Wedekind, Frank: Erdgeist. Paris; Leipzig, 1895. Lulu. Er ist Kunstturner. Schön. Das war nicht vorauszusehen. -- Du Creatur, die mich durch den Straßenkot zum Martertode schleift! Lulu. Warum hast du mich nicht besser erzogen? Schön. Du Würgengel! Du Fluch, der über mein Lebenswerk kam! Du unabwendbares Verhängnis! Du Advocatus diaboli, der mich mit Peitschenhieben zum Abgrund treibt: Mörder werden oder im Schmutz ertrinken; mich einschiffen wie ein ent- lassener Sträfling, oder mich über dem Morast auf- hängen. Du Freude meines Alters! Du Dankes- frucht meiner Sorgfalt, meiner Liebe, meiner Mensch- lichkeit, meiner Opfer! Du Hohn auf alles, was Menschenseele heißt! Du Henkerstrick des Uner- forschlichen! Lulu. Töte mich. Spar deine Worte. Schön. Ich habe dich nackt aus dem Straßenkot ge- zogen. Ich habe dich gepflegt, wie nie ein Vater ein leiblich Kind gepflegt hat. Ich habe auf dich Lulu. Er iſt Kunſtturner. Schön. Das war nicht vorauszuſehen. — Du Creatur, die mich durch den Straßenkot zum Martertode ſchleift! Lulu. Warum haſt du mich nicht beſſer erzogen? Schön. Du Würgengel! Du Fluch, der über mein Lebenswerk kam! Du unabwendbares Verhängnis! Du Advocatus diaboli, der mich mit Peitſchenhieben zum Abgrund treibt: Mörder werden oder im Schmutz ertrinken; mich einſchiffen wie ein ent- laſſener Sträfling, oder mich über dem Moraſt auf- hängen. Du Freude meines Alters! Du Dankes- frucht meiner Sorgfalt, meiner Liebe, meiner Menſch- lichkeit, meiner Opfer! Du Hohn auf alles, was Menſchenſeele heißt! Du Henkerſtrick des Uner- forſchlichen! Lulu. Töte mich. Spar deine Worte. Schön. Ich habe dich nackt aus dem Straßenkot ge- zogen. Ich habe dich gepflegt, wie nie ein Vater ein leiblich Kind gepflegt hat. Ich habe auf dich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0206" n="200"/> <sp who="#LUL"> <speaker> <hi rendition="#b">Lulu.</hi> </speaker><lb/> <p>Er iſt Kunſtturner.</p> </sp><lb/> <sp who="#SCH"> <speaker> <hi rendition="#b">Schön.</hi> </speaker><lb/> <p>Das war nicht vorauszuſehen. — Du Creatur,<lb/> die mich durch den Straßenkot zum Martertode<lb/> ſchleift!</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker> <hi rendition="#b">Lulu.</hi> </speaker><lb/> <p>Warum haſt du mich nicht beſſer erzogen?</p> </sp><lb/> <sp who="#SCH"> <speaker> <hi rendition="#b">Schön.</hi> </speaker><lb/> <p>Du Würgengel! Du Fluch, der über mein<lb/> Lebenswerk kam! Du unabwendbares Verhängnis!<lb/> Du <hi rendition="#aq">Advocatus diaboli</hi>, der mich mit Peitſchenhieben<lb/> zum Abgrund treibt: Mörder werden oder im<lb/> Schmutz ertrinken; mich einſchiffen wie ein ent-<lb/> laſſener Sträfling, oder mich über dem Moraſt auf-<lb/> hängen. Du Freude meines Alters! Du Dankes-<lb/> frucht meiner Sorgfalt, meiner Liebe, meiner Menſch-<lb/> lichkeit, meiner Opfer! Du Hohn auf alles, was<lb/> Menſchenſeele heißt! Du Henkerſtrick des Uner-<lb/> forſchlichen!</p> </sp><lb/> <sp who="#LUL"> <speaker> <hi rendition="#b">Lulu.</hi> </speaker><lb/> <p>Töte mich. Spar deine Worte.</p> </sp><lb/> <sp who="#SCH"> <speaker> <hi rendition="#b">Schön.</hi> </speaker><lb/> <p>Ich habe dich nackt aus dem Straßenkot ge-<lb/> zogen. Ich habe dich gepflegt, wie nie ein Vater<lb/> ein leiblich Kind gepflegt hat. Ich habe auf dich<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [200/0206]
Lulu.
Er iſt Kunſtturner.
Schön.
Das war nicht vorauszuſehen. — Du Creatur,
die mich durch den Straßenkot zum Martertode
ſchleift!
Lulu.
Warum haſt du mich nicht beſſer erzogen?
Schön.
Du Würgengel! Du Fluch, der über mein
Lebenswerk kam! Du unabwendbares Verhängnis!
Du Advocatus diaboli, der mich mit Peitſchenhieben
zum Abgrund treibt: Mörder werden oder im
Schmutz ertrinken; mich einſchiffen wie ein ent-
laſſener Sträfling, oder mich über dem Moraſt auf-
hängen. Du Freude meines Alters! Du Dankes-
frucht meiner Sorgfalt, meiner Liebe, meiner Menſch-
lichkeit, meiner Opfer! Du Hohn auf alles, was
Menſchenſeele heißt! Du Henkerſtrick des Uner-
forſchlichen!
Lulu.
Töte mich. Spar deine Worte.
Schön.
Ich habe dich nackt aus dem Straßenkot ge-
zogen. Ich habe dich gepflegt, wie nie ein Vater
ein leiblich Kind gepflegt hat. Ich habe auf dich
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