um die Reise zu ihr anzutreten. Um nicht in die- ser Dummheit fortzufahren, desertirte er also würk- lich, sobald sichs nur thun ließ, und ging gerades Wegs auf die Provinz zu, wo er nach den erhal- tenen Nachrichten seine Schwester zu suchen hatte, dort war es leicht ihr Guth auszufragen, und so kam er denn wohlbehalten bei ihr an.
Meine Mutter war über den Zuspruch eines Menschen, der in abgeschabter Soldaten-Uniform, einem schmutzigen Bündel auf dem Stock tragend, ankam, und sich ohne Umstände als ihren Bruder ankündigte, so erbittert, daß sie ihm die Thüre wies, ohne weiter untersuchen zu wollen, ob er würklich ihr Bruder wäre. Friedrich nahm diese Begegnung übel, und bewies es vor allen Domesti- ken, nicht auf die feinste Art, er sei der, für den er sich ausgäbe; aber ihre gnädige Frau, das hof- färthige Weib, wollte ihn verläugnen, wie sie ihre Mutter verläugnet hätte. Es wäre abscheulich, daß sie sich der Jhrigen schämte, und es durchaus nicht Wort haben wollte, sie sei ein armes Soldaten- mädchen, die bei ihres Mannes, des Gastwirths Schnitzers ersten Frau mit der Mutter eingekehrt, und nur um einen Bissen warmes Essen gebettelt hätte, worauf sich die Wirthinn ihrer erbarmt und sie als Dienstmagd bei sich behalten hätte. Dies
wäre
um die Reiſe zu ihr anzutreten. Um nicht in die- ſer Dummheit fortzufahren, deſertirte er alſo wuͤrk- lich, ſobald ſichs nur thun ließ, und ging gerades Wegs auf die Provinz zu, wo er nach den erhal- tenen Nachrichten ſeine Schweſter zu ſuchen hatte, dort war es leicht ihr Guth auszufragen, und ſo kam er denn wohlbehalten bei ihr an.
Meine Mutter war uͤber den Zuſpruch eines Menſchen, der in abgeſchabter Soldaten-Uniform, einem ſchmutzigen Buͤndel auf dem Stock tragend, ankam, und ſich ohne Umſtaͤnde als ihren Bruder ankuͤndigte, ſo erbittert, daß ſie ihm die Thuͤre wies, ohne weiter unterſuchen zu wollen, ob er wuͤrklich ihr Bruder waͤre. Friedrich nahm dieſe Begegnung uͤbel, und bewies es vor allen Domeſti- ken, nicht auf die feinſte Art, er ſei der, fuͤr den er ſich ausgaͤbe; aber ihre gnaͤdige Frau, das hof- faͤrthige Weib, wollte ihn verlaͤugnen, wie ſie ihre Mutter verlaͤugnet haͤtte. Es waͤre abſcheulich, daß ſie ſich der Jhrigen ſchaͤmte, und es durchaus nicht Wort haben wollte, ſie ſei ein armes Soldaten- maͤdchen, die bei ihres Mannes, des Gaſtwirths Schnitzers erſten Frau mit der Mutter eingekehrt, und nur um einen Biſſen warmes Eſſen gebettelt haͤtte, worauf ſich die Wirthinn ihrer erbarmt und ſie als Dienſtmagd bei ſich behalten haͤtte. Dies
waͤre
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0290"n="286"/>
um die Reiſe zu ihr anzutreten. Um nicht in die-<lb/>ſer Dummheit fortzufahren, deſertirte er alſo wuͤrk-<lb/>
lich, ſobald ſichs nur thun ließ, und ging gerades<lb/>
Wegs auf die Provinz zu, wo er nach den erhal-<lb/>
tenen Nachrichten ſeine Schweſter zu ſuchen hatte,<lb/>
