Weise, Christian: Überflüßige Gedancken Der grünenden jugend. Leipzig, 1701.Geehrter Leser. FCh bin endlich dahin gebracht worden/ daß ich schlim-
Geehrter Leſer. FCh bin endlich dahin gebracht worden/ daß ich ſchlim-
<TEI> <text> <front> <pb facs="#f0015"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Geehrter Leſer.</hi> </hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">F</hi>Ch bin endlich dahin gebracht worden/ daß ich<lb/> meine uͤberfluͤßige gedancken in die welt ausflie-<lb/> gen laſſe. Zwar/ wenn ich ſolche vor guten<lb/> freunden haͤtte behalten koͤnnen/ waͤre ich nimmermehr<lb/> auff die unbarmhertzigkeit gerathen/ ſo viel bogen un-<lb/> ſchuldig papier dadurch zu verklecken. Denn ich lebe<lb/> der zuverſicht/ ob ein anderer meine uͤberfluͤßigen einfaͤl-<lb/> le weiß oder nicht weiß/ ſo wird es nicht viel zu bedeuten<lb/> haben. Jedennoch weil ich zum uͤberfluß ſehen und er-<lb/> fahren muͤſſen/ daß die geringen ſachen von unterſchiede-<lb/> denen liebhabern nicht allein abgeſchrieben/ ſondern auch<lb/> wie zu geſchehen pfleget/ offtermahls veraͤndert und ver-<lb/> ruͤcket werden; Als habe ich nicht umgang nehmen wol-<lb/> len/ denſelben ihre alte geſtalt wie der zu geben: wie et-<lb/> wan eine ſorgfaͤltige mutter ihr ungeſtaltes kind nicht<lb/> gerne weiter beflecken und verſtellen laͤßt/ ſondern viel-<lb/> mehr dahin trachtet/ damit es bey der natuͤrlichen und<lb/> urſpruͤnglichen beſchaffenheit erhalten werde. Ein ied-<lb/> weder unpartheyiſcher richter wird hierinn meiner muͤt-<lb/> terlichen <hi rendition="#aq">affection</hi> vergeben/ und wo ich meiner frucht<lb/> gar zu guͤnſtig geweſen bin/ ſolches die menſchliche<lb/> ſchwachheit entſchuldigen laſſen/ als welche in der liebe<lb/> am eheſten ſuͤndigen kan. Sonſt werden es die umſtaͤn-<lb/> de leicht geben/ daß ich in der ſo genannten Lindenſtadt<lb/> wohne/ und die mund-art/ ſo mich offtermahls/ wider<lb/> mein wiſſen/ in den nacken ſchlaͤgt/ kan mein vaterland<lb/> nicht verbergen. Flieſſen die reime nicht wohl/ ſo bin<lb/> ich vor eins kein poet/ vors andere/ ſeh ich viel/ die es<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſchlim-</fw><lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0015]
Geehrter Leſer.
FCh bin endlich dahin gebracht worden/ daß ich
meine uͤberfluͤßige gedancken in die welt ausflie-
gen laſſe. Zwar/ wenn ich ſolche vor guten
freunden haͤtte behalten koͤnnen/ waͤre ich nimmermehr
auff die unbarmhertzigkeit gerathen/ ſo viel bogen un-
ſchuldig papier dadurch zu verklecken. Denn ich lebe
der zuverſicht/ ob ein anderer meine uͤberfluͤßigen einfaͤl-
le weiß oder nicht weiß/ ſo wird es nicht viel zu bedeuten
haben. Jedennoch weil ich zum uͤberfluß ſehen und er-
fahren muͤſſen/ daß die geringen ſachen von unterſchiede-
denen liebhabern nicht allein abgeſchrieben/ ſondern auch
wie zu geſchehen pfleget/ offtermahls veraͤndert und ver-
ruͤcket werden; Als habe ich nicht umgang nehmen wol-
len/ denſelben ihre alte geſtalt wie der zu geben: wie et-
wan eine ſorgfaͤltige mutter ihr ungeſtaltes kind nicht
gerne weiter beflecken und verſtellen laͤßt/ ſondern viel-
mehr dahin trachtet/ damit es bey der natuͤrlichen und
urſpruͤnglichen beſchaffenheit erhalten werde. Ein ied-
weder unpartheyiſcher richter wird hierinn meiner muͤt-
terlichen affection vergeben/ und wo ich meiner frucht
gar zu guͤnſtig geweſen bin/ ſolches die menſchliche
ſchwachheit entſchuldigen laſſen/ als welche in der liebe
am eheſten ſuͤndigen kan. Sonſt werden es die umſtaͤn-
de leicht geben/ daß ich in der ſo genannten Lindenſtadt
wohne/ und die mund-art/ ſo mich offtermahls/ wider
mein wiſſen/ in den nacken ſchlaͤgt/ kan mein vaterland
nicht verbergen. Flieſſen die reime nicht wohl/ ſo bin
ich vor eins kein poet/ vors andere/ ſeh ich viel/ die es
ſchlim-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie für das DTA ausgewählte Ausgabe von 1701 vere… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |