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Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.

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glück steht über der Pforte der unbekannten Zukunft der Men-
schengeschichte: lasciate ogni speranza.

Nicht wie die Menschen der Zukunft sich befinden, son-
dern wie sie sein werden, ist die Frage, die uns beim Denken
über das Grab der eigenen Generation hinaus bewegt, die auch in
Wahrheit jeder wirtschaftspolitischen Arbeit zugrunde liegt. Nicht
das Wohlbefinden der Menschen, sondern diejenigen Eigenschaften
möchten wir in ihnen emporzüchten, mit welchen wir die Em-
pfindung verbinden, daß sie menschliche Größe und den Adel
unserer Natur ausmachen.

Abwechselnd hat man in der Volkswirtschaftslehre das
technisch-ökonomische Problem der Gütererzeugung und das Pro-
blem der Güterverteilung, der "sozialen Gerechtigkeit", als Wert-
maßstäbe in den Vordergrund gerückt oder auch naiv identifiziert
- und über beiden erhob sich doch immer wieder, halb unbewußt
und dennoch alles beherrschend, die Erkenntnis, daß eine Wissen-
schaft vom Menschen, und das ist die Volkswirtschaftslehre,
vor allem nach der Qualität der Menschen fragt, welche durch
jene ökonomischen und sozialen Daseinsbedingungen herangezüchtet
werden. Und hier hüten wir uns vor einer Jllusion.

Die Volkswirtschaftslehre als erklärende und analysierende
Wissenschaft ist international, allein sobald sie Werturteile
fällt, ist sie gebunden an diejenige Ausprägung des Menschen-
tums, die wir in unserem eigenen Wesen finden. Sie ist es oft
gerade dann am meisten, wenn wir unserer eigenen Haut am
meisten entronnen zu sein glauben. Und - um ein etwas
phantastisches Bild zu brauchen - vermöchten wir nach Jahr-
tausenden dem Grab zu entsteigen, so wären es die fernen
Spuren unseres eigenen Wesens, nach denen wir im Antlitz des

Weber, Nationalstaat. 2

glück ſteht über der Pforte der unbekannten Zukunft der Men-
ſchengeſchichte: lasciate ogni speranza.

Nicht wie die Menſchen der Zukunft ſich befinden, ſon-
dern wie ſie sein werden, iſt die Frage, die uns beim Denken
über das Grab der eigenen Generation hinaus bewegt, die auch in
Wahrheit jeder wirtſchaftspolitiſchen Arbeit zugrunde liegt. Nicht
das Wohlbefinden der Menſchen, ſondern diejenigen Eigenſchaften
möchten wir in ihnen emporzüchten, mit welchen wir die Em-
pfindung verbinden, daß ſie menſchliche Größe und den Adel
unſerer Natur ausmachen.

Abwechſelnd hat man in der Volkswirtſchaftslehre das
techniſch-ökonomiſche Problem der Gütererzeugung und das Pro-
blem der Güterverteilung, der „sozialen Gerechtigkeit“, als Wert-
maßſtäbe in den Vordergrund gerückt oder auch naiv identifiziert
– und über beiden erhob ſich doch immer wieder, halb unbewußt
und dennoch alles beherrſchend, die Erkenntnis, daß eine Wiſſen-
ſchaft vom Menſchen, und das iſt die Volkswirtſchaftslehre,
vor allem nach der Qualität der Menſchen fragt, welche durch
jene ökonomiſchen und ſozialen Daſeinsbedingungen herangezüchtet
werden. Und hier hüten wir uns vor einer Jlluſion.

Die Volkswirtſchaftslehre als erklärende und analyſierende
Wiſſenſchaft iſt international, allein ſobald ſie Werturteile
fällt, iſt ſie gebunden an diejenige Ausprägung des Menſchen-
tums, die wir in unſerem eigenen Weſen finden. Sie iſt es oft
gerade dann am meiſten, wenn wir unſerer eigenen Haut am
meiſten entronnen zu ſein glauben. Und – um ein etwas
phantaſtiſches Bild zu brauchen – vermöchten wir nach Jahr-
tauſenden dem Grab zu entſteigen, ſo wären es die fernen
Spuren unſeres eigenen Weſens, nach denen wir im Antlitz des

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[17/0023] glück ſteht über der Pforte der unbekannten Zukunft der Men- ſchengeſchichte: lasciate ogni speranza. Nicht wie die Menſchen der Zukunft ſich befinden, ſon- dern wie ſie sein werden, iſt die Frage, die uns beim Denken über das Grab der eigenen Generation hinaus bewegt, die auch in Wahrheit jeder wirtſchaftspolitiſchen Arbeit zugrunde liegt. Nicht das Wohlbefinden der Menſchen, ſondern diejenigen Eigenſchaften möchten wir in ihnen emporzüchten, mit welchen wir die Em- pfindung verbinden, daß ſie menſchliche Größe und den Adel unſerer Natur ausmachen. Abwechſelnd hat man in der Volkswirtſchaftslehre das techniſch-ökonomiſche Problem der Gütererzeugung und das Pro- blem der Güterverteilung, der „sozialen Gerechtigkeit“, als Wert- maßſtäbe in den Vordergrund gerückt oder auch naiv identifiziert – und über beiden erhob ſich doch immer wieder, halb unbewußt und dennoch alles beherrſchend, die Erkenntnis, daß eine Wiſſen- ſchaft vom Menſchen, und das iſt die Volkswirtſchaftslehre, vor allem nach der Qualität der Menſchen fragt, welche durch jene ökonomiſchen und ſozialen Daſeinsbedingungen herangezüchtet werden. Und hier hüten wir uns vor einer Jlluſion. Die Volkswirtſchaftslehre als erklärende und analyſierende Wiſſenſchaft iſt international, allein ſobald ſie Werturteile fällt, iſt ſie gebunden an diejenige Ausprägung des Menſchen- tums, die wir in unſerem eigenen Weſen finden. Sie iſt es oft gerade dann am meiſten, wenn wir unſerer eigenen Haut am meiſten entronnen zu ſein glauben. Und – um ein etwas phantaſtiſches Bild zu brauchen – vermöchten wir nach Jahr- tauſenden dem Grab zu entſteigen, ſo wären es die fernen Spuren unſeres eigenen Weſens, nach denen wir im Antlitz des Weber, Nationalſtaat. 2

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Zitationshilfe: Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/23>, abgerufen am 28.03.2024.