Wallner, Franz: Der arme Josy. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 147–167. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.tete gebieterisch auf die am Boden liegende Geige -- einen Ungarischen aufzuspielen. Man denke sich meine Lage! Beraubt bis auf den letzten Deut, mit blutendem Kopfe und grimmigem Herzen sollte ich meinen Todfeinden ungarische Tänze vorgeigen -- abgesehen davon, daß ich vom Violinspiele so viel verstehe, wie von der chinesischen Sprache. Eine Art von verzweiflungsvollem Heldenmuthe kam über mich: ich erklärte wuthentbrannt, man solle mich tödten, ich könne und wolle nicht zum Tanze aufspielen; ich sprudelte dem Linguisten eine ganze Reihe Schimpfworte ins Gesicht, die Wirkung meiner Kühnheit mit hoffnungsloser Resignation erwartend. Zu meinem Erstaunen aber packte das saubere Kleeblatt nach kurzem Wortwechsel in illyrischer Sprache meine Effecten auf, maß mich mit verächtlichem Achselzucken und verschwand alsbald im Dunkel des nahen Gehölzes. Da stand ich nun in der ersehnten romantischen Gegend allein, ausgeplündert, barfuß, geld- und obdachlos, die blutigen Locken reinigend an den reizenden Ufern der Save, nach meiner Berechnung zwei Stunden entfernt von jeder Menschenwohnung. Im nächsten Orte angekommen, ließ mein erbarmenswerther Zustand bei dem Gastwirthe keinen Zweifel über die Wahrheit meiner Erzählung in Bezug auf meine Beraubung aufkommen, um so weniger, als die Unsicherheit der Gegend den Bewohnern des Fleckens leider nur zu bekannt war. Der ehrliche Kneipier ge- tete gebieterisch auf die am Boden liegende Geige — einen Ungarischen aufzuspielen. Man denke sich meine Lage! Beraubt bis auf den letzten Deut, mit blutendem Kopfe und grimmigem Herzen sollte ich meinen Todfeinden ungarische Tänze vorgeigen — abgesehen davon, daß ich vom Violinspiele so viel verstehe, wie von der chinesischen Sprache. Eine Art von verzweiflungsvollem Heldenmuthe kam über mich: ich erklärte wuthentbrannt, man solle mich tödten, ich könne und wolle nicht zum Tanze aufspielen; ich sprudelte dem Linguisten eine ganze Reihe Schimpfworte ins Gesicht, die Wirkung meiner Kühnheit mit hoffnungsloser Resignation erwartend. Zu meinem Erstaunen aber packte das saubere Kleeblatt nach kurzem Wortwechsel in illyrischer Sprache meine Effecten auf, maß mich mit verächtlichem Achselzucken und verschwand alsbald im Dunkel des nahen Gehölzes. Da stand ich nun in der ersehnten romantischen Gegend allein, ausgeplündert, barfuß, geld- und obdachlos, die blutigen Locken reinigend an den reizenden Ufern der Save, nach meiner Berechnung zwei Stunden entfernt von jeder Menschenwohnung. Im nächsten Orte angekommen, ließ mein erbarmenswerther Zustand bei dem Gastwirthe keinen Zweifel über die Wahrheit meiner Erzählung in Bezug auf meine Beraubung aufkommen, um so weniger, als die Unsicherheit der Gegend den Bewohnern des Fleckens leider nur zu bekannt war. Der ehrliche Kneipier ge- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0012"/> tete gebieterisch auf die am Boden liegende Geige — einen Ungarischen aufzuspielen.</p><lb/> <p>Man denke sich meine Lage! Beraubt bis auf den letzten Deut, mit blutendem Kopfe und grimmigem Herzen sollte ich meinen Todfeinden ungarische Tänze vorgeigen — abgesehen davon, daß ich vom Violinspiele so viel verstehe, wie von der chinesischen Sprache. Eine Art von verzweiflungsvollem Heldenmuthe kam über mich: ich erklärte wuthentbrannt, man solle mich tödten, ich könne und wolle nicht zum Tanze aufspielen; ich sprudelte dem Linguisten eine ganze Reihe Schimpfworte ins Gesicht, die Wirkung meiner Kühnheit mit hoffnungsloser Resignation erwartend. Zu meinem Erstaunen aber packte das saubere Kleeblatt nach kurzem Wortwechsel in illyrischer Sprache meine Effecten auf, maß mich mit verächtlichem Achselzucken und verschwand alsbald im Dunkel des nahen Gehölzes.</p><lb/> <p>Da stand ich nun in der ersehnten romantischen Gegend allein, ausgeplündert, barfuß, geld- und obdachlos, die blutigen Locken reinigend an den reizenden Ufern der Save, nach meiner Berechnung zwei Stunden entfernt von jeder Menschenwohnung.</p><lb/> <p>Im nächsten Orte angekommen, ließ mein erbarmenswerther Zustand bei dem Gastwirthe keinen Zweifel über die Wahrheit meiner Erzählung in Bezug auf meine Beraubung aufkommen, um so weniger, als die Unsicherheit der Gegend den Bewohnern des Fleckens leider nur zu bekannt war. Der ehrliche Kneipier ge-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
tete gebieterisch auf die am Boden liegende Geige — einen Ungarischen aufzuspielen.
Man denke sich meine Lage! Beraubt bis auf den letzten Deut, mit blutendem Kopfe und grimmigem Herzen sollte ich meinen Todfeinden ungarische Tänze vorgeigen — abgesehen davon, daß ich vom Violinspiele so viel verstehe, wie von der chinesischen Sprache. Eine Art von verzweiflungsvollem Heldenmuthe kam über mich: ich erklärte wuthentbrannt, man solle mich tödten, ich könne und wolle nicht zum Tanze aufspielen; ich sprudelte dem Linguisten eine ganze Reihe Schimpfworte ins Gesicht, die Wirkung meiner Kühnheit mit hoffnungsloser Resignation erwartend. Zu meinem Erstaunen aber packte das saubere Kleeblatt nach kurzem Wortwechsel in illyrischer Sprache meine Effecten auf, maß mich mit verächtlichem Achselzucken und verschwand alsbald im Dunkel des nahen Gehölzes.
Da stand ich nun in der ersehnten romantischen Gegend allein, ausgeplündert, barfuß, geld- und obdachlos, die blutigen Locken reinigend an den reizenden Ufern der Save, nach meiner Berechnung zwei Stunden entfernt von jeder Menschenwohnung.
Im nächsten Orte angekommen, ließ mein erbarmenswerther Zustand bei dem Gastwirthe keinen Zweifel über die Wahrheit meiner Erzählung in Bezug auf meine Beraubung aufkommen, um so weniger, als die Unsicherheit der Gegend den Bewohnern des Fleckens leider nur zu bekannt war. Der ehrliche Kneipier ge-
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Zitationshilfe: | Wallner, Franz: Der arme Josy. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 147–167. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallner_josy_1910/12>, abgerufen am 16.02.2025. |