ist, und dass deshalb ein Rest bleibt, aus dem die Keimzellen der nächsten Generation hergestellt werden können, sondern auf einer besonderen und für die vielzelligen Organismen unvermeidlichen Anpassung, darin bestehend, dass das Keimplasma der befruchteten Eizelle von vornherein sich verdoppelt und die eine Portion für die Keimzellenbildung reservirt.
G. Jäger1) hat zuerst den Gedanken ausgesprochen, dass der Körper der höheren Organismen aus zweierlei Zellen be- stehe, aus "ontogenetischen" und "phylogenetischen", und dass die Letzteren, die Fortpflanzungszellen, nicht ein Produkt der Ersteren, der Körperzellen sind, sondern dass sie direkt von der
1)Gustav Jäger, "Lehrbuch der allgemeinen Zoologie", Leipzig 1878, II. Abtheilung.
eindringen können. Er setzt also an die Stelle der „freien Cir- culation der Keimchen“, wie sie Darwin lehrte, eine lokal be- schränkte Ausbreitung derselben.
Wenn man diese noch etwas unbestimmten und schwer in die Realität zu übersetzenden Vorstellungen etwas realistischer fasst und den „stirp“ dem Keimplasma, das „residuum of the stirp“ dem gebundenen Reserve-Keimplasma gleichstellt, so leuchtet eine gewisse Ähnlichkeit mit der Continuitäts-Theorie hervor. Es bleibt aber ein fundamentaler Unterschied, insofern Galton’s Vorstellung nur unter Voraussetzung sexueller Fort- pflanzung denkbar ist, die Continuität des Keimplasma’s aber ganz unabhängig davon ist, ob jede Anlage nur ein Mal, oder ob sie viele Male im Keim enthalten ist. Nach meiner Idee sind im aktiven Keimplasma genau dieselben Anlagen, Keimchen oder Determinanten enthalten, wie im Reserve-Keimplasma und gerade darauf beruht die Ähnlichkeit zwischen Elter und Kind. Die Continuität des Keimplasma’s, wie ich sie mir vorstelle, hat ihre Wurzel nicht darin, dass jedes zum Aufbau des Soma nöthige „Keimchen“ vielfach vorhanden ist, und dass deshalb ein Rest bleibt, aus dem die Keimzellen der nächsten Generation hergestellt werden können, sondern auf einer besonderen und für die vielzelligen Organismen unvermeidlichen Anpassung, darin bestehend, dass das Keimplasma der befruchteten Eizelle von vornherein sich verdoppelt und die eine Portion für die Keimzellenbildung reservirt.
G. Jäger1) hat zuerst den Gedanken ausgesprochen, dass der Körper der höheren Organismen aus zweierlei Zellen be- stehe, aus „ontogenetischen“ und „phylogenetischen“, und dass die Letzteren, die Fortpflanzungszellen, nicht ein Produkt der Ersteren, der Körperzellen sind, sondern dass sie direkt von der
1)Gustav Jäger, „Lehrbuch der allgemeinen Zoologie“, Leipzig 1878, II. Abtheilung.
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eindringen können. Er setzt also an die Stelle der „freien Cir-
culation der Keimchen“, wie sie Darwin lehrte, eine lokal be-
schränkte Ausbreitung derselben.
Wenn man diese noch etwas unbestimmten und schwer in
die Realität zu übersetzenden Vorstellungen etwas realistischer
fasst und den „stirp“ dem Keimplasma, das „residuum of the
stirp“ dem gebundenen Reserve-Keimplasma gleichstellt, so
leuchtet eine gewisse Ähnlichkeit mit der Continuitäts-Theorie
hervor. Es bleibt aber ein fundamentaler Unterschied, insofern
Galton’s Vorstellung nur unter Voraussetzung sexueller Fort-
pflanzung denkbar ist, die Continuität des Keimplasma’s aber
ganz unabhängig davon ist, ob jede Anlage nur ein Mal, oder
ob sie viele Male im Keim enthalten ist. Nach meiner Idee sind
im aktiven Keimplasma genau dieselben Anlagen, Keimchen oder
Determinanten enthalten, wie im Reserve-Keimplasma und gerade
darauf beruht die Ähnlichkeit zwischen Elter und Kind. Die
Continuität des Keimplasma’s, wie ich sie mir vorstelle, hat
ihre Wurzel nicht darin, dass jedes zum Aufbau des Soma
nöthige „Keimchen“ vielfach vorhanden ist, und dass deshalb
ein Rest bleibt, aus dem die Keimzellen der nächsten Generation
hergestellt werden können, sondern auf einer besonderen und
für die vielzelligen Organismen unvermeidlichen Anpassung,
darin bestehend, dass das Keimplasma der befruchteten Eizelle
von vornherein sich verdoppelt und die eine Portion für die
Keimzellenbildung reservirt.
G. Jäger 1) hat zuerst den Gedanken ausgesprochen, dass
der Körper der höheren Organismen aus zweierlei Zellen be-
stehe, aus „ontogenetischen“ und „phylogenetischen“, und dass
die Letzteren, die Fortpflanzungszellen, nicht ein Produkt der
Ersteren, der Körperzellen sind, sondern dass sie direkt von der
1) Gustav Jäger, „Lehrbuch der allgemeinen Zoologie“, Leipzig
1878, II. Abtheilung.
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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/286>, abgerufen am 25.11.2024.
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