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Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892.

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tausende oder Millionen von Determinanten in den Bau des-
selben eingehen, welche alle bestimmt lokalisirt sind. Die Er-
fahrung, dass bei bilateral gebauten Thieren die entsprechenden
Theile der rechten und der linken Körperhälfte unabhängig
voneinander variiren können, lässt schliessen, dass alle Deter-
minanten hier doppelt im Keimplasma vorhanden sind. Er-
wägen wir weiter, dass bei vielen solcher Thiere, z. B. beim
Frosch, die Theilung der Eizelle in die beiden ersten Embryo-
nalzellen die Scheidung der rechten und linken Körperhälfte
bedeutet, so müssen wir schliessen, dass das Keimplasma-Id
selbst schon einen bilateralen Bau besitzt und sich bei der
ersten Theilung in die Determinanten für die rechte und die
linke Körperhälfte spaltet. Wir dürfen darin eine weitere Be-
stätigung unserer Ansicht von der festen Architektur des Keim-
plasma's finden. Ein Id desselben ist offenbar nicht etwa so
geordnet wie der Niederschlag aus einer complicirten Schüttel-
mixtur, bei welcher die schwereren Theilchen unten, die leichteren
weiter oben zu liegen kommen, überhaupt nicht so, als ob die
gegenseitige Lage der Theilchen lediglich durch die momentan
auf sie und zwischen ihnen wirkenden Kräfte frei bestimmt
würde, sondern wie ein complicirtes Gebäude, das von alter Zeit
her übernommen wird, dessen Steine aber lebendig sind, wachsen
und sich vermehren können und welche dann Verschiebungen
und Spaltungen der Mauern hervorrufen, bei welchen die in
ihnen liegenden Anziehungskräfte mitspielen. Die historische
Überlieferung der Keimplasma-Architektur bildet die
Grundlage der ganzen ontogenetischen Idioplasma-
Entwickelung
.

Wenn aber auch bei bilateralen Thieren das Id eine rechte
und linke Hälfte hat, so darf daraus doch nicht etwa geschlossen
werden, dass das Id überhaupt nichts weiter sei, als ein Miniatur-
bild des fertigen Thieres, dass es sich also hier um eine Wieder-

tausende oder Millionen von Determinanten in den Bau des-
selben eingehen, welche alle bestimmt lokalisirt sind. Die Er-
fahrung, dass bei bilateral gebauten Thieren die entsprechenden
Theile der rechten und der linken Körperhälfte unabhängig
voneinander variiren können, lässt schliessen, dass alle Deter-
minanten hier doppelt im Keimplasma vorhanden sind. Er-
wägen wir weiter, dass bei vielen solcher Thiere, z. B. beim
Frosch, die Theilung der Eizelle in die beiden ersten Embryo-
nalzellen die Scheidung der rechten und linken Körperhälfte
bedeutet, so müssen wir schliessen, dass das Keimplasma-Id
selbst schon einen bilateralen Bau besitzt und sich bei der
ersten Theilung in die Determinanten für die rechte und die
linke Körperhälfte spaltet. Wir dürfen darin eine weitere Be-
stätigung unserer Ansicht von der festen Architektur des Keim-
plasma’s finden. Ein Id desselben ist offenbar nicht etwa so
geordnet wie der Niederschlag aus einer complicirten Schüttel-
mixtur, bei welcher die schwereren Theilchen unten, die leichteren
weiter oben zu liegen kommen, überhaupt nicht so, als ob die
gegenseitige Lage der Theilchen lediglich durch die momentan
auf sie und zwischen ihnen wirkenden Kräfte frei bestimmt
würde, sondern wie ein complicirtes Gebäude, das von alter Zeit
her übernommen wird, dessen Steine aber lebendig sind, wachsen
und sich vermehren können und welche dann Verschiebungen
und Spaltungen der Mauern hervorrufen, bei welchen die in
ihnen liegenden Anziehungskräfte mitspielen. Die historische
Überlieferung der Keimplasma-Architektur bildet die
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Wenn aber auch bei bilateralen Thieren das Id eine rechte
und linke Hälfte hat, so darf daraus doch nicht etwa geschlossen
werden, dass das Id überhaupt nichts weiter sei, als ein Miniatur-
bild des fertigen Thieres, dass es sich also hier um eine Wieder-

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[87/0111] tausende oder Millionen von Determinanten in den Bau des- selben eingehen, welche alle bestimmt lokalisirt sind. Die Er- fahrung, dass bei bilateral gebauten Thieren die entsprechenden Theile der rechten und der linken Körperhälfte unabhängig voneinander variiren können, lässt schliessen, dass alle Deter- minanten hier doppelt im Keimplasma vorhanden sind. Er- wägen wir weiter, dass bei vielen solcher Thiere, z. B. beim Frosch, die Theilung der Eizelle in die beiden ersten Embryo- nalzellen die Scheidung der rechten und linken Körperhälfte bedeutet, so müssen wir schliessen, dass das Keimplasma-Id selbst schon einen bilateralen Bau besitzt und sich bei der ersten Theilung in die Determinanten für die rechte und die linke Körperhälfte spaltet. Wir dürfen darin eine weitere Be- stätigung unserer Ansicht von der festen Architektur des Keim- plasma’s finden. Ein Id desselben ist offenbar nicht etwa so geordnet wie der Niederschlag aus einer complicirten Schüttel- mixtur, bei welcher die schwereren Theilchen unten, die leichteren weiter oben zu liegen kommen, überhaupt nicht so, als ob die gegenseitige Lage der Theilchen lediglich durch die momentan auf sie und zwischen ihnen wirkenden Kräfte frei bestimmt würde, sondern wie ein complicirtes Gebäude, das von alter Zeit her übernommen wird, dessen Steine aber lebendig sind, wachsen und sich vermehren können und welche dann Verschiebungen und Spaltungen der Mauern hervorrufen, bei welchen die in ihnen liegenden Anziehungskräfte mitspielen. Die historische Überlieferung der Keimplasma-Architektur bildet die Grundlage der ganzen ontogenetischen Idioplasma- Entwickelung. Wenn aber auch bei bilateralen Thieren das Id eine rechte und linke Hälfte hat, so darf daraus doch nicht etwa geschlossen werden, dass das Id überhaupt nichts weiter sei, als ein Miniatur- bild des fertigen Thieres, dass es sich also hier um eine Wieder-

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Zitationshilfe: Weismann, August: Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung. Jena, 1892, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weismann_keimplasma_1892/111>, abgerufen am 05.05.2024.