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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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wenn wir eine bestimmte Daphnidenart ins Auge fassen, die
Leptodora hyalina, bei welcher die Embryogenese der Winter-
eier nur bis zur Bildung der uralten Larvenform der Crustaceen
mit nur drei Beinpaaren, dem Nauplius, führt (Fig. 9), während
die Sommereier gleich das fertige Thier mit allen Gliedmaassen
zur Entwickelung bringen. Allerdings werden die Stadien vom
Nauplius zum reifen Thier auch im Sommerei durchlaufen, aber
in abgekürzter Form. Das Nauplius-Stadium des Sommereies
hat zwar die drei Beinpaare, aber nur in rudimentärer Form, un-
brauchbar zum Leben im Wasser. Es müssen also zwei Keim-
plasmen-Arten
bei Leptodora bestehen, von denen die eine
noch alle Determinanten des Nauplius enthält, die andere nur
noch einen Theil derselben, und auch diesen wahrscheinlich
verändert. Diese beiden Arten von Keimplasmen müssen ge-
trennt von einander auf den Keimbahnen von einer Generation
der andern überliefert werden, so dass also in jedem Keim-
plasma immer zugleich das andere in inaktivem Zustand ent-
halten, gewissermassen demselben beigepackt ist. Es scheint
mir unmöglich, die Thatsachen anders zu erklären, da es un-
denkbar ist, dass ein bereits reducirtes, an Determinanten ärmeres
Sommerei-Keimplasma die verlorenen Determinanten je-
mals wieder aus sich heraus sollte erzeugen können
.

Die phyletische Entstehung solcher zweierlei Keim-
plasma-Arten müsste sehr räthselvoll erscheinen, wenn wir ge-
zwungen wären, die Keimplasma-Einheit als nur einmal vor-
handen im Kern der Keimzelle anzunehmen. Wir haben in-
dessen von vornherein die entgegengesetzte Annahme gemacht,
und es wird sich später noch zeigen, dass die geschlechtliche
Fortpflanzung, die Amphimixis, zu einer sicheren Begründung
der Vorstellung leitet, dass in dem Keimplasma aller auf ge-
schlechtlichem Wege sich fortpflanzenden Arten stets mehrere,
wahrscheinlich sogar viele Keimplasma-Einheiten oder Ide ent-

wenn wir eine bestimmte Daphnidenart ins Auge fassen, die
Leptodora hyalina, bei welcher die Embryogenese der Winter-
eier nur bis zur Bildung der uralten Larvenform der Crustaceen
mit nur drei Beinpaaren, dem Nauplius, führt (Fig. 9), während
die Sommereier gleich das fertige Thier mit allen Gliedmaassen
zur Entwickelung bringen. Allerdings werden die Stadien vom
Nauplius zum reifen Thier auch im Sommerei durchlaufen, aber
in abgekürzter Form. Das Nauplius-Stadium des Sommereies
hat zwar die drei Beinpaare, aber nur in rudimentärer Form, un-
brauchbar zum Leben im Wasser. Es müssen also zwei Keim-
plasmen-Arten
bei Leptodora bestehen, von denen die eine
noch alle Determinanten des Nauplius enthält, die andere nur
noch einen Theil derselben, und auch diesen wahrscheinlich
verändert. Diese beiden Arten von Keimplasmen müssen ge-
trennt von einander auf den Keimbahnen von einer Generation
der andern überliefert werden, so dass also in jedem Keim-
plasma immer zugleich das andere in inaktivem Zustand ent-
halten, gewissermassen demselben beigepackt ist. Es scheint
mir unmöglich, die Thatsachen anders zu erklären, da es un-
denkbar ist, dass ein bereits reducirtes, an Determinanten ärmeres
Sommerei-Keimplasma die verlorenen Determinanten je-
mals wieder aus sich heraus sollte erzeugen können
.

Die phyletische Entstehung solcher zweierlei Keim-
plasma-Arten müsste sehr räthselvoll erscheinen, wenn wir ge-
zwungen wären, die Keimplasma-Einheit als nur einmal vor-
handen im Kern der Keimzelle anzunehmen. Wir haben in-
dessen von vornherein die entgegengesetzte Annahme gemacht,
und es wird sich später noch zeigen, dass die geschlechtliche
Fortpflanzung, die Amphimixis, zu einer sicheren Begründung
der Vorstellung leitet, dass in dem Keimplasma aller auf ge-
schlechtlichem Wege sich fortpflanzenden Arten stets mehrere,
wahrscheinlich sogar viele Keimplasma-Einheiten oder Ide ent-

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[233/0257] wenn wir eine bestimmte Daphnidenart ins Auge fassen, die Leptodora hyalina, bei welcher die Embryogenese der Winter- eier nur bis zur Bildung der uralten Larvenform der Crustaceen mit nur drei Beinpaaren, dem Nauplius, führt (Fig. 9), während die Sommereier gleich das fertige Thier mit allen Gliedmaassen zur Entwickelung bringen. Allerdings werden die Stadien vom Nauplius zum reifen Thier auch im Sommerei durchlaufen, aber in abgekürzter Form. Das Nauplius-Stadium des Sommereies hat zwar die drei Beinpaare, aber nur in rudimentärer Form, un- brauchbar zum Leben im Wasser. Es müssen also zwei Keim- plasmen-Arten bei Leptodora bestehen, von denen die eine noch alle Determinanten des Nauplius enthält, die andere nur noch einen Theil derselben, und auch diesen wahrscheinlich verändert. Diese beiden Arten von Keimplasmen müssen ge- trennt von einander auf den Keimbahnen von einer Generation der andern überliefert werden, so dass also in jedem Keim- plasma immer zugleich das andere in inaktivem Zustand ent- halten, gewissermassen demselben beigepackt ist. Es scheint mir unmöglich, die Thatsachen anders zu erklären, da es un- denkbar ist, dass ein bereits reducirtes, an Determinanten ärmeres Sommerei-Keimplasma die verlorenen Determinanten je- mals wieder aus sich heraus sollte erzeugen können. Die phyletische Entstehung solcher zweierlei Keim- plasma-Arten müsste sehr räthselvoll erscheinen, wenn wir ge- zwungen wären, die Keimplasma-Einheit als nur einmal vor- handen im Kern der Keimzelle anzunehmen. Wir haben in- dessen von vornherein die entgegengesetzte Annahme gemacht, und es wird sich später noch zeigen, dass die geschlechtliche Fortpflanzung, die Amphimixis, zu einer sicheren Begründung der Vorstellung leitet, dass in dem Keimplasma aller auf ge- schlechtlichem Wege sich fortpflanzenden Arten stets mehrere, wahrscheinlich sogar viele Keimplasma-Einheiten oder Ide ent-

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/257>, abgerufen am 25.11.2024.