dort war es leicht ihr Guth auszufragen, und ſo<lb/>
kam er denn wohlbehalten bei ihr an.</p><lb/><p>Meine Mutter war uͤber den Zuſpruch eines<lb/>
Menſchen, der in abgeſchabter Soldaten-Uniform,<lb/>
einem ſchmutzigen Buͤndel auf dem Stock tragend,<lb/>
ankam, und ſich ohne Umſtaͤnde als ihren Bruder<lb/>
ankuͤndigte, ſo erbittert, daß ſie ihm die Thuͤre<lb/>
wies, ohne weiter unterſuchen zu wollen, ob er<lb/>
wuͤrklich ihr Bruder waͤre. Friedrich nahm dieſe<lb/>
Begegnung uͤbel, und bewies es vor allen Domeſti-<lb/>
ken, nicht auf die feinſte Art, er ſei der, fuͤr den<lb/>
er ſich ausgaͤbe; aber ihre gnaͤdige Frau, das hof-<lb/>
faͤrthige Weib, wollte ihn verlaͤugnen, wie ſie ihre<lb/>
Mutter verlaͤugnet haͤtte. Es waͤre abſcheulich, daß<lb/>ſie ſich der Jhrigen ſchaͤmte, und es durchaus nicht<lb/>
Wort haben wollte, ſie ſei ein armes Soldaten-<lb/>
maͤdchen, die bei ihres Mannes, des Gaſtwirths<lb/>
Schnitzers erſten Frau mit der Mutter eingekehrt,<lb/>
und nur um einen Biſſen warmes Eſſen gebettelt<lb/>
haͤtte, worauf ſich die Wirthinn ihrer erbarmt und<lb/>ſie als Dienſtmagd bei ſich behalten haͤtte. Dies<lb/><fwplace="bottom"type="catch">waͤre</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[286/0290]
um die Reiſe zu ihr anzutreten. Um nicht in die-
ſer Dummheit fortzufahren, deſertirte er alſo wuͤrk-
lich, ſobald ſichs nur thun ließ, und ging gerades
Wegs auf die Provinz zu, wo er nach den erhal-
tenen Nachrichten ſeine Schweſter zu ſuchen hatte,
dort war es leicht ihr Guth auszufragen, und ſo
kam er denn wohlbehalten bei ihr an.
Meine Mutter war uͤber den Zuſpruch eines
Menſchen, der in abgeſchabter Soldaten-Uniform,
einem ſchmutzigen Buͤndel auf dem Stock tragend,
ankam, und ſich ohne Umſtaͤnde als ihren Bruder
ankuͤndigte, ſo erbittert, daß ſie ihm die Thuͤre
wies, ohne weiter unterſuchen zu wollen, ob er
wuͤrklich ihr Bruder waͤre. Friedrich nahm dieſe
Begegnung uͤbel, und bewies es vor allen Domeſti-
ken, nicht auf die feinſte Art, er ſei der, fuͤr den
er ſich ausgaͤbe; aber ihre gnaͤdige Frau, das hof-
faͤrthige Weib, wollte ihn verlaͤugnen, wie ſie ihre
Mutter verlaͤugnet haͤtte. Es waͤre abſcheulich, daß
ſie ſich der Jhrigen ſchaͤmte, und es durchaus nicht
Wort haben wollte, ſie ſei ein armes Soldaten-
maͤdchen, die bei ihres Mannes, des Gaſtwirths
Schnitzers erſten Frau mit der Mutter eingekehrt,
und nur um einen Biſſen warmes Eſſen gebettelt
haͤtte, worauf ſich die Wirthinn ihrer erbarmt und
ſie als Dienſtmagd bei ſich behalten haͤtte. Dies
waͤre
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Wallenrodt, Johanna Isabella Eleonore von: Fritz, der Mann wie er nicht seyn sollte oder die Folgen einer übeln Erziehung. Bd. 2. Gera, 1800, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wallenrodt_fritz02_1800/290>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.