Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Werth oder Unwerth sich eigentlich nichts bestim-
men ließ. Welches Urtheil durch die Art meiner
Befreiung bestärkt wurde.

Jedermann bewunderte die ruhige Miene und
den muntern Schritt, womit ich dem für mich er-
richteten Galgen zueilte, auch war ich wirklich so
frohes Muthes, als stünde mir ein großes Glück
bevor -- Eben sollte ich dem Herrn Halszuschnürer
übergeben werden, und eben wollte ich dem Unter-
officier, meinem Begleiter, der noch viel Schönes
sagte, nach der Kehle fahren, als das tröstliche,
liebe, süßeste Wort unter den Wörtern, Pardon, er-
schallte. Jch konnte nicht ungewiß sein, daß es mir
galt, denn ich war der Einzige in der Gesellschaft,
der gehängt werden sollte; daß ich den Unterofficier
erdrosseln wollte, wuste ja außer mir kein Mensch.
Jndessen da jetzt mir Gnade wiederfuhr, war ich
ohne irgend jemands Fürbitte oder Befehl so gütig,
auch ihn zu pardoniren. Er war der erste, der mir
Glück wünschte und wußte kein Wort davon, daß
er bei den Ausruf des Majors, der das Pardon rief,
eben so viel gewann, als ich; sonst hätte er ver-
muthlich eine heitere Miene gemacht, da die, wel-
che sein Gesicht jetzt, indem er mir gratulirte, trug,
vielmehr aussah, als wollte sie sagen, da ist mir
nun die Freude verdorben dich hängen zu sehen.

Jch wurde also zurück geführt und war wie
neu gebohren, jetzt dachte ich nicht mehr an meine
ausstudirte Rede, war auch ziemlich ausgesöhnt mit
den Gesetzen und ihren Handhabern, und sann wäh-
rend des Rückmarsches, auf das, was ich künftig
thun und vornehmen wollte. Die Ungewißheit, ob
ich auch zugleich die Freiheit erhalten würde, ver-
darb mir die Freude, begnadigt zu werden, ein we-
nig, ich konnte nicht so recht füglich darauf hoffen,
weil ich wieder auf die Hauptwache gebracht wur-
de; doch nach weniger, als einer Stunde, kam Be-
fehl, daß man mich zum Commendanten führen sollte.

Als ich bei diesem ins Zimmer trat, erblickte
ich neben ihm einen Herrn mit großer edler Miene,

der
H h 2

Werth oder Unwerth ſich eigentlich nichts beſtim-
men ließ. Welches Urtheil durch die Art meiner
Befreiung beſtaͤrkt wurde.

Jedermann bewunderte die ruhige Miene und
den muntern Schritt, womit ich dem fuͤr mich er-
richteten Galgen zueilte, auch war ich wirklich ſo
frohes Muthes, als ſtuͤnde mir ein großes Gluͤck
bevor — Eben ſollte ich dem Herrn Halszuſchnuͤrer
uͤbergeben werden, und eben wollte ich dem Unter-
officier, meinem Begleiter, der noch viel Schoͤnes
ſagte, nach der Kehle fahren, als das troͤſtliche,
liebe, ſuͤßeſte Wort unter den Woͤrtern, Pardon, er-
ſchallte. Jch konnte nicht ungewiß ſein, daß es mir
galt, denn ich war der Einzige in der Geſellſchaft,
der gehaͤngt werden ſollte; daß ich den Unterofficier
erdroſſeln wollte, wuſte ja außer mir kein Menſch.
Jndeſſen da jetzt mir Gnade wiederfuhr, war ich
ohne irgend jemands Fuͤrbitte oder Befehl ſo guͤtig,
auch ihn zu pardoniren. Er war der erſte, der mir
Gluͤck wuͤnſchte und wußte kein Wort davon, daß
er bei den Ausruf des Majors, der das Pardon rief,
eben ſo viel gewann, als ich; ſonſt haͤtte er ver-
muthlich eine heitere Miene gemacht, da die, wel-
che ſein Geſicht jetzt, indem er mir gratulirte, trug,
vielmehr ausſah, als wollte ſie ſagen, da iſt mir
nun die Freude verdorben dich haͤngen zu ſehen.

