Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 3. Leipzig, 1873.Welchen Grad von Verstandesschwäche muss ein Schriftsteller seinen Lesern zutrauen, der ihnen so etwas vorzureden wagt! Nachdem also das Buch zu Ende sein, also mindestens zweitausend hochdeutsche, mehrere tausend fremde und mehrere tausend mundartliche Sprichwörter enthalten wird, werden die sämmtlichen Bücher, aus denen angeblich entlehnt ist, dem Titel nach genannt; und nun, ihr glücklichen Besitzer, ihr nach der Quelle neugierigen Leser, geht hin und sucht euch das betreffende Sprichwort heraus. Welche Freude werdet ihr haben, falls ihr es nach mehrmaligem Durchblättern von hundert und mehr Büchern im "Originaltext" findet. Um ein solches Verfahren zu bezeichnen, weiss ich in der deutschen Sprache kein Wort, aber die Amerikaner besitzen ein sehr bezeichnendes, das besonders durch die Leistungen Barnum's stark in Umlauf gekommen ist; sie nennen es Humbug. Um das Quellenverzeichniss zu ergänzen, falls ja ein Sprichwort in den genannten Titeln nicht gefunden werden sollte, hat Freih. von Reinsberg noch die Güte gehabt, mitzutheilen, dass er die Bibliotheken in Altenburg, Baireuth, Berlin, Breslau, Dresden, Gotha u. s. w. benutzt hat, sodass also der neugierige Leser, welcher im Quellenverzeichniss aprilgeschickt sein sollte, weiter nichts zu thun hat, als die genannten elf Bibliotheken zu durchforschen, um dem "Originaltext" auf die Spur zu kommen; endlich bietet noch, falls auch auf diesem Wege kein Erfolg erzielt werden sollte, die kaiserliche Widmung vollen Ersatz für den fehlenden Nachweis. Das ist die neu-wissenschaftliche Methode, nach welcher der Baumeister das Material zusammensetzt, den verbindenden Mörtel danebenschüttet und die Verbindung herzustellen denen überlässt, welche eine solche wünschen. Der grösste Werth des Freih. von Reinsberg'schen Buchs liegt in den Mundarten; aber es kann niemand mehr als ich bedauern, dass von dem darin niedergelegten mundartlichen Schatze kein wissenschaftlicher Gebrauch gemacht werden kann. Denn man findet dabei auch nicht die geringste sprachliche Erläuterung, nicht eine einzige Hinweisung auf ein mundartliches Wörterbuch. An und für sich ist schon schwer einzusehen, was eine Zusammenstellung von zweihundert Dialekten mit nichtdeutschen Sprachen nützen soll. Was werden die Franzosen, Spanier u. s. w., die kaum das Hochdeutsch bewältigen, mit so viel Dialekten beginnen? Was uns gebricht, ist eine möglichst vollständige sprichwörtliche Ausbeutung der deutschen Mundarten. Aber ein auch nur in bescheidenem Umfange vollständiges Sprichwörterbuch der sämmtlichen deutschen Mundarten wird zur Zeit nicht herzustellen sein. Wir befinden uns hier noch in der Zeit der Vorarbeiten, die wir dankbar begrüssen müssen. Uns fehlen noch mundartliche Wörterbücher und dann ein deutsches Universal-Idiotikon. Auf diesem Felde hätte sich Freih. von Reinsberg grosses Verdienst und viel Dank verdienen können; aber eine herumziehende Lebensweise kann wol Bücher fabriciren, aber keine Arbeit dieser Art liefern. Während Freih. von Reinsberg aus meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon Druckfehler heraussucht oder hineinträgt, lässt er die Correctur für sein neu-wissenschaftliches Opus in Kassel lesen und bittet im Vorwort wegen etwa stehengebliebener Fehler um Nachsicht1, von der er mir gegenüber nichts weiss, wiewol die Correctur seines Buchs, das ohne Erklärungen, ohne Citate, in grosser Schrift, also in einer weniger enthaltenden Druckform erscheint, der meinen gegenüber bei weitem nicht so schwierig ist. Ich empfehle ihm, in der Brockhaus'schen Officin einmal eine Correcturfahne anzusehen, damit er eine Vorstellung von dem bekommt, was es heisst, einen Bogen meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon in mehrern Schriftarten, mit Erklärungen, Hunderten von Verweisungen und Citaten zu