Weise, Christian: Der freymüthige und höfliche Redner. Leipzig, 1693.
in meiner Gewalt stehet/ daß ich über Regen und Sonnenschein gebieten kan/ so wenig kan ich meinem Gemüthe befehlen/ wenn ich mit melancholischen Gedancken belästiget werde. Ahas. Allein hierdurch werden auch meine Gedancken belästiget. Thir. Es ist mir leid/ und gleichwohl habe ich keine Schuld. Ahas. Man saget ja sonst im Sprüchwort/ die Liebe sey stärcker als der Tod/ war- um soll denn meine Liebe nicht stärcker seyn als ihr Betrübniß. Thir. Mein Printz/ wäre es möglich/ daß ein Blick zu meinem Hertzen offen stün- de/ sie würden selbst gestehen/ daß ich in tausend Aengsten verschmachten möchte. Ahas. Aber also dann würde ich auch die Ursache darbey erkennen. Thir. Jch weiß nicht/ was mich drücket: Aber ich bin in rechter Todes-Angst be- griffen. Ahas. Mein Kind! wo sie von Todes- Angst reden will/ so werde ich auch we- nig Lebens-Gedancken führen dürffen. Thir.
in meiner Gewalt ſtehet/ daß ich uͤber Regen und Sonnenſchein gebieten kan/ ſo wenig kan ich meinem Gemuͤthe befehlen/ wenn ich mit melancholiſchen Gedancken belaͤſtiget werde. Ahaſ. Allein hierdurch werden auch meine Gedancken belaͤſtiget. Thir. Es iſt mir leid/ und gleichwohl habe ich keine Schuld. Ahaſ. Man ſaget ja ſonſt im Spruͤchwort/ die Liebe ſey ſtaͤrcker als der Tod/ war- um ſoll denn meine Liebe nicht ſtaͤrcker ſeyn als ihr Betruͤbniß. Thir. Mein Printz/ waͤre es moͤglich/ daß ein Blick zu meinem Hertzen offen ſtuͤn- de/ ſie wuͤrden ſelbſt geſtehen/ daß ich in tauſend Aengſten verſchmachten moͤchte. Ahaſ. Aber alſo dann wuͤrde ich auch die Urſache darbey erkennen. Thir. Jch weiß nicht/ was mich druͤcket: Aber ich bin in rechter Todes-Angſt be- griffen. Ahaſ. Mein Kind! wo ſie von Todes- Angſt reden will/ ſo werde ich auch we- nig Lebens-Gedancken fuͤhren duͤrffen. Thir.
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in meiner Gewalt ſtehet/ daß ich uͤber
Regen und Sonnenſchein gebieten
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befehlen/ wenn ich mit melancholiſchen
Gedancken belaͤſtiget werde.
Ahaſ. Allein hierdurch werden auch meine
Gedancken belaͤſtiget.
Thir. Es iſt mir leid/ und gleichwohl habe
ich keine Schuld.
Ahaſ. Man ſaget ja ſonſt im Spruͤchwort/
die Liebe ſey ſtaͤrcker als der Tod/ war-
um ſoll denn meine Liebe nicht ſtaͤrcker
ſeyn als ihr Betruͤbniß.
Thir. Mein Printz/ waͤre es moͤglich/ daß
ein Blick zu meinem Hertzen offen ſtuͤn-
de/ ſie wuͤrden ſelbſt geſtehen/ daß ich
in tauſend Aengſten verſchmachten
moͤchte.
Ahaſ. Aber alſo dann wuͤrde ich auch die
Urſache darbey erkennen.
Thir. Jch weiß nicht/ was mich druͤcket:
Aber ich bin in rechter Todes-Angſt be-
griffen.
Ahaſ. Mein Kind! wo ſie von Todes-
Angſt reden will/ ſo werde ich auch we-
nig Lebens-Gedancken fuͤhren duͤrffen.
Thir.
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Zitationshilfe: | Weise, Christian: Der freymüthige und höfliche Redner. Leipzig, 1693, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weise_redner_1693/318>, abgerufen am 16.06.2024. |