Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

Schulung aber, wie wir sie nach der Tradition der deutschen
Universitäten an diesen betreiben sollen, ist eine geistesaristo-
kratische
Angelegenheit, das sollten wir uns nicht verhehlen.
Nun ist es freilich andererseits wahr: die Darlegung wissen-
schaftlicher Probleme so, daß ein ungeschulter, aber aufnahme-
fähiger Kopf sie versteht, und daß er - was für uns das allein
Entscheidende ist - zum selbständigen Denken darüber gelangt,
ist vielleicht die pädagogisch schwierigste Aufgabe von allen.
Gewiß: aber darüber, ob sie gelöst wird, entscheiden nicht die
Hörerzahlen. Und - um wieder auf unser Thema zu kom-
men - eben diese Kunst ist eine persönliche Gabe und fällt
mit den wissenschaftlichen Qualitäten eines Gelehrten ganz und
gar nicht zusammen. Jm Gegensatz zu Frankreich aber haben
wir keine Körperschaft der "Unsterblichen" der Wissenschaft,
sondern es sollen unserer Tradition gemäß die Universitäten
beiden Anforderungen: der Forschung und der Lehre, gerecht
werden. Ob die Fähigkeiten dazu sich aber in einem Menschen
zusammenfinden, ist absoluter Zufall.

Das akademische Leben ist also ein wilder Hazard. Wenn
junge Gelehrte um Rat fragen kommen wegen Habilitation,
so ist die Verantwortung des Zuredens fast nicht zu tragen.
Jst er ein Jude, so sagt man ihm natürlich: lasciate ogni
speranza
. Aber auch jeden anderen muß man auf das Ge-
wissen fragen: Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr
um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hin-
aussteigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben?
Dann bekommt man selbstverständlich jedesmal die Antwort:
Natürlich, ich lebe nur meinem "Beruf"; - aber ich wenigstens
habe es nur von sehr wenigen erlebt, daß sie das ohne inneren
Schaden für sich aushielten.

Soviel schien nötig über die äußeren Bedingungen des Ge-
lehrtenberufs zu sagen.

Jch glaube nun aber, Sie wollen in Wirklichkeit von etwas
anderem: von dem inneren Berufe zur Wissenschaft, hören.
Jn der heutigen Zeit ist die innere Lage gegenüber dem Be-
trieb der Wissenschaft als Beruf bedingt zunächst dadurch, daß
die Wissenschaft in ein Stadium der Spezialisierung einge-

Schulung aber, wie wir ſie nach der Tradition der deutſchen
Univerſitäten an dieſen betreiben ſollen, iſt eine geiſtesariſto-
kratiſche
Angelegenheit, das ſollten wir uns nicht verhehlen.
Nun iſt es freilich andererſeits wahr: die Darlegung wiſſen-
ſchaftlicher Probleme ſo, daß ein ungeſchulter, aber aufnahme-
fähiger Kopf ſie verſteht, und daß er – was für uns das allein
Entſcheidende iſt – zum ſelbſtändigen Denken darüber gelangt,
iſt vielleicht die pädagogiſch ſchwierigſte Aufgabe von allen.
Gewiß: aber darüber, ob ſie gelöſt wird, entſcheiden nicht die
Hörerzahlen. Und – um wieder auf unſer Thema zu kom-
men – eben dieſe Kunſt iſt eine perſönliche Gabe und fällt
mit den wiſſenſchaftlichen Qualitäten eines Gelehrten ganz und
gar nicht zuſammen. Jm Gegenſatz zu Frankreich aber haben
wir keine Körperſchaft der „Unſterblichen“ der Wiſſenſchaft,
ſondern es ſollen unſerer Tradition gemäß die Univerſitäten
beiden Anforderungen: der Forſchung und der Lehre, gerecht
werden. Ob die Fähigkeiten dazu ſich aber in einem Menſchen
zuſammenfinden, iſt abſoluter Zufall.