lesen; vielleicht hört er dann auf von Dingen zu reden, die ihm völlig fremd sind. Ich kann keinen Bogen oder Fahnenabzug lesen, ohne Hunderte von Büchern und Handschriften zur Hand zu haben und nachzuschlagen, die sich nicht gut in den Reisekoffer packen lassen. Die freiherrliche Methode, Bücher zu fabriciren, ist dagegen sehr einfach und leicht. Da es nach seinem Vorwort "fast unmöglich ist, über zweihundert Dialekte so gründlich zu verstehen, um jeden Fehler des Textes augenblicklich zu sehen", da die "Hülfsmittel dazu mangelhaft sind oder nicht zu Gebote gestanden haben"; so muthet er die Lesung einem Manne zu, der die Sprichwörter aus den elf Bibliotheken nicht gesammelt hat, und noch viel weniger wissen kann, ob sie richtig sind; so benutzt er auch die vorhandenen Hülfsmittel nicht. Denn in dem ganzen Buche ist auch nicht eine Spur von mundartlicher Literatur zu finden; weder auf das Bremer Wörterbuch, noch auf Schmeller, weder auf Dähnert, Schütze, Stürenburg, noch auf Schmid, Tobler, Stalder, Danneil u. s. w., nicht einmal auf Frommann's Deutsche Mundarten, diese reiche Quelle von Belehrungen auf diesem Gebiet, ist verwiesen. 1 "Wenn hier und da einige Fehler stehen geblieben sind, so möge man es damit entschuldigen, dass es fast unmöglich ist, über zweihundert Dialekte so gründlich zu verstehen, um jeden Fehler des Textes augenblicklich zu sehen. Dies mag auch als Entschuldigungsgrund dienen, wenn in Uebersetzungen aus so viel Sprachen und Dialekten irgendwelcher Irrthum vorkommen sollte, besonders da die Hülfsmittel zum Verständniss der Mundarten meistens noch äusserst mangelhaft sind oder uns wenigstens nicht zu Gebote gestanden haben." So schreibt Freih. von Reinsberg, der darüber Geschrei erhebt, weil bei mir hier und da ein Fehler stehen geblieben ist, während seine Arbeit dem blossen Besorgen der Correctur meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon gegenüber fast als Erholungsbeschäftigung betrachtet werden kann.
Welchen Grad von Verstandesschwäche muss ein Schriftsteller seinen Lesern zutrauen, der ihnen so etwas vorzureden wagt! Nachdem also das Buch zu Ende sein, also mindestens zweitausend hochdeutsche, mehrere tausend fremde und mehrere tausend mundartliche Sprichwörter enthalten wird, werden die sämmtlichen Bücher, aus denen angeblich entlehnt ist, dem Titel nach genannt; und nun, ihr glücklichen Besitzer, ihr nach der Quelle neugierigen Leser, geht hin und sucht euch das betreffende Sprichwort heraus. Welche Freude werdet ihr haben, falls ihr es nach mehrmaligem Durchblättern von hundert und mehr Büchern im „Originaltext“ findet. Um ein solches Verfahren zu bezeichnen, weiss ich in der deutschen Sprache kein Wort, aber die Amerikaner besitzen ein sehr bezeichnendes, das besonders durch die Leistungen Barnum's stark in Umlauf gekommen ist; sie nennen es Humbug. Um das Quellenverzeichniss zu ergänzen, falls ja ein Sprichwort in den genannten Titeln nicht gefunden werden sollte, hat Freih. von Reinsberg noch die Güte gehabt, mitzutheilen, dass er die Bibliotheken in Altenburg, Baireuth, Berlin, Breslau, Dresden, Gotha u. s. w. benutzt hat, sodass also der neugierige Leser, welcher im Quellenverzeichniss aprilgeschickt sein sollte, weiter nichts zu thun hat, als die genannten elf Bibliotheken zu durchforschen, um dem „Originaltext“ auf die Spur zu kommen; endlich bietet noch, falls auch auf diesem Wege kein Erfolg erzielt werden sollte, die kaiserliche Widmung vollen Ersatz für den fehlenden Nachweis. Das ist die neu-wissenschaftliche Methode, nach welcher der Baumeister das Material zusammensetzt, den verbindenden Mörtel danebenschüttet und die Verbindung herzustellen denen überlässt, welche eine solche wünschen. Der grösste Werth des Freih. von Reinsberg'schen Buchs liegt in den Mundarten; aber es kann niemand mehr als ich bedauern, dass von dem darin niedergelegten mundartlichen