Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ledig geblieben, um ihrem Bruder als Beispiel vorzuleuchten, und sehr gereizt in ihren Ausdrücken, wenn der bösen Zungen gedacht wurde, welche des Einsamen Zukunft als eine nicht lange mehr einsame verkündigten. Der verheirathete Bruder auf dem Meierhofe am Erlenkamp vermied gern den Geburtstagsgang, um nicht über seine Meinung befragt zu werden; seine kugelrunde Ehefrau aber fand sich mit ihrer Kuchenspende regelmäßig ein und führte, in ihrer äußern Erscheinung wie in ihren ehefreundlichen Aeußerungen, dem Küster ein so überzeugendes Exempel von den Wohlthaten jener ältesten Paradiesesstiftung vor, daß er noch wochenlang nachher in seinem Herzen Gewissensbisse über die in ihm wachgerufenen Gedanken empfand.

Denn theilten sich schon in dem Oertchen die Stimmen sehr zwischen verdammenden und entschuldigenden, wenn von der möglichen Küsterehe die Rede war, so kämpften in ihm selbst noch viel heftigere Widersacher und beunruhