Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895.
Tagelöhner, die aus den Gegenden mit hoher Kultur Beide Vorgänge aber - der Abzug hier, die Vermehrung Warum ziehen die deutschen Tagelöhner ab? Nicht mate- an der christlichen Bevölkerung ging von 33,4 auf 31,3 zurück. Die
Dörfer der Kreise Konitz und Tuchel hatten + 8 %, der Anteil der Katholiken steig von 84,7 auf 86,0 %.
Tagelöhner, die aus den Gegenden mit hoher Kultur Beide Vorgänge aber – der Abzug hier, die Vermehrung Warum ziehen die deutſchen Tagelöhner ab? Nicht mate- an der chriſtlichen Bevölkerung ging von 33,4 auf 31,3 zurück. Die
Dörfer der Kreiſe Konitz und Tuchel hatten + 8 %, der Anteil der Katholiken ſteig von 84,7 auf 86,0 %. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <hi rendition="#g"><pb facs="#f0014" n="8"/> Tagelöhner, die aus den Gegenden mit hoher Kultur<lb/> abziehen, es ſind vornehmlich polniſch Bauern, die<lb/> in den Gegenden mit tiefem Kulturſtand ſich ver-<lb/> mehren.</hi> </p><lb/> <p>Beide Vorgänge aber – der Abzug hier, die Vermehrung<lb/> dort – führen in letzter Linie auf einen und denſelben Grund<lb/> zurück: die <hi rendition="#g">niedrigeren Anſprüche an die Lebenshaltung</hi><lb/> – in materieller teils, teils in ideeller Beziehung –, welche der<lb/> ſlawiſchen Raſſe von der Natur auf den Weg gegeben oder im Ver-<lb/> laufe ihrer Vergangenheit angezüchtet ſind, verhalfen ihr zum Siege.</p><lb/> <p>Warum ziehen die deutſchen Tagelöhner ab? Nicht mate-<lb/> rielle Gründe ſind es: nicht aus den Gegenden mit niedrigem<lb/> Lohnniveau und nicht aus den ſchlecht gelohnten Arbeiter-<lb/> kategorien rekrutiert ſich der Abzug; kaum eine Situation iſt<lb/> materiell geſicherter als die eines Jnſtmanns auf den öſtlichen<lb/> Gütern. – Auch nicht die vielberufene Sehnſucht nach den Ver-<lb/> gnügungen der Großſtadt. Sie iſt ein Grund für das planloſe<lb/> Wegwandern des jungen Nachwuchſes, aber nicht für den Abzug<lb/> altgedienter Tagelöhnerfamilien, – und warum erwacht jene Sucht<lb/> gerade da unter den Leuten, wo der Großbeſitz vorherrſcht, warum<lb/> können wir nachweiſen, daß die Abwanderung der Tagelöhner ab-<lb/> nimmt, je mehr das <hi rendition="#g">Bauerndorf</hi> die Phyſionomie der Land-<lb/> ſchaft beherrſcht? <hi rendition="#g">Dies</hi> iſt es: zwiſchen den Gutskomplexen der<lb/> Heimat giebt es für den Tagelöhner nur Herren und Knechte,<lb/> und für ſeine Nachfahren im fernſten Glied nur die Ausſicht,<lb/> nach der Gutsglocke auf fremdem Boden zu ſcharwerken. Jn<lb/><note xml:id="note-0014" prev="#note-0013" place="foot" n="1)">an der chriſtlichen Bevölkerung ging von 33,4 auf 31,3 zurück. Die<lb/> Dörfer der Kreiſe Konitz und Tuchel hatten + 8 %, der Anteil der<lb/> Katholiken ſteig von 84,7 auf 86,0 %.</note> </p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0014]
Tagelöhner, die aus den Gegenden mit hoher Kultur
abziehen, es ſind vornehmlich polniſch Bauern, die
in den Gegenden mit tiefem Kulturſtand ſich ver-
mehren.
Beide Vorgänge aber – der Abzug hier, die Vermehrung
dort – führen in letzter Linie auf einen und denſelben Grund
zurück: die niedrigeren Anſprüche an die Lebenshaltung
– in materieller teils, teils in ideeller Beziehung –, welche der
ſlawiſchen Raſſe von der Natur auf den Weg gegeben oder im Ver-
laufe ihrer Vergangenheit angezüchtet ſind, verhalfen ihr zum Siege.
Warum ziehen die deutſchen Tagelöhner ab? Nicht mate-
rielle Gründe ſind es: nicht aus den Gegenden mit niedrigem
Lohnniveau und nicht aus den ſchlecht gelohnten Arbeiter-
kategorien rekrutiert ſich der Abzug; kaum eine Situation iſt
materiell geſicherter als die eines Jnſtmanns auf den öſtlichen
Gütern. – Auch nicht die vielberufene Sehnſucht nach den Ver-
gnügungen der Großſtadt. Sie iſt ein Grund für das planloſe
Wegwandern des jungen Nachwuchſes, aber nicht für den Abzug
altgedienter Tagelöhnerfamilien, – und warum erwacht jene Sucht
gerade da unter den Leuten, wo der Großbeſitz vorherrſcht, warum
können wir nachweiſen, daß die Abwanderung der Tagelöhner ab-
nimmt, je mehr das Bauerndorf die Phyſionomie der Land-
ſchaft beherrſcht? Dies iſt es: zwiſchen den Gutskomplexen der
Heimat giebt es für den Tagelöhner nur Herren und Knechte,
und für ſeine Nachfahren im fernſten Glied nur die Ausſicht,
nach der Gutsglocke auf fremdem Boden zu ſcharwerken. Jn
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1) an der chriſtlichen Bevölkerung ging von 33,4 auf 31,3 zurück. Die
Dörfer der Kreiſe Konitz und Tuchel hatten + 8 %, der Anteil der
Katholiken ſteig von 84,7 auf 86,0 %.
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Zitationshilfe: | Weber, Max: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Freiburg (Breisgau) u. a., 1895, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_nationalstaat_1895/14>, abgerufen am 16.07.2024. |