Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weerth, Georg: Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski. Hamburg, 1849.

Bild:
<< vorherige Seite

Maßen, die vierte mit rednerischer Erfindung, die fünfte mit poetischen Künsten, die sechste mit Musikbesetzung u. s. w., daß er, wenn er zu ihnen käme, seinen Bogen abspannte, den Köcher zuschlöß, und die Fackel verlöschte, aus Scham und Scheu, ihnen weh zu thun. Auch nähme er sich die Binde von den Augen, sie offenen Angesichts zu schauen, ihre artigen Lieder und Oden zu hören, dies wäre ihm die größte Lust der Welt, so daß er sich öfters schier verzückt fühle in ihrer Anmuth und Lieblichkeit, ja, in der Harmonie entschliefe, geschweige, daß er sie überfallen oder von ihren Studien sollte abziehen. - So geht es uns denn auch mit der Wahrheit.

O wie anders ist es mit der Lüge! Die Göttin der Lüge, oder der Phantasie, wenn ihr sie lieber so nennen wollt, ist nicht wie die der Wahrheit, ihre sechs Fuß hoch; sie trägt auch keine blonden Haare - nein, eine kleine schwarz oder braun gelockte Person ist sie, südlich dunkler Gesichtsfarbe, mit schelmischem Rosenmund und so verführerisch zierlich an Taille, Händen und Füßen, daß man wirklich gleich auf allerlei Irrwege gerathen würde, wenn die beiden feurigen Augen der Kleinen nicht so sehnsüchtig verlangten, daß man sich taumelnd in ihnen verlöre, wie eine Mücke im flammenden Lichte. Ruhig nicht und ernst ist die reizende Göttin, nein, sie ist lebendig,

Maßen, die vierte mit rednerischer Erfindung, die fünfte mit poetischen Künsten, die sechste mit Musikbesetzung u. s. w., daß er, wenn er zu ihnen käme, seinen Bogen abspannte, den Köcher zuschlöß, und die Fackel verlöschte, aus Scham und Scheu, ihnen weh zu thun. Auch nähme er sich die Binde von den Augen, sie offenen Angesichts zu schauen, ihre artigen Lieder und Oden zu hören, dies wäre ihm die größte Lust der Welt, so daß er sich öfters schier verzückt fühle in ihrer Anmuth und Lieblichkeit, ja, in der Harmonie entschliefe, geschweige, daß er sie überfallen oder von ihren Studien sollte abziehen. – So geht es uns denn auch mit der Wahrheit.

O wie anders ist es mit der Lüge! Die Göttin der Lüge, oder der Phantasie, wenn ihr sie lieber so nennen wollt, ist nicht wie die der Wahrheit, ihre sechs Fuß hoch; sie trägt auch keine blonden Haare – nein, eine kleine schwarz oder braun gelockte Person ist sie, südlich dunkler Gesichtsfarbe, mit schelmischem Rosenmund und so verführerisch zierlich an Taille, Händen und Füßen, daß man wirklich gleich auf allerlei Irrwege gerathen würde, wenn die beiden feurigen Augen der Kleinen nicht so sehnsüchtig verlangten, daß man sich taumelnd in ihnen verlöre, wie eine Mücke im flammenden Lichte. Ruhig nicht und ernst ist die reizende Göttin, nein, sie ist lebendig,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0208" n="202"/>
Maßen, die vierte mit rednerischer Erfindung, die fünfte mit poetischen Künsten, die sechste mit Musikbesetzung u. s. w., daß er, wenn er zu ihnen käme, seinen Bogen abspannte, den Köcher zuschlöß, und die Fackel verlöschte, aus Scham und Scheu, ihnen weh zu thun. Auch nähme er sich die Binde von den Augen, sie offenen Angesichts zu schauen, ihre artigen Lieder und Oden zu hören, dies wäre ihm die größte Lust der Welt, so daß er sich öfters schier verzückt fühle in ihrer Anmuth und Lieblichkeit, ja, in der Harmonie entschliefe, geschweige, daß er sie überfallen oder von ihren Studien sollte abziehen. &#x2013; So geht es uns denn auch mit der Wahrheit.</p>
          <p>O wie anders ist es mit der Lüge! Die Göttin der Lüge, oder der Phantasie, wenn ihr sie lieber so nennen wollt, ist nicht wie die der Wahrheit, ihre sechs Fuß hoch; sie trägt auch keine blonden Haare &#x2013; nein, eine kleine schwarz oder braun gelockte Person ist sie, südlich dunkler Gesichtsfarbe, mit schelmischem Rosenmund und so verführerisch zierlich an Taille, Händen und Füßen, daß man wirklich gleich auf allerlei Irrwege gerathen würde, wenn die beiden feurigen Augen der Kleinen nicht so sehnsüchtig verlangten, daß man sich taumelnd in ihnen verlöre, wie eine Mücke im flammenden Lichte. Ruhig nicht und ernst ist die reizende Göttin, nein, sie ist lebendig,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0208] Maßen, die vierte mit rednerischer Erfindung, die fünfte mit poetischen Künsten, die sechste mit Musikbesetzung u. s. w., daß er, wenn er zu ihnen käme, seinen Bogen abspannte, den Köcher zuschlöß, und die Fackel verlöschte, aus Scham und Scheu, ihnen weh zu thun. Auch nähme er sich die Binde von den Augen, sie offenen Angesichts zu schauen, ihre artigen Lieder und Oden zu hören, dies wäre ihm die größte Lust der Welt, so daß er sich öfters schier verzückt fühle in ihrer Anmuth und Lieblichkeit, ja, in der Harmonie entschliefe, geschweige, daß er sie überfallen oder von ihren Studien sollte abziehen. – So geht es uns denn auch mit der Wahrheit. O wie anders ist es mit der Lüge! Die Göttin der Lüge, oder der Phantasie, wenn ihr sie lieber so nennen wollt, ist nicht wie die der Wahrheit, ihre sechs Fuß hoch; sie trägt auch keine blonden Haare – nein, eine kleine schwarz oder braun gelockte Person ist sie, südlich dunkler Gesichtsfarbe, mit schelmischem Rosenmund und so verführerisch zierlich an Taille, Händen und Füßen, daß man wirklich gleich auf allerlei Irrwege gerathen würde, wenn die beiden feurigen Augen der Kleinen nicht so sehnsüchtig verlangten, daß man sich taumelnd in ihnen verlöre, wie eine Mücke im flammenden Lichte. Ruhig nicht und ernst ist die reizende Göttin, nein, sie ist lebendig,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-04T15:10:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitätsbibliothek Frankfurt am Main: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-04T15:10:31Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Faksimile 0150) (2013-01-04T15:10:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-04T15:10:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Worttrennungen am Zeilenende entfallen
  • Sonderzeichen und nicht-lateinische Schriftzeichen werden möglichst originalgetreu wiedergegeben
  • Das lange s (ſ) wird als normales s wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weerth_schnapphahnski_1849
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weerth_schnapphahnski_1849/208
Zitationshilfe: Weerth, Georg: Leben und Thaten des berühmten Ritters Schnapphahnski. Hamburg, 1849, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weerth_schnapphahnski_1849/208>, abgerufen am 23.11.2024.