Jch wurde alſo zuruͤck gefuͤhrt und war wie
neu gebohren, jetzt dachte ich nicht mehr an meine
ausſtudirte Rede, war auch ziemlich ausgeſoͤhnt mit
den Geſetzen und ihren Handhabern, und ſann waͤh-
rend des Ruͤckmarſches, auf das, was ich kuͤnftig
thun und vornehmen wollte. Die Ungewißheit, ob
ich auch zugleich die Freiheit erhalten wuͤrde, ver-
darb mir die Freude, begnadigt zu werden, ein we-
nig, ich konnte nicht ſo recht fuͤglich darauf hoffen,
weil ich wieder auf die Hauptwache gebracht wur-
de; doch nach weniger, als einer Stunde, kam Be-
fehl, daß man mich zum Commendanten fuͤhren ſollte.

Als ich bei dieſem ins Zimmer trat, erblickte
ich neben ihm einen Herrn mit großer edler Miene,

der
H h 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0487" n="483"/>
Werth oder Unwerth &#x017F;ich eigentlich nichts be&#x017F;tim-<lb/>
men ließ. Welches Urtheil durch die Art meiner<lb/>
Befreiung be&#x017F;ta&#x0364;rkt wurde.</p><lb/>
        <p>Jedermann bewunderte die ruhige Miene und<lb/>
den muntern Schritt, womit ich dem fu&#x0364;r mich er-<lb/>
richteten Galgen zueilte, auch war ich wirklich &#x017F;o<lb/>
frohes Muthes, als &#x017F;tu&#x0364;nde mir ein großes Glu&#x0364;ck<lb/>
bevor &#x2014; Eben &#x017F;ollte ich dem Herrn Halszu&#x017F;chnu&#x0364;rer<lb/>
u&#x0364;bergeben werden, und eben wollte ich dem Unter-<lb/>
officier, meinem Begleiter, der noch viel Scho&#x0364;nes<lb/>
&#x017F;agte, nach der Kehle fahren, als das tro&#x0364;&#x017F;tliche,<lb/>
liebe, &#x017F;u&#x0364;ße&#x017F;te Wort unter den Wo&#x0364;rtern, Pardon, er-<lb/>
&#x017F;challte. Jch konnte nicht ungewiß &#x017F;ein, daß es mir<lb/>
galt, denn ich war der Einzige in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft,<lb/>
der geha&#x0364;ngt werden &#x017F;ollte; daß ich den Unterofficier<lb/>
erdro&#x017F;&#x017F;eln wollte, wu&#x017F;te ja außer mir kein Men&#x017F;ch.<lb/>
Jnde&#x017F;&#x017F;en da jetzt mir Gnade wiederfuhr, war ich<lb/>
ohne irgend jemands Fu&#x0364;rbitte oder Befehl &#x017F;o gu&#x0364;tig,<lb/>
auch ihn zu pardoniren. Er war der er&#x017F;te, der mir<lb/>
Glu&#x0364;ck wu&#x0364;n&#x017F;chte und wußte kein Wort davon, daß<lb/>
er bei den Ausruf des Majors, der das Pardon rief,<lb/>
eben &#x017F;o viel gewann, als ich; &#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;tte er ver-<lb/>
muthlich eine heitere Miene gemacht, da die, wel-<lb/>
che &#x017F;ein Ge&#x017F;icht jetzt, indem er mir gratulirte, trug,<lb/>
vielmehr aus&#x017F;ah, als wollte &#x017F;ie &#x017F;agen, da i&#x017F;t mir<lb/>
nun die Freude verdorben dich ha&#x0364;ngen zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
        <p>Jch wurde al&#x017F;o zuru&#x0364;ck gefu&#x0364;hrt und war wie<lb/>
neu gebohren, jetzt dachte ich nicht mehr an meine<lb/>
aus&#x017F;tudirte Rede, war auch ziemlich ausge&#x017F;o&#x0364;hnt mit<lb/>
den Ge&#x017F;etzen und ihren Handhabern, und &#x017F;ann wa&#x0364;h-<lb/>