Das akademiſche Leben iſt alſo ein wilder Hazard. Wenn
junge Gelehrte um Rat fragen kommen wegen Habilitation,
ſo iſt die Verantwortung des Zuredens faſt nicht zu tragen.
Jſt er ein Jude, ſo ſagt man ihm natürlich: lasciate ogni
ſperanza
. Aber auch jeden anderen muß man auf das Ge-
wiſſen fragen: Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr
um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hin-
ausſteigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben?
Dann bekommt man ſelbſtverſtändlich jedesmal die Antwort:
Natürlich, ich lebe nur meinem „Beruf“; – aber ich wenigſtens
habe es nur von ſehr wenigen erlebt, daß ſie das ohne inneren
Schaden für ſich aushielten.

Soviel ſchien nötig über die äußeren Bedingungen des Ge-
lehrtenberufs zu ſagen.

Jch glaube nun aber, Sie wollen in Wirklichkeit von etwas
anderem: von dem inneren Berufe zur Wiſſenſchaft, hören.
Jn der heutigen Zeit iſt die innere Lage gegenüber dem Be-
trieb der Wiſſenſchaft als Beruf bedingt zunächſt dadurch, daß
die Wiſſenſchaft in ein Stadium der Spezialiſierung einge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0008" n="9"/>
Schulung aber, wie wir &#x017F;ie nach der Tradition der deut&#x017F;chen<lb/>
Univer&#x017F;itäten an die&#x017F;en betreiben &#x017F;ollen, i&#x017F;t eine <hi rendition="#g">gei&#x017F;tesari&#x017F;to-<lb/>
krati&#x017F;che</hi> Angelegenheit, das &#x017F;ollten wir uns nicht verhehlen.<lb/>
Nun i&#x017F;t es freilich anderer&#x017F;eits wahr: die Darlegung wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaftlicher Probleme &#x017F;o, daß ein unge&#x017F;chulter, aber aufnahme-<lb/>
fähiger Kopf &#x017F;ie ver&#x017F;teht, und daß er &#x2013; was für uns das allein<lb/>
Ent&#x017F;cheidende i&#x017F;t &#x2013; zum &#x017F;elb&#x017F;tändigen Denken darüber gelangt,<lb/>
i&#x017F;t vielleicht die pädagogi&#x017F;ch &#x017F;chwierig&#x017F;te Aufgabe von allen.<lb/>
Gewiß: aber darüber, ob &#x017F;ie gelö&#x017F;t wird, ent&#x017F;cheiden nicht die<lb/>
Hörerzahlen. Und &#x2013; um wieder auf un&#x017F;er Thema zu kom-<lb/>
men &#x2013; eben die&#x017F;e Kun&#x017F;t i&#x017F;t eine per&#x017F;önliche Gabe und fällt<lb/>
mit den wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichen Qualitäten eines Gelehrten ganz und<lb/>
gar nicht zu&#x017F;ammen. Jm Gegen&#x017F;atz zu Frankreich aber haben<lb/>
wir keine Körper&#x017F;chaft der &#x201E;Un&#x017F;terblichen&#x201C; der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft,<lb/>
&#x017F;ondern es &#x017F;ollen un&#x017F;erer Tradition gemäß die Univer&#x017F;itäten<lb/>
beiden Anforderungen: der For&#x017F;chung und der Lehre, gerecht<lb/>
werden. Ob die Fähigkeiten dazu &#x017F;ich aber in einem Men&#x017F;chen<lb/>
zu&#x017F;ammenfinden, i&#x017F;t ab&#x017F;oluter Zufall.</p><lb/>
        <p>Das akademi&#x017F;che Leben i&#x017F;t al&#x017F;o ein wilder Hazard. Wenn<lb/>
junge Gelehrte um Rat fragen kommen wegen Habilitation,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t die Verantwortung des Zuredens fa&#x017F;t nicht zu tragen.<lb/>
J&#x017F;t er ein Jude, &#x017F;o &#x017F;agt man ihm natürlich: <hi rendition="#aq">lasciate ogni<lb/>
&#x017F;peranza</hi>.<note resp="#WS" type="editorial"><p>&#x201E;Lasst alle Hoffnung fahren&#x201C;, bei Dante, Die Göttliche Komödie, Inferno III, 9, der Spruch, mit dem die Reisenden am Höllentor empfangen werden: &#x201E;Lasciate ogni speranza, voi ch&#x2019;entrate!&#x201C; &#x2013; &#x201E;Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!&#x201C;</p></note> Aber auch jeden anderen muß man auf das Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en fragen: Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr<lb/>
um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hin-<lb/>
aus&#x017F;teigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben?<lb/>
Dann bekommt man &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich jedesmal die Antwort:<lb/>
Natürlich, ich lebe nur meinem &#x201E;Beruf&#x201C;; &#x2013; aber ich wenig&#x017F;tens<lb/>
habe es nur von &#x017F;ehr wenigen erlebt, daß &#x017F;ie das ohne inneren<lb/>
Schaden für &#x017F;ich aushielten.</p><lb/>
        <p>Soviel &#x017F;chien nötig über die äußeren Bedingungen des Ge-<lb/>
lehrtenberufs zu &#x017F;agen.</p><lb/>
        <p>Jch glaube nun aber, Sie wollen in Wirklichkeit von etwas<lb/>
anderem: von dem <hi rendition="#g">inneren</hi> Berufe zur Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, hören.<lb/>
Jn der heutigen Zeit i&#x017F;t die innere Lage gegenüber dem Be-<lb/>
trieb der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft als Beruf bedingt zunäch&#x017F;t dadurch, daß<lb/>
die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft in ein Stadium der Speziali&#x017F;ierung einge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0008] Schulung aber, wie wir ſie nach der Tradition der deutſchen Univerſitäten an dieſen betreiben ſollen, iſt eine geiſtesariſto- kratiſche Angelegenheit, das ſollten wir uns nicht verhehlen. Nun iſt es freilich andererſeits wahr: die Darlegung wiſſen- ſchaftlicher Probleme ſo, daß ein ungeſchulter, aber aufnahme- fähiger Kopf ſie verſteht, und daß er – was für uns das allein Entſcheidende iſt – zum ſelbſtändigen Denken darüber gelangt, iſt vielleicht die pädagogiſch ſchwierigſte Aufgabe von allen. Gewiß: aber darüber, ob ſie gelöſt wird, entſcheiden nicht die Hörerzahlen. Und – um wieder auf unſer Thema zu kom- men – eben dieſe Kunſt iſt eine perſönliche Gabe und fällt mit den wiſſenſchaftlichen Qualitäten eines Gelehrten ganz und gar nicht zuſammen. Jm Gegenſatz zu Frankreich aber haben wir keine Körperſchaft der „Unſterblichen“ der Wiſſenſchaft, ſondern es ſollen unſerer Tradition gemäß die Univerſitäten beiden Anforderungen: der Forſchung und der Lehre, gerecht werden. Ob die Fähigkeiten dazu ſich aber in einem Menſchen zuſammenfinden, iſt abſoluter Zufall. Das akademiſche Leben iſt alſo ein wilder Hazard. Wenn junge Gelehrte um Rat fragen kommen wegen Habilitation, ſo iſt die Verantwortung des Zuredens faſt nicht zu tragen. Jſt er ein Jude, ſo ſagt man ihm natürlich: lasciate ogni ſperanza. Aber auch jeden anderen muß man auf das Ge- wiſſen fragen: Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hin- ausſteigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben? Dann bekommt man ſelbſtverſtändlich jedesmal die Antwort: Natürlich, ich lebe nur meinem „Beruf“; – aber ich wenigſtens habe es nur von ſehr wenigen erlebt, daß ſie das ohne inneren Schaden für ſich aushielten. Soviel ſchien nötig über die äußeren Bedingungen des Ge- lehrtenberufs zu ſagen. Jch glaube nun aber, Sie wollen in Wirklichkeit von etwas anderem: von dem inneren Berufe zur Wiſſenſchaft, hören. Jn der heutigen Zeit iſt die innere Lage gegenüber dem Be- trieb der Wiſſenſchaft als Beruf bedingt zunächſt dadurch, daß die Wiſſenſchaft in ein Stadium der Spezialiſierung einge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-02-07T08:13:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-02-07T08:13:52Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: übernommen; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): transkribiert; Normalisierungen: dokumentiert; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/8
Zitationshilfe: Weber, Max: Wissenschaft als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag. München, 1919, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_wissenschaft_1919/8>, abgerufen am 24.11.2024.