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Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913.

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und Ehe zerstörende Wirtschaftssystem, unsere kapitalistische
Weltordnung.

Jm nachbarlichen Oesterreich ist diese Frauennot noch größer.
Hier zeigt sich sogar die merkwürdige Erscheinung, daß auf je
1000 gewerblich tätige Personen noch mehr Frauen als im indu-
striell hochentwickelten Deutschland kommen. Auf 1000 zum Bei-
spiel in der Tabakindustrie beschäftigte Personen entfallen in
Deutschland 513 Frauen und Mädchen, in Oesterreich aber 881;
in der Glasindustrie in Deutschland 138, in Oesterreich 291. Der-
gestalt haben moderne Fabrikindustrie und Großhandel dem
Haushalt die frühere Bedeutung entrissen und ihn seines alten
Charakters entkleidet.

Dieses stetig anschwellende Einströmen der Frauen in Handel,
Jndustrie und Gewerbe hält fortwährend die Triebkräfte der
Frauenbewegung lebendig, der bürgerlichen sowohl wie der prole-
tarischen. Beide erstreben mit der Wiedereingliederung in die
gesellschaftliche Wirtschaft, die sich auf das Geheiß des Kapitalis-
mus vollzieht, die soziale Gleichberechtigung. Dieses Endziel wird
die bürgerliche Frauenbewegung niemals völlig erreichen. Wenn
ihr auch die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter gelingt, so
kann im Schoße der bürgerlichen Gesellschaftsordnung das Pro-
blem der weitestgehenden Entwicklungs- und Betätigungsmöglich-
keit der Frauen nicht vollständig gelöst werden. Der charakteri-
stische Wesenszug des Kapitalismus, die Höchsteinschätzung und
Heilighaltung des Privateigentums, bildet zur Erreichung jenes
Zieles ein unübersteigliches Hindernis. Erst der sozialistischen,
auf Gemeinwirtschaft aufgebauten Zukunftsgesellschaft wird es
vorbehalten sein, die letzten sozialen Fesseln zu sprengen.

Jn hohem Maße begünstigt wird die Einbeziehung des weib-
lichen Proletariats in Jndustrie und Gewerbe durch den tech-
nischen und wissenschaftlichen Fortschritt. Wahrhaftes Staunen
erregen die revolutionierten Produktionsmittel und Verfahren
der Neuzeit. Man vergegenwärtige sich zum Beispiel nur die
sechsfach ermöglichte Steigerung der Produktion durch den im
Jahre 1910 von der Maschinenfabrik Rüti konstruierten automa-
tischen Webstuhl oder den heute schon zahlreich in der Stickerei-
branche eingeführten Automaten mit seiner achtfachen Pro-
duktivität. Die maschinellen Vervollkommnungen, die wirtschafts-
technische Revolution in Jndustrie und Gewerbe lassen die man-
nigfaltigste Verwendung und Ausnutzung der weiblichen Arbeits-
kraft zu. Neben dem Manne und in der neueren Zeit an Stelle
des Mannes tritt die proletarische Arbeiterin mehr und mehr auf
den Werkplatz des Lebens. Wo findet sich heute ein Arbeitsgebiet
für Körper und Geist, das den Frauen die Türe verschließt?
Unter den 10,000 Berufsarten, welche die Statistik nennt, sind

und Ehe zerstörende Wirtschaftssystem, unsere kapitalistische
Weltordnung.

Jm nachbarlichen Oesterreich ist diese Frauennot noch größer.
Hier zeigt sich sogar die merkwürdige Erscheinung, daß auf je
1000 gewerblich tätige Personen noch mehr Frauen als im indu-
striell hochentwickelten Deutschland kommen. Auf 1000 zum Bei-
spiel in der Tabakindustrie beschäftigte Personen entfallen in
Deutschland 513 Frauen und Mädchen, in Oesterreich aber 881;
in der Glasindustrie in Deutschland 138, in Oesterreich 291. Der-
gestalt haben moderne Fabrikindustrie und Großhandel dem
Haushalt die frühere Bedeutung entrissen und ihn seines alten
Charakters entkleidet.

Dieses stetig anschwellende Einströmen der Frauen in Handel,
Jndustrie und Gewerbe hält fortwährend die Triebkräfte der
Frauenbewegung lebendig, der bürgerlichen sowohl wie der prole-
tarischen. Beide erstreben mit der Wiedereingliederung in die
gesellschaftliche Wirtschaft, die sich auf das Geheiß des Kapitalis-
mus vollzieht, die soziale Gleichberechtigung. Dieses Endziel wird
die bürgerliche Frauenbewegung niemals völlig erreichen. Wenn
ihr auch die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter gelingt, so
kann im Schoße der bürgerlichen Gesellschaftsordnung das Pro-
blem der weitestgehenden Entwicklungs- und Betätigungsmöglich-
keit der Frauen nicht vollständig gelöst werden. Der charakteri-
stische Wesenszug des Kapitalismus, die Höchsteinschätzung und
Heilighaltung des Privateigentums, bildet zur Erreichung jenes
Zieles ein unübersteigliches Hindernis. Erst der sozialistischen,
auf Gemeinwirtschaft aufgebauten Zukunftsgesellschaft wird es
vorbehalten sein, die letzten sozialen Fesseln zu sprengen.

