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Weber, Mathilde: Über den heutigen Stand der Ärztinnenfrage. In: Allgemeine Deutsche Universitäts-Zeitung 2 (1892). S. 18–22.

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Über den heutigen Stand der Ärztinnenfrage.

Seit vielen Jahren wirkt der deutsche Allgemeine Frauen-
Verein dafür, daß auch in Deutschland, wie in den meisten an-
dern Kulturländern den Frauen das Studium der Medizin, die
Gymnasialvorschulung dazu nebst dem Maturitätsexamen, und
das Praktizieren als Frauenärztinnen gestattet werden möchte.
Doch war es in Dresden auf dem Frauentage das erstemal,
daß wir auf unserem Vortragsprogramm einen speciellen Bericht
über dieses viel angefeindete Thema ankündigten.

Es geschah dies gewiß nicht aus Mangel an Mut, sondern
nur, weil wir nicht mit dem Kopf durch die Wand wollten,
und vorher in der Stille langsam und gründlich den Boden be-
arbeiteten, in welchen wir unsere Saat zum Besten unseres
Geschlechts einsenken wollten.

Der Zeitpunkt, da wir mit offenem Visier für unsere gute
Sache kämpfen können, ohne mehr die früheren Kampfeswaffen
der Gegner, mit welchen wir nicht kämpfen wollten: Spott,
frivole und geringschätzige Äußerungen, fürchten zu müssen,
scheint uns endlich gekommen zu sein. - Denn nach den sorg-
fältig gemachten Beobachtungen und dem Studium des ge-
sammelten Materials über die Ärztinnenfrage, - dieses Sorgen-
kindes der Frauenbewegung können wir trotz der immer noch[Spaltenumbruch] sehr großen Gegnerschaft doch in den letzten Jahren einen wesent-
lichen Fortschritt konstatieren.

So heißt es z. B. in der Zeitschrift "Reform", und ähnlich
in manchen andern Zeitschriften, "im allgemeinen darf man wohl
sagen, daß der Umschwung in den Ansichten über das Frauen-
studium und die Frauenbefähigung alle Hoffnungen der Pioniere
übertroffen hat. - Anfangs hieß es, die Mädchen seien ober-
flächlich, sie haben sich im Gegenteil als beharrlich und fleißig
bewiesen, und Gründlichkeit streitet ihnen niemand mehr ab,
man hat in England, Amerika, der Schweiz u. s. w. weibliche
Ärzte sehr gerne. Jn einer englischen Zeitung lesen wir: Auch
in England nimmt die Anzahl praktizierender weiblicher Ärzte
stets zu, den studierenden Frauen stehen zum Zweck des Studiums
verschiedene bedeutende Spitäler offen. Und die Londoner Uni-
versität hat in Beziehung auf das Examen den bedeutsamen
Schritt gethan, daß nun an ihr sämtliche Examen und Titel
auch den Frauen zu Gebot stehen".

"Es haben an ihr, welche in Bezug auf das medizinische
Studium die höchsten Anforderungen stellt, in den letzten
Jahren verschiedene Frauen den Doktorgrad erworben. Jn
London praktizieren bereits 70 Ärztinnen. - Auch in Bezug
auf die Spitäler hat die Zulassung der Frauen als Ärzte sehr
segensreich gewirkt, u. s. w."

Geht es bei uns auch langsamer vorwärts als in den andern
Kulturländern, so erkennen doch immer mehr objektiv denkende
Männer die Berechtigung dieses aus weiblichem Zartgefühl
hervorgehenden Wunsches, ebenso ein Teil der Presse, z. B. sagt
der Nordwest:

