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Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919.

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des Wortes "geworden" ist. Es wäre ja schön, wenn die
Sache so wäre, daß dann Shakespeares 102. Sonett gelten
würde:

Damals war Lenz und unsere Liebe grün,
Da grüßt' ich täglich sie mit meinem Sang,
So schlägt die Nachtigall in Sommers Blühn -
Und schweigt den Ton in reifrer Tage Gang.

Aber so ist die Sache nicht. Nicht das Blühen des Sommers
liegt vor uns, sondern zunächst eine Polarnacht von eisiger
Finsternis und Härte, mag äußerlich jetzt siegen welche Gruppe
auch immer. Denn: wo nichts ist, da hat nicht nur der Kaiser,
sondern auch der Proletarier sein Recht verloren. Wenn
diese Nacht langsam weichen wird, wer wird dann von denen
noch leben, deren Lenz jetzt scheinbar so üppig geblüht hat?
Und was wird aus Jhnen allen dann innerlich geworden
sein? Verbitterung oder Banausentum, einfaches stumpfes
Hinnehmen der Welt und des Berufes oder, das dritte und
nicht Seltenste: mystische Weltflucht bei denen, welche die
Gabe dafür haben, oder - oft und übel - sie als Mode
sich anquälen? Jn jedem solchen Fall werde ich die Kon-
sequenz ziehen: die sind ihrem eigenen Tun nicht gewachsen
gewesen, nicht gewachsen auch der Welt, so wie sie wirklich
ist, und ihrem Alltag: sie haben den Beruf zur Politik, den
sie für sich in sich glaubten, objektiv und tatsächlich im inner-
lichsten Sinn nicht gehabt. Sie hätten besser getan, die
Brüderlichkeit schlicht und einfach von Mensch zu Mensch zu
pflegen und im übrigen rein sachlich an ihres Tages Arbeit
zu wirken.

Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von
harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.
Es ist ja durchaus richtig, und alle geschichtliche Erfahrung
bestätigt es, daß man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht
immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen
worden wäre. Aber der, der das tun kann, muß ein Führer
und nicht nur das, sondern auch - in einem sehr schlichten
Wortsinn - ein Held sein. Und auch die, welche beides
nicht sind, müssen sich wappnen mit jener Festigkeit des

des Wortes „geworden“ iſt. Es wäre ja ſchön, wenn die
Sache ſo wäre, daß dann Shakeſpeares 102. Sonett gelten
würde:

Damals war Lenz und unſere Liebe grün,
Da grüßt’ ich täglich ſie mit meinem Sang,
So ſchlägt die Nachtigall in Sommers Blühn –
Und ſchweigt den Ton in reifrer Tage Gang.

Aber ſo iſt die Sache nicht. Nicht das Blühen des Sommers
liegt vor uns, ſondern zunächſt eine Polarnacht von eiſiger
Finſternis und Härte, mag äußerlich jetzt ſiegen welche Gruppe
auch immer. Denn: wo nichts iſt, da hat nicht nur der Kaiſer,
ſondern auch der Proletarier ſein Recht verloren. Wenn
dieſe Nacht langſam weichen wird, wer wird dann von denen
noch leben, deren Lenz jetzt ſcheinbar ſo üppig geblüht hat?
Und was wird aus Jhnen allen dann innerlich geworden
ſein? Verbitterung oder Banauſentum, einfaches ſtumpfes
Hinnehmen der Welt und des Berufes oder, das dritte und
nicht Seltenſte: myſtiſche Weltflucht bei denen, welche die
Gabe dafür haben, oder – oft und übel – ſie als Mode
ſich anquälen? Jn jedem ſolchen Fall werde ich die Kon-
ſequenz ziehen: die ſind ihrem eigenen Tun nicht gewachſen
geweſen, nicht gewachſen auch der Welt, ſo wie ſie wirklich
iſt, und ihrem Alltag: ſie haben den Beruf zur Politik, den
ſie für ſich in ſich glaubten, objektiv und tatsächlich im inner-
lichſten Sinn nicht gehabt. Sie hätten beſſer getan, die
Brüderlichkeit ſchlicht und einfach von Menſch zu Menſch zu
pflegen und im übrigen rein ſachlich an ihres Tages Arbeit
zu wirken.

Die Politik bedeutet ein ſtarkes langſames Bohren von
harten Brettern mit Leidenſchaft und Augenmaß zugleich.
Es iſt ja durchaus richtig, und alle geſchichtliche Erfahrung
beſtätigt es, daß man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht
immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen
worden wäre. Aber der, der das tun kann, muß ein Führer
und nicht nur das, ſondern auch – in einem ſehr ſchlichten
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[66/0066] des Wortes „geworden“ iſt. Es wäre ja ſchön, wenn die Sache ſo wäre, daß dann Shakeſpeares 102. Sonett gelten würde: Damals war Lenz und unſere Liebe grün, Da grüßt’ ich täglich ſie mit meinem Sang, So ſchlägt die Nachtigall in Sommers Blühn – Und ſchweigt den Ton in reifrer Tage Gang. Aber ſo iſt die Sache nicht. Nicht das Blühen des Sommers liegt vor uns, ſondern zunächſt eine Polarnacht von eiſiger Finſternis und Härte, mag äußerlich jetzt ſiegen welche Gruppe auch immer. Denn: wo nichts iſt, da hat nicht nur der Kaiſer, ſondern auch der Proletarier ſein Recht verloren. Wenn dieſe Nacht langſam weichen wird, wer wird dann von denen noch leben, deren Lenz jetzt ſcheinbar ſo üppig geblüht hat? Und was wird aus Jhnen allen dann innerlich geworden ſein? Verbitterung oder Banauſentum, einfaches ſtumpfes Hinnehmen der Welt und des Berufes oder, das dritte und nicht Seltenſte: myſtiſche Weltflucht bei denen, welche die Gabe dafür haben, oder – oft und übel – ſie als Mode ſich anquälen? Jn jedem ſolchen Fall werde ich die Kon- ſequenz ziehen: die ſind ihrem eigenen Tun nicht gewachſen geweſen, nicht gewachſen auch der Welt, ſo wie ſie wirklich iſt, und ihrem Alltag: ſie haben den Beruf zur Politik, den ſie für ſich in ſich glaubten, objektiv und tatsächlich im inner- lichſten Sinn nicht gehabt. Sie hätten beſſer getan, die Brüderlichkeit ſchlicht und einfach von Menſch zu Menſch zu pflegen und im übrigen rein ſachlich an ihres Tages Arbeit zu wirken. Die Politik bedeutet ein ſtarkes langſames Bohren von harten Brettern mit Leidenſchaft und Augenmaß zugleich. Es iſt ja durchaus richtig, und alle geſchichtliche Erfahrung beſtätigt es, daß man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre. Aber der, der das tun kann, muß ein Führer und nicht nur das, ſondern auch – in einem ſehr ſchlichten Wortſinn – ein Held ſein. Und auch die, welche beides nicht ſind, müſſen ſich wappnen mit jener Feſtigkeit des

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Zitationshilfe: Weber, Max: Politik als Beruf. In: Geistige Arbeit als Beruf. Vier Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag. München, 1919, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_politik_1919/66>, abgerufen am 23.11.2024.