Jn hohem Maße begünstigt wird die Einbeziehung des weib-
lichen Proletariats in Jndustrie und Gewerbe durch den tech-
nischen und wissenschaftlichen Fortschritt. Wahrhaftes Staunen
erregen die revolutionierten Produktionsmittel und Verfahren
der Neuzeit. Man vergegenwärtige sich zum Beispiel nur die
sechsfach ermöglichte Steigerung der Produktion durch den im
Jahre 1910 von der Maschinenfabrik Rüti konstruierten automa-
tischen Webstuhl oder den heute schon zahlreich in der Stickerei-
branche eingeführten Automaten mit seiner achtfachen Pro-
duktivität. Die maschinellen Vervollkommnungen, die wirtschafts-
technische Revolution in Jndustrie und Gewerbe lassen die man-
nigfaltigste Verwendung und Ausnutzung der weiblichen Arbeits-
kraft zu. Neben dem Manne und in der neueren Zeit an Stelle
des Mannes tritt die proletarische Arbeiterin mehr und mehr auf
den Werkplatz des Lebens. Wo findet sich heute ein Arbeitsgebiet
für Körper und Geist, das den Frauen die Türe verschließt?
Unter den 10,000 Berufsarten, welche die Statistik nennt, sind

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[15/0015] und Ehe zerstörende Wirtschaftssystem, unsere kapitalistische Weltordnung. Jm nachbarlichen Oesterreich ist diese Frauennot noch größer. Hier zeigt sich sogar die merkwürdige Erscheinung, daß auf je 1000 gewerblich tätige Personen noch mehr Frauen als im indu- striell hochentwickelten Deutschland kommen. Auf 1000 zum Bei- spiel in der Tabakindustrie beschäftigte Personen entfallen in Deutschland 513 Frauen und Mädchen, in Oesterreich aber 881; in der Glasindustrie in Deutschland 138, in Oesterreich 291. Der- gestalt haben moderne Fabrikindustrie und Großhandel dem Haushalt die frühere Bedeutung entrissen und ihn seines alten Charakters entkleidet. Dieses stetig anschwellende Einströmen der Frauen in Handel, Jndustrie und Gewerbe hält fortwährend die Triebkräfte der Frauenbewegung lebendig, der bürgerlichen sowohl wie der prole- tarischen. Beide erstreben mit der Wiedereingliederung in die gesellschaftliche Wirtschaft, die sich auf das Geheiß des Kapitalis- mus vollzieht, die soziale Gleichberechtigung. Dieses Endziel wird die bürgerliche Frauenbewegung niemals völlig erreichen. Wenn ihr auch die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter gelingt, so kann im Schoße der bürgerlichen Gesellschaftsordnung das Pro- blem der weitestgehenden Entwicklungs- und Betätigungsmöglich- keit der Frauen nicht vollständig gelöst werden. Der charakteri- stische Wesenszug des Kapitalismus, die Höchsteinschätzung und Heilighaltung des Privateigentums, bildet zur Erreichung jenes Zieles ein unübersteigliches Hindernis. Erst der sozialistischen, auf Gemeinwirtschaft aufgebauten Zukunftsgesellschaft wird es vorbehalten sein, die letzten sozialen Fesseln zu sprengen. Jn hohem Maße begünstigt wird die Einbeziehung des weib- lichen Proletariats in Jndustrie und Gewerbe durch den tech- nischen und wissenschaftlichen Fortschritt. Wahrhaftes Staunen erregen die revolutionierten Produktionsmittel und Verfahren der Neuzeit. Man vergegenwärtige sich zum Beispiel nur die sechsfach ermöglichte Steigerung der Produktion durch den im Jahre 1910 von der Maschinenfabrik Rüti konstruierten automa- tischen Webstuhl oder den heute schon zahlreich in der Stickerei- branche eingeführten Automaten mit seiner achtfachen Pro- duktivität. Die maschinellen Vervollkommnungen, die wirtschafts- technische Revolution in Jndustrie und Gewerbe lassen die man- nigfaltigste Verwendung und Ausnutzung der weiblichen Arbeits- kraft zu. Neben dem Manne und in der neueren Zeit an Stelle des Mannes tritt die proletarische Arbeiterin mehr und mehr auf den Werkplatz des Lebens. Wo findet sich heute ein Arbeitsgebiet für Körper und Geist, das den Frauen die Türe verschließt? Unter den 10,000 Berufsarten, welche die Statistik nennt, sind

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-10T14:18:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-10T14:18:39Z)

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Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Walter, Marie: Das Frauenstimmrecht. Zürich, 1913, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walter_frauenstimmrecht_1913/15>, abgerufen am 24.11.2024.