Die nationalliberale Fraction im Reichstage hat sich, als
am 11. März die Zulassung weiblicher Ärzte auf der Tages-
ordnung stand, durch keinen Redner ausgesprochen; auch scheint
keiner von ihr für Rickert's Antrag "zur Berücksichtigung", der
eingereichten Vorstellungen gestimmt zu haben, sondern nur
einige "zur Erwägung" des Abg. Harmening. - Es ist deshalb
nicht ohne Bedeutung, daß ihr erklärtes Parteiblatt, die Han-
noverschen Neuesten Nachrichten "für die Zulassung der
Frauen zum Studium der Medizin eintreten, und hoffen, daß
die Petitionen, über welche der Reichstag jetzt zur Tagesordnung
übergegangen ist, so lange wiederkehren, bis sie die nötige Be-
achtung finden." - Für die Notwendigkeit weiblicher Ärzte,
sagt der Artikel, - spricht namentlich die nicht wegzuleugnende
Thatsache, daß sehr viele und grade von den besten und edelsten
Frauen in vielen Krankheitsfällen sich scheuen, sich an einen
fremden Arzt um ärztlichen Rat zu wenden und noch mehr sich
scheuen, den bekannten Arzt zu konsultieren. Erst wenn es
schon sehr spät, oft zu spät ist, treibt die äußerste Not die armen
Frauen zum Eingestehen ihrer Leiden. - Die allgemeine Uni-
versitätszeitung sagt unter anderem: Die schroffsten Gegner
müssen zugeben, daß auch in Deutschland diese Frage nie mehr
von der Bildfläche verschwinden werde und trotz der Niederlagen
der Petitionen in den Landtagen und im Reichstag sei der end-
liche Sieg der Frauen nur noch eine Frage der Zeit."

Unser berühmter in England lebender Landsmann, der ge-
lehrte Professor Max Müller äußert sich: Auch die deutschen
Frauen können und werden mit dieser Forderung ebenso sicher
durchdringen, wie die Engländerinnen, wenn sie alle so fest und
beharrlich wie diese zusammenstehen zu einem gemein-
samen
Vorgehen. - Und wenn sie eben so opferfähig wie
dort Stiftungen machen, um gleich mit großen Stipendien
den mutigen Mädchen und Frauen beizustehen, welche aus Liebe
zu den leidenden Mitschwestern und zur Wissenschaft den schweren
Beruf der Frauenärztin erwählen werden." Zu unserer Freude
darf ich dankbar hier erwähnen, daß unser Verein durch edle
Gönner bereits auch zweihunderttausend Mark Vermögen besitzt,[Spaltenumbruch]

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Über den heutigen Stand der Ärztinnenfrage.

Seit vielen Jahren wirkt der deutsche Allgemeine Frauen-
Verein dafür, daß auch in Deutschland, wie in den meisten an-
dern Kulturländern den Frauen das Studium der Medizin, die
Gymnasialvorschulung dazu nebst dem Maturitätsexamen, und
das Praktizieren als Frauenärztinnen gestattet werden möchte.
Doch war es in Dresden auf dem Frauentage das erstemal,
daß wir auf unserem Vortragsprogramm einen speciellen Bericht
über dieses viel angefeindete Thema ankündigten.

Es geschah dies gewiß nicht aus Mangel an Mut, sondern
nur, weil wir nicht mit dem Kopf durch die Wand wollten,
und vorher in der Stille langsam und gründlich den Boden be-
arbeiteten, in welchen wir unsere Saat zum Besten unseres
Geschlechts einsenken wollten.

Der Zeitpunkt, da wir mit offenem Visier für unsere gute
Sache kämpfen können, ohne mehr die früheren Kampfeswaffen
der Gegner, mit welchen wir nicht kämpfen wollten: Spott,
frivole und geringschätzige Äußerungen, fürchten zu müssen,
scheint uns endlich gekommen zu sein. – Denn nach den sorg-
fältig gemachten Beobachtungen und dem Studium des ge-
sammelten Materials über die Ärztinnenfrage, – dieses Sorgen-
kindes der Frauenbewegung können wir trotz der immer noch[Spaltenumbruch] sehr großen Gegnerschaft doch in den letzten Jahren einen wesent-
lichen Fortschritt konstatieren.

So heißt es z. B. in der Zeitschrift „Reform“, und ähnlich
in manchen andern Zeitschriften, „im allgemeinen darf man wohl
sagen, daß der Umschwung in den Ansichten über das Frauen-
studium und die Frauenbefähigung alle Hoffnungen der Pioniere
übertroffen hat. – Anfangs hieß es, die Mädchen seien ober-
flächlich, sie haben sich im Gegenteil als beharrlich und fleißig
bewiesen, und Gründlichkeit streitet ihnen niemand mehr ab,
man hat in England, Amerika, der Schweiz u. s. w. weibliche
Ärzte sehr gerne. Jn einer englischen Zeitung lesen wir: Auch
in England nimmt die Anzahl praktizierender weiblicher Ärzte
stets zu, den studierenden Frauen stehen zum Zweck des Studiums
verschiedene bedeutende Spitäler offen. Und die Londoner Uni-
versität hat in Beziehung auf das Examen den bedeutsamen
Schritt gethan, daß nun an ihr sämtliche Examen und Titel
auch den Frauen zu Gebot stehen“.