Schatze kein wissenschaftlicher Gebrauch gemacht werden kann. Denn man findet dabei auch nicht die geringste sprachliche Erläuterung, nicht eine einzige Hinweisung auf ein mundartliches Wörterbuch. An und für sich ist schon schwer einzusehen, was eine Zusammenstellung von zweihundert Dialekten mit nichtdeutschen Sprachen nützen soll. Was werden die Franzosen, Spanier u. s. w., die kaum das Hochdeutsch bewältigen, mit so viel Dialekten beginnen? Was uns gebricht, ist eine möglichst vollständige sprichwörtliche Ausbeutung der deutschen Mundarten. Aber ein auch nur in bescheidenem Umfange vollständiges Sprichwörterbuch der sämmtlichen deutschen Mundarten wird zur Zeit nicht herzustellen sein. Wir befinden uns hier noch in der Zeit der Vorarbeiten, die wir dankbar begrüssen müssen. Uns fehlen noch mundartliche Wörterbücher und dann ein deutsches Universal-Idiotikon. Auf diesem Felde hätte sich Freih. von Reinsberg grosses Verdienst und viel Dank verdienen können; aber eine herumziehende Lebensweise kann wol Bücher fabriciren, aber keine Arbeit dieser Art liefern. Während Freih. von Reinsberg aus meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon Druckfehler heraussucht oder hineinträgt, lässt er die Correctur für sein neu-wissenschaftliches Opus in Kassel lesen und bittet im Vorwort wegen etwa stehengebliebener Fehler um Nachsicht1, von der er mir gegenüber nichts weiss, wiewol die Correctur seines Buchs, das ohne Erklärungen, ohne Citate, in grosser Schrift, also in einer weniger enthaltenden Druckform erscheint, der meinen gegenüber bei weitem nicht so schwierig ist. Ich empfehle ihm, in der Brockhaus'schen Officin einmal eine Correcturfahne anzusehen, damit er eine Vorstellung von dem bekommt, was es heisst, einen Bogen meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon in mehrern Schriftarten, mit Erklärungen, Hunderten von Verweisungen und Citaten zu lesen; vielleicht hört er dann auf von Dingen zu reden, die ihm völlig fremd sind. Ich kann keinen Bogen oder Fahnenabzug lesen, ohne Hunderte von Büchern und Handschriften zur Hand zu haben und nachzuschlagen, die sich nicht gut in den Reisekoffer packen lassen. Die freiherrliche Methode, Bücher zu fabriciren, ist dagegen sehr einfach und leicht. Da es nach seinem Vorwort „fast unmöglich ist, über zweihundert Dialekte so gründlich zu verstehen, um jeden Fehler des Textes augenblicklich zu sehen“, da die „Hülfsmittel dazu mangelhaft sind oder nicht zu Gebote gestanden haben“; so muthet er die Lesung einem Manne zu, der die Sprichwörter aus den elf Bibliotheken nicht gesammelt hat, und noch viel weniger wissen kann, ob sie richtig sind; so benutzt er auch die vorhandenen Hülfsmittel nicht. Denn in dem ganzen Buche ist auch nicht eine Spur von mundartlicher Literatur zu finden; weder auf das Bremer Wörterbuch, noch auf Schmeller, weder auf Dähnert, Schütze, Stürenburg, noch auf Schmid, Tobler, Stalder, Danneil u. s. w., nicht einmal auf Frommann's Deutsche Mundarten, diese reiche Quelle von Belehrungen auf diesem Gebiet, ist verwiesen. 1 „Wenn hier und da einige Fehler stehen geblieben sind, so möge man es damit entschuldigen, dass es fast unmöglich ist, über zweihundert Dialekte so gründlich zu verstehen, um jeden Fehler des Textes augenblicklich zu sehen. Dies mag auch als Entschuldigungsgrund dienen, wenn in Uebersetzungen aus so viel Sprachen und Dialekten irgendwelcher Irrthum vorkommen sollte, besonders da die Hülfsmittel zum Verständniss der Mundarten meistens noch äusserst mangelhaft sind oder uns wenigstens nicht zu Gebote gestanden haben.“ So schreibt Freih. von Reinsberg, der darüber Geschrei erhebt, weil bei mir hier und da ein Fehler stehen geblieben ist, während seine Arbeit dem blossen Besorgen der Correctur meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon gegenüber fast als Erholungsbeschäftigung betrachtet werden kann.
