Wedekind, Frank: Frühlings Erwachen. Zürich, 1891. Hänschen. Wenn ich die Ranke beuge, baumelt sie uns von Mund zu Mund. Keiner braucht sich zu rühren. Wir beißen die Beeren ab und lassen den Kamm zum Stock zurückschnellen. Ernst. Kaum entschließt man sich, und siehe, so dämmert auch schon die dahingeschwundene Kraft wieder auf. Hänschen. Dazu das flammende Firmament -- und die Abendglocken -- Ich verspreche mir wenig mehr von der Zukunft. Ernst. -- Ich sehe mich manchmal schon als hochwürdigen Pfarrer -- ein gemüthvolles Hausmütterchen, eine reichhaltige Bibliothek und Aemter und Würden in allen Kreisen. Sechs Tage hat man um nachzudenken und am siebenten thut man den Mund auf. Beim Spazierengehen reichen Einem Schüler und Schülerinnen die Hand, und wenn man nach Hause kommt, dampft der Kaffee, der Topfkuchen wird aufgetragen und durch die Gartenthür bringen die Mädchen Aepfel herein. -- Kannst du dir etwas schöneres denken? Hänschen. Ich denke mir halbgeschlossene Wimpern, halbgeöffnete Lippen und türkische Draperien. -- Ich glaube nicht an das Pathos. Sieh', unsere Alten zeigen uns lange Gesichter, um ihre Dummheiten zu bemänteln. Unter einander nennen sie sich Schafsköpfe wie wir. Ich kenne das. -- Wenn ich Millionär bin, werde ich dem lieben Gott ein Denkmal setzen. -- Denke dir die Zukunft als Milchsette mit Zucker und Zimmt. Der Eine wirft sie und heult, der Andere rührt alles durcheinander und schwitzt. Warum nicht abschöpfen? -- Oder glaubst du nicht, daß es sich lernen ließe. Ernst. -- Schöpfen wir ab! Hänschen. Was bleibt, fressen die Hühner. -- Ich habe den Kopf nun schon aus so mancher Schlinge gezogen. ... Ernst. Schöpfen wir ab, Hänschen! -- Warum lachst du? Hänschen. Fängst du schon wieder an? Hänschen. Wenn ich die Ranke beuge, baumelt ſie uns von Mund zu Mund. Keiner braucht ſich zu rühren. Wir beißen die Beeren ab und laſſen den Kamm zum Stock zurückſchnellen. Ernſt. Kaum entſchließt man ſich, und ſiehe, ſo dämmert auch ſchon die dahingeſchwundene Kraft wieder auf. Hänschen. Dazu das flammende Firmament — und die Abendglocken — Ich verſpreche mir wenig mehr von der Zukunft. Ernſt. — Ich ſehe mich manchmal ſchon als hochwürdigen Pfarrer — ein gemüthvolles Hausmütterchen, eine reichhaltige Bibliothek und Aemter und Würden in allen Kreiſen. Sechs Tage hat man um nachzudenken und am ſiebenten thut man den Mund auf. Beim Spazierengehen reichen Einem Schüler und Schülerinnen die Hand, und wenn man nach Hauſe kommt, dampft der Kaffee, der Topfkuchen wird aufgetragen und durch die Gartenthür bringen die Mädchen Aepfel herein. — Kannſt du dir etwas ſchöneres denken? Hänschen. Ich denke mir halbgeſchloſſene Wimpern, halbgeöffnete Lippen und türkiſche Draperien. — Ich glaube nicht an das Pathos. Sieh', unſere Alten zeigen uns lange Geſichter, um ihre Dummheiten zu bemänteln. Unter einander nennen ſie ſich Schafsköpfe wie wir. Ich kenne das. — Wenn ich Millionär bin, werde ich dem lieben Gott ein Denkmal ſetzen. — Denke dir die Zukunft als Milchſette mit Zucker und Zimmt. Der Eine wirft ſie und heult, der Andere rührt alles durcheinander und ſchwitzt. Warum nicht abſchöpfen? — Oder glaubſt du nicht, daß es ſich lernen ließe. Ernſt. — Schöpfen wir ab! Hänschen. Was bleibt, freſſen die Hühner. — Ich habe den Kopf nun ſchon aus ſo mancher Schlinge gezogen. … Ernſt. Schöpfen wir ab, Hänschen! — Warum lachſt du? Hänschen. Fängſt du ſchon wieder an? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0090" n="74"/> <sp who="#HAN"> <speaker><hi rendition="#g">Hänschen</hi>.</speaker> <p>Wenn ich die Ranke beuge, baumelt ſie uns<lb/> von Mund zu Mund. Keiner braucht ſich zu rühren. 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Hänschen. Wenn ich die Ranke beuge, baumelt ſie uns
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Ernſt. Kaum entſchließt man ſich, und ſiehe, ſo dämmert
auch ſchon die dahingeſchwundene Kraft wieder auf.
Hänschen. Dazu das flammende Firmament — und die
Abendglocken — Ich verſpreche mir wenig mehr von der Zukunft.
Ernſt. — Ich ſehe mich manchmal ſchon als hochwürdigen
Pfarrer — ein gemüthvolles Hausmütterchen, eine reichhaltige
Bibliothek und Aemter und Würden in allen Kreiſen. Sechs
Tage hat man um nachzudenken und am ſiebenten thut man den
Mund auf. Beim Spazierengehen reichen Einem Schüler und
Schülerinnen die Hand, und wenn man nach Hauſe kommt,
dampft der Kaffee, der Topfkuchen wird aufgetragen und durch
die Gartenthür bringen die Mädchen Aepfel herein. — Kannſt
du dir etwas ſchöneres denken?
Hänschen. Ich denke mir halbgeſchloſſene Wimpern,
halbgeöffnete Lippen und türkiſche Draperien. — Ich glaube nicht
an das Pathos. Sieh', unſere Alten zeigen uns lange Geſichter,
um ihre Dummheiten zu bemänteln. Unter einander nennen ſie
ſich Schafsköpfe wie wir. Ich kenne das. — Wenn ich Millionär
bin, werde ich dem lieben Gott ein Denkmal ſetzen. — Denke dir
die Zukunft als Milchſette mit Zucker und Zimmt. Der Eine
wirft ſie und heult, der Andere rührt alles durcheinander und
ſchwitzt. Warum nicht abſchöpfen? — Oder glaubſt du nicht,
daß es ſich lernen ließe.
Ernſt. — Schöpfen wir ab!
Hänschen. Was bleibt, freſſen die Hühner. — Ich habe
den Kopf nun ſchon aus ſo mancher Schlinge gezogen. …
Ernſt. Schöpfen wir ab, Hänschen! — Warum lachſt du?
Hänschen. Fängſt du ſchon wieder an?
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