„Es haben an ihr, welche in Bezug auf das medizinische
Studium die höchsten Anforderungen stellt, in den letzten
Jahren verschiedene Frauen den Doktorgrad erworben. Jn
London praktizieren bereits 70 Ärztinnen. – Auch in Bezug
auf die Spitäler hat die Zulassung der Frauen als Ärzte sehr
segensreich gewirkt, u. s. w.“

Geht es bei uns auch langsamer vorwärts als in den andern
Kulturländern, so erkennen doch immer mehr objektiv denkende
Männer die Berechtigung dieses aus weiblichem Zartgefühl
hervorgehenden Wunsches, ebenso ein Teil der Presse, z. B. sagt
der Nordwest:

Die nationalliberale Fraction im Reichstage hat sich, als
am 11. März die Zulassung weiblicher Ärzte auf der Tages-
ordnung stand, durch keinen Redner ausgesprochen; auch scheint
keiner von ihr für Rickert's Antrag „zur Berücksichtigung“, der
eingereichten Vorstellungen gestimmt zu haben, sondern nur
einige „zur Erwägung“ des Abg. Harmening. – Es ist deshalb
nicht ohne Bedeutung, daß ihr erklärtes Parteiblatt, die Han-
noverschen Neuesten Nachrichten „für die Zulassung der
Frauen zum Studium der Medizin eintreten, und hoffen, daß
die Petitionen, über welche der Reichstag jetzt zur Tagesordnung
übergegangen ist, so lange wiederkehren, bis sie die nötige Be-
achtung finden.“ – Für die Notwendigkeit weiblicher Ärzte,
sagt der Artikel, – spricht namentlich die nicht wegzuleugnende
Thatsache, daß sehr viele und grade von den besten und edelsten
Frauen in vielen Krankheitsfällen sich scheuen, sich an einen
fremden Arzt um ärztlichen Rat zu wenden und noch mehr sich
scheuen, den bekannten Arzt zu konsultieren. Erst wenn es
schon sehr spät, oft zu spät ist, treibt die äußerste Not die armen
Frauen zum Eingestehen ihrer Leiden. – Die allgemeine Uni-
versitätszeitung sagt unter anderem: Die schroffsten Gegner
müssen zugeben, daß auch in Deutschland diese Frage nie mehr
von der Bildfläche verschwinden werde und trotz der Niederlagen
der Petitionen in den Landtagen und im Reichstag sei der end-
liche Sieg der Frauen nur noch eine Frage der Zeit.“

Unser berühmter in England lebender Landsmann, der ge-
lehrte Professor Max Müller äußert sich: Auch die deutschen
Frauen können und werden mit dieser Forderung ebenso sicher
durchdringen, wie die Engländerinnen, wenn sie alle so fest und
beharrlich wie diese zusammenstehen zu einem gemein-
samen
Vorgehen. – Und wenn sie eben so opferfähig wie
dort Stiftungen machen, um gleich mit großen Stipendien
den mutigen Mädchen und Frauen beizustehen, welche aus Liebe
zu den leidenden Mitschwestern und zur Wissenschaft den schweren
Beruf der Frauenärztin erwählen werden.“ Zu unserer Freude
darf ich dankbar hier erwähnen, daß unser Verein durch edle
Gönner bereits auch zweihunderttausend Mark Vermögen besitzt,[Spaltenumbruch]