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Aber ein auch nur in bescheidenem Umfange vollständiges Sprichwörterbuch der sämmtlichen deutschen Mundarten wird zur Zeit nicht herzustellen sein. Wir befinden uns hier noch in der Zeit der Vorarbeiten, die wir dankbar begrüssen müssen. Uns fehlen noch mundartliche Wörterbücher und dann ein deutsches Universal-Idiotikon. 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Dies mag auch als Entschuldigungsgrund dienen, wenn in Uebersetzungen aus so viel Sprachen und Dialekten irgendwelcher Irrthum vorkommen sollte, besonders da die Hülfsmittel zum Verständniss der Mundarten meistens noch äusserst mangelhaft sind oder uns wenigstens nicht zu Gebote gestanden haben.“ So schreibt Freih. <hi rendition="#i">von Reinsberg,</hi> der darüber Geschrei erhebt, weil bei mir hier und da ein Fehler stehen geblieben ist, während seine Arbeit dem blossen Besorgen der Correctur meines <hi rendition="#i">Deutschen Sprichwörter-Lexikon</hi> gegenüber fast als Erholungsbeschäftigung betrachtet werden kann.</note>, von der er mir gegenüber nichts weiss, wiewol die Correctur seines Buchs, das ohne Erklärungen, ohne Citate, in grosser Schrift, also in einer weniger enthaltenden Druckform erscheint, der meinen gegenüber bei weitem nicht so schwierig ist. Ich empfehle ihm, in der Brockhaus'schen Officin einmal eine Correcturfahne anzusehen, damit er eine Vorstellung von dem bekommt, was es heisst, einen Bogen meines <hi rendition="#i">Deutschen Sprichwörter-Lexikon</hi> in mehrern Schriftarten, mit Erklärungen, Hunderten von Verweisungen und Citaten zu lesen; vielleicht hört er dann auf von Dingen zu reden, die ihm völlig fremd sind.</p><lb/> <p>Ich kann keinen Bogen oder Fahnenabzug lesen, ohne Hunderte von Büchern und Handschriften zur Hand zu haben und nachzuschlagen, die sich nicht gut in den Reisekoffer packen lassen. Die freiherrliche Methode, Bücher zu fabriciren, ist dagegen sehr einfach und leicht. 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Welchen Grad von Verstandesschwäche muss ein Schriftsteller seinen Lesern zutrauen, der ihnen so etwas vorzureden wagt! Nachdem also das Buch zu Ende sein, also mindestens zweitausend hochdeutsche, mehrere tausend fremde und mehrere tausend mundartliche Sprichwörter enthalten wird, werden die sämmtlichen Bücher, aus denen angeblich entlehnt ist, dem Titel nach genannt; und nun, ihr glücklichen Besitzer, ihr nach der Quelle neugierigen Leser, geht hin und sucht euch das betreffende Sprichwort heraus. Welche Freude werdet ihr haben, falls ihr es nach mehrmaligem Durchblättern von hundert und mehr Büchern im „Originaltext“ findet.
Um ein solches Verfahren zu bezeichnen, weiss ich in der deutschen Sprache kein Wort, aber die Amerikaner besitzen ein sehr bezeichnendes, das besonders durch die Leistungen Barnum's stark in Umlauf gekommen ist; sie nennen es Humbug.
Um das Quellenverzeichniss zu ergänzen, falls ja ein Sprichwort in den genannten Titeln nicht gefunden werden sollte, hat Freih. von Reinsberg noch die Güte gehabt, mitzutheilen, dass er die Bibliotheken in Altenburg, Baireuth, Berlin, Breslau, Dresden, Gotha u. s. w. benutzt hat, sodass also der neugierige Leser, welcher im Quellenverzeichniss aprilgeschickt sein sollte, weiter nichts zu thun hat, als die genannten elf Bibliotheken zu durchforschen, um dem „Originaltext“ auf die Spur zu kommen; endlich bietet noch, falls auch auf diesem Wege kein Erfolg erzielt werden sollte, die kaiserliche Widmung vollen Ersatz für den fehlenden Nachweis. Das ist die neu-wissenschaftliche Methode, nach welcher der Baumeister das Material zusammensetzt, den verbindenden Mörtel danebenschüttet und die Verbindung herzustellen denen überlässt, welche eine solche wünschen.