rend des Ru&#x0364;ckmar&#x017F;ches, auf das, was ich ku&#x0364;nftig<lb/>
thun und vornehmen wollte. Die Ungewißheit, ob<lb/>
ich auch zugleich die Freiheit erhalten wu&#x0364;rde, ver-<lb/>
darb mir die Freude, begnadigt zu werden, ein we-<lb/>
nig, ich konnte nicht &#x017F;o recht fu&#x0364;glich darauf hoffen,<lb/>
weil ich wieder auf die Hauptwache gebracht wur-<lb/>
de; doch nach weniger, als einer Stunde, kam Be-<lb/>
fehl, daß man mich zum Commendanten fu&#x0364;hren &#x017F;ollte.</p><lb/>
        <p>Als ich bei die&#x017F;em ins Zimmer trat, erblickte<lb/>
ich neben ihm einen Herrn mit großer edler Miene,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H h 2</fw><fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[483/0487] Werth oder Unwerth ſich eigentlich nichts beſtim- men ließ. Welches Urtheil durch die Art meiner Befreiung beſtaͤrkt wurde. Jedermann bewunderte die ruhige Miene und den muntern Schritt, womit ich dem fuͤr mich er- richteten Galgen zueilte, auch war ich wirklich ſo frohes Muthes, als ſtuͤnde mir ein großes Gluͤck bevor — Eben ſollte ich dem Herrn Halszuſchnuͤrer uͤbergeben werden, und eben wollte ich dem Unter- officier, meinem Begleiter, der noch viel Schoͤnes ſagte, nach der Kehle fahren, als das troͤſtliche, liebe, ſuͤßeſte Wort unter den Woͤrtern, Pardon, er- ſchallte. Jch konnte nicht ungewiß ſein, daß es mir galt, denn ich war der Einzige in der Geſellſchaft, der gehaͤngt werden ſollte; daß ich den Unterofficier erdroſſeln wollte, wuſte ja außer mir kein Menſch. Jndeſſen da jetzt mir Gnade wiederfuhr, war ich ohne irgend jemands Fuͤrbitte oder Befehl ſo guͤtig, auch ihn zu pardoniren. Er war der erſte, der mir Gluͤck wuͤnſchte und wußte kein Wort davon, daß er bei den Ausruf des Majors, der das Pardon rief, eben ſo viel gewann, als ich; ſonſt haͤtte er ver- muthlich eine heitere Miene gemacht, da die, wel- che ſein Geſicht jetzt, indem er mir gratulirte, trug, vielmehr ausſah, als wollte ſie ſagen, da iſt mir nun die Freude verdorben dich haͤngen zu ſehen. Jch wurde alſo zuruͤck gefuͤhrt und war wie neu gebohren, jetzt dachte ich nicht mehr an meine ausſtudirte Rede, war auch ziemlich ausgeſoͤhnt mit den Geſetzen und ihren Handhabern, und ſann waͤh- rend des Ruͤckmarſches, auf das, was ich kuͤnftig thun und vornehmen wollte. Die Ungewißheit, ob ich auch zugleich die Freiheit erhalten wuͤrde, ver- darb mir die Freude, begnadigt zu werden, ein we- nig, ich konnte nicht ſo recht fuͤglich darauf hoffen, weil ich wieder auf die Hauptwache gebracht wur- de; doch nach weniger, als einer Stunde, kam Be- fehl, daß man mich zum Commendanten fuͤhren ſollte. Als ich bei dieſem ins Zimmer trat, erblickte ich neben ihm einen Herrn mit großer edler Miene, der H h 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/487
Zitationshilfe: Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/487>, abgerufen am 22.11.2024.