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Der Zeitpunkt, da wir mit offenem Visier für unsere gute Sache kämpfen können, ohne mehr die früheren Kampfeswaffen der Gegner, mit welchen wir nicht kämpfen wollten: Spott, frivole und geringschätzige Äußerungen, fürchten zu müssen, scheint uns endlich gekommen zu sein. – Denn nach den sorg- fältig gemachten Beobachtungen und dem Studium des ge- sammelten Materials über die Ärztinnenfrage, – dieses Sorgen- kindes der Frauenbewegung können wir trotz der immer noch sehr großen Gegnerschaft doch in den letzten Jahren einen wesent- lichen Fortschritt konstatieren. So heißt es z. B. in der Zeitschrift „Reform“, und ähnlich in manchen andern Zeitschriften, „im allgemeinen darf man wohl sagen, daß der Umschwung in den Ansichten über das Frauen- studium und die Frauenbefähigung alle Hoffnungen der Pioniere übertroffen hat. – Anfangs hieß es, die Mädchen seien ober- flächlich, sie haben sich im Gegenteil als beharrlich und fleißig bewiesen, und Gründlichkeit streitet ihnen niemand mehr ab, man hat in England, Amerika, der Schweiz u. s. w. weibliche Ärzte sehr gerne. Jn einer englischen Zeitung lesen wir: Auch in England nimmt die Anzahl praktizierender weiblicher Ärzte stets zu, den studierenden Frauen stehen zum Zweck des Studiums verschiedene bedeutende Spitäler offen. Und die Londoner Uni- versität hat in Beziehung auf das Examen den bedeutsamen Schritt gethan, daß nun an ihr sämtliche Examen und Titel auch den Frauen zu Gebot stehen“. „Es haben an ihr, welche in Bezug auf das medizinische Studium die höchsten Anforderungen stellt, in den letzten Jahren verschiedene Frauen den Doktorgrad erworben. Jn London praktizieren bereits 70 Ärztinnen. – Auch in Bezug auf die Spitäler hat die Zulassung der Frauen als Ärzte sehr segensreich gewirkt, u. s. w.“ Geht es bei uns auch langsamer vorwärts als in den andern Kulturländern, so erkennen doch immer mehr objektiv denkende Männer die Berechtigung dieses aus weiblichem Zartgefühl hervorgehenden Wunsches, ebenso ein Teil der Presse, z. B. sagt der Nordwest: Die nationalliberale Fraction im Reichstage hat sich, als am 11. März die Zulassung weiblicher Ärzte auf der Tages- ordnung stand, durch keinen Redner ausgesprochen; auch scheint keiner von ihr für Rickert's Antrag „zur Berücksichtigung“, der eingereichten Vorstellungen gestimmt zu haben, sondern nur einige „zur Erwägung“ des Abg. Harmening. – Es ist deshalb nicht ohne Bedeutung, daß ihr erklärtes Parteiblatt, die Han- noverschen Neuesten Nachrichten „für die Zulassung der Frauen zum Studium der Medizin eintreten, und hoffen, daß die Petitionen, über welche der Reichstag jetzt zur Tagesordnung übergegangen ist, so lange wiederkehren, bis sie die nötige Be- achtung finden.“ – Für die Notwendigkeit weiblicher Ärzte, sagt der Artikel, – spricht namentlich die nicht wegzuleugnende Thatsache, daß sehr viele und grade von den besten und edelsten Frauen in vielen Krankheitsfällen sich scheuen, sich an einen fremden Arzt um ärztlichen Rat zu wenden und noch mehr sich scheuen, den bekannten Arzt zu konsultieren. Erst wenn es schon sehr spät, oft zu spät ist, treibt die äußerste Not die armen Frauen zum Eingestehen ihrer Leiden. – Die allgemeine Uni- versitätszeitung sagt unter anderem: Die schroffsten Gegner müssen zugeben, daß auch in Deutschland diese Frage nie mehr von der Bildfläche verschwinden werde und trotz der Niederlagen der Petitionen in den Landtagen und im Reichstag sei der end- liche Sieg der Frauen nur noch eine Frage der Zeit.“ Unser berühmter in England lebender Landsmann, der ge- lehrte Professor Max Müller äußert sich: Auch die deutschen Frauen können und werden mit dieser Forderung ebenso sicher durchdringen, wie die Engländerinnen, wenn sie alle so fest und beharrlich wie diese zusammenstehen zu einem gemein- samen Vorgehen. – Und wenn sie eben so opferfähig wie dort Stiftungen machen, um gleich mit großen Stipendien den mutigen Mädchen und Frauen beizustehen, welche aus Liebe zu den leidenden Mitschwestern und zur Wissenschaft den schweren Beruf der Frauenärztin erwählen werden.“ Zu unserer Freude darf ich dankbar hier erwähnen, daß unser Verein durch edle Gönner bereits auch zweihunderttausend Mark Vermögen besitzt,

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Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen : Bereitstellung der Texttranskription. (2021-11-01T15:23:33Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Weber, Mathilde: Über den heutigen Stand der Ärztinnenfrage. In: Allgemeine Deutsche Universitäts-Zeitung 2 (1892). S. 18–22, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/weber_aerztinnenfrage_1892/1>, abgerufen am 21.11.2024.