Der grösste Werth des Freih. von Reinsberg'schen Buchs liegt in den Mundarten; aber es kann niemand mehr als ich bedauern, dass von dem darin niedergelegten mundartlichen Schatze kein wissenschaftlicher Gebrauch gemacht werden kann. Denn man findet dabei auch nicht die geringste sprachliche Erläuterung, nicht eine einzige Hinweisung auf ein mundartliches Wörterbuch. An und für sich ist schon schwer einzusehen, was eine Zusammenstellung von zweihundert Dialekten mit nichtdeutschen Sprachen nützen soll. Was werden die Franzosen, Spanier u. s. w., die kaum das Hochdeutsch bewältigen, mit so viel Dialekten beginnen? Was uns gebricht, ist eine möglichst vollständige sprichwörtliche Ausbeutung der deutschen Mundarten. Aber ein auch nur in bescheidenem Umfange vollständiges Sprichwörterbuch der sämmtlichen deutschen Mundarten wird zur Zeit nicht herzustellen sein. Wir befinden uns hier noch in der Zeit der Vorarbeiten, die wir dankbar begrüssen müssen. Uns fehlen noch mundartliche Wörterbücher und dann ein deutsches Universal-Idiotikon. Auf diesem Felde hätte sich Freih. von Reinsberg grosses Verdienst und viel Dank verdienen können; aber eine herumziehende Lebensweise kann wol Bücher fabriciren, aber keine Arbeit dieser Art liefern.
Während Freih. von Reinsberg aus meinem Deutschen Sprichwörter-Lexikon Druckfehler heraussucht oder hineinträgt, lässt er die Correctur für sein neu-wissenschaftliches Opus in Kassel lesen und bittet im Vorwort wegen etwa stehengebliebener Fehler um Nachsicht 1, von der er mir gegenüber nichts weiss, wiewol die Correctur seines Buchs, das ohne Erklärungen, ohne Citate, in grosser Schrift, also in einer weniger enthaltenden Druckform erscheint, der meinen gegenüber bei weitem nicht so schwierig ist. Ich empfehle ihm, in der Brockhaus'schen Officin einmal eine Correcturfahne anzusehen, damit er eine Vorstellung von dem bekommt, was es heisst, einen Bogen meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon in mehrern Schriftarten, mit Erklärungen, Hunderten von Verweisungen und Citaten zu lesen; vielleicht hört er dann auf von Dingen zu reden, die ihm völlig fremd sind.
Ich kann keinen Bogen oder Fahnenabzug lesen, ohne Hunderte von Büchern und Handschriften zur Hand zu haben und nachzuschlagen, die sich nicht gut in den Reisekoffer packen lassen. Die freiherrliche Methode, Bücher zu fabriciren, ist dagegen sehr einfach und leicht. Da es nach seinem Vorwort „fast unmöglich ist, über zweihundert Dialekte so gründlich zu verstehen, um jeden Fehler des Textes augenblicklich zu sehen“, da die „Hülfsmittel dazu mangelhaft sind oder nicht zu Gebote gestanden haben“; so muthet er die Lesung einem Manne zu, der die Sprichwörter aus den elf Bibliotheken nicht gesammelt hat, und noch viel weniger wissen kann, ob sie richtig sind; so benutzt er auch die vorhandenen Hülfsmittel nicht. Denn in dem ganzen Buche ist auch nicht eine Spur von mundartlicher Literatur zu finden; weder auf das Bremer Wörterbuch, noch auf Schmeller, weder auf Dähnert, Schütze, Stürenburg, noch auf Schmid, Tobler, Stalder, Danneil u. s. w., nicht einmal auf Frommann's Deutsche Mundarten, diese reiche Quelle von Belehrungen auf diesem Gebiet, ist verwiesen.
1 „Wenn hier und da einige Fehler stehen geblieben sind, so möge man es damit entschuldigen, dass es fast unmöglich ist, über zweihundert Dialekte so gründlich zu verstehen, um jeden Fehler des Textes augenblicklich zu sehen. Dies mag auch als Entschuldigungsgrund dienen, wenn in Uebersetzungen aus so viel Sprachen und Dialekten irgendwelcher Irrthum vorkommen sollte, besonders da die Hülfsmittel zum Verständniss der Mundarten meistens noch äusserst mangelhaft sind oder uns wenigstens nicht zu Gebote gestanden haben.“ So schreibt Freih. von Reinsberg, der darüber Geschrei erhebt, weil bei mir hier und da ein Fehler stehen geblieben ist, während seine Arbeit dem blossen Besorgen der Correctur meines Deutschen Sprichwörter-Lexikon gegenüber fast als Erholungsbeschäftigung betrachtet werden kann.
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