Wallner, Franz: Der arme Josy. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 147–167. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sogleich an, sich nach einer von ihm gesummten eintönigen Melodie im Kreise zu drehen, erst langsam, dann immer schneller, bis die Erschöpfung ihn zum Stillstände zwang und der Arme, sich mit der verkehrten Hand den Schweiß abtrocknend, ein ihm dargereichtes Glas Bier oder Wein hastig hinabstürzte, sich mit stierem Lächeln und einer ungelenken Verbeugung gegen die Gesellschaft entfernte, um im nächsten Gasthof dasselbe Spiel mit sich wiederholen zu lassen, bis ihm ein wohlthätiger Rausch die Augen schloß. Schon oft hatte ich mich gegen B. über die unzarte Art, mit welcher man aller Orten mit dem Unglücklichen umging, ausgesprochen, heute jedoch riß mich mein Gefühl hin, und ich erklärte einem jungen Manne, der sich den geistreichen Witz erlaubt hatte, den armen Josy mit einem großen gemalten Schnurrbart fortzuschicken, rund heraus, daß ich derlei Scherze roh und herzlos fände. Mein Gegner meinte, mein Moralpredigen sei lächerlich, der dumme Cretin habe kein Gefühl für meine "zarten" Rücksichten und sei seit sechzehn Jahren an ganz andere Scherze gewöhnt. Ich wurde ebenfalls heftig, und es wäre vielleicht zu sehr ernsten Erörterungen gekommen, hätte sich nicht der von Allen geachtete B. ins Mittel gelegt. Meine Herren, sprach der würdige Krieger, Sie sind alle fremd und kennen die Ursache nicht, welche den armen Josy zum Wahnsinn gebracht; erlauben Sie mir, Sie mit derselben bekannt zu machen, und ich bin sogleich an, sich nach einer von ihm gesummten eintönigen Melodie im Kreise zu drehen, erst langsam, dann immer schneller, bis die Erschöpfung ihn zum Stillstände zwang und der Arme, sich mit der verkehrten Hand den Schweiß abtrocknend, ein ihm dargereichtes Glas Bier oder Wein hastig hinabstürzte, sich mit stierem Lächeln und einer ungelenken Verbeugung gegen die Gesellschaft entfernte, um im nächsten Gasthof dasselbe Spiel mit sich wiederholen zu lassen, bis ihm ein wohlthätiger Rausch die Augen schloß. Schon oft hatte ich mich gegen B. über die unzarte Art, mit welcher man aller Orten mit dem Unglücklichen umging, ausgesprochen, heute jedoch riß mich mein Gefühl hin, und ich erklärte einem jungen Manne, der sich den geistreichen Witz erlaubt hatte, den armen Josy mit einem großen gemalten Schnurrbart fortzuschicken, rund heraus, daß ich derlei Scherze roh und herzlos fände. Mein Gegner meinte, mein Moralpredigen sei lächerlich, der dumme Cretin habe kein Gefühl für meine „zarten“ Rücksichten und sei seit sechzehn Jahren an ganz andere Scherze gewöhnt. Ich wurde ebenfalls heftig, und es wäre vielleicht zu sehr ernsten Erörterungen gekommen, hätte sich nicht der von Allen geachtete B. ins Mittel gelegt. Meine Herren, sprach der würdige Krieger, Sie sind alle fremd und kennen die Ursache nicht, welche den armen Josy zum Wahnsinn gebracht; erlauben Sie mir, Sie mit derselben bekannt zu machen, und ich bin <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0016"/> sogleich an, sich nach einer von ihm gesummten eintönigen Melodie im Kreise zu drehen, erst langsam, dann immer schneller, bis die Erschöpfung ihn zum Stillstände zwang und der Arme, sich mit der verkehrten Hand den Schweiß abtrocknend, ein ihm dargereichtes Glas Bier oder Wein hastig hinabstürzte, sich mit stierem Lächeln und einer ungelenken Verbeugung gegen die Gesellschaft entfernte, um im nächsten Gasthof dasselbe Spiel mit sich wiederholen zu lassen, bis ihm ein wohlthätiger Rausch die Augen schloß. Schon oft hatte ich mich gegen B. über die unzarte Art, mit welcher man aller Orten mit dem Unglücklichen umging, ausgesprochen, heute jedoch riß mich mein Gefühl hin, und ich erklärte einem jungen Manne, der sich den geistreichen Witz erlaubt hatte, den armen Josy mit einem großen gemalten Schnurrbart fortzuschicken, rund heraus, daß ich derlei Scherze roh und herzlos fände. Mein Gegner meinte, mein Moralpredigen sei lächerlich, der dumme Cretin habe kein Gefühl für meine „zarten“ Rücksichten und sei seit sechzehn Jahren an ganz andere Scherze gewöhnt. Ich wurde ebenfalls heftig, und es wäre vielleicht zu sehr ernsten Erörterungen gekommen, hätte sich nicht der von Allen geachtete B. ins Mittel gelegt.</p><lb/> <p>Meine Herren, sprach der würdige Krieger, Sie sind alle fremd und kennen die Ursache nicht, welche den armen Josy zum Wahnsinn gebracht; erlauben Sie mir, Sie mit derselben bekannt zu machen, und ich bin<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
sogleich an, sich nach einer von ihm gesummten eintönigen Melodie im Kreise zu drehen, erst langsam, dann immer schneller, bis die Erschöpfung ihn zum Stillstände zwang und der Arme, sich mit der verkehrten Hand den Schweiß abtrocknend, ein ihm dargereichtes Glas Bier oder Wein hastig hinabstürzte, sich mit stierem Lächeln und einer ungelenken Verbeugung gegen die Gesellschaft entfernte, um im nächsten Gasthof dasselbe Spiel mit sich wiederholen zu lassen, bis ihm ein wohlthätiger Rausch die Augen schloß. Schon oft hatte ich mich gegen B. über die unzarte Art, mit welcher man aller Orten mit dem Unglücklichen umging, ausgesprochen, heute jedoch riß mich mein Gefühl hin, und ich erklärte einem jungen Manne, der sich den geistreichen Witz erlaubt hatte, den armen Josy mit einem großen gemalten Schnurrbart fortzuschicken, rund heraus, daß ich derlei Scherze roh und herzlos fände. Mein Gegner meinte, mein Moralpredigen sei lächerlich, der dumme Cretin habe kein Gefühl für meine „zarten“ Rücksichten und sei seit sechzehn Jahren an ganz andere Scherze gewöhnt. Ich wurde ebenfalls heftig, und es wäre vielleicht zu sehr ernsten Erörterungen gekommen, hätte sich nicht der von Allen geachtete B. ins Mittel gelegt.
Meine Herren, sprach der würdige Krieger, Sie sind alle fremd und kennen die Ursache nicht, welche den armen Josy zum Wahnsinn gebracht; erlauben Sie mir, Sie mit derselben bekannt zu machen, und ich bin
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/wallner_josy_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/wallner_josy_1910/16 |
Zitationshilfe: | Wallner, Franz: Der arme Josy. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 147–167. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallner_josy_1910/16>, abgerufen am 22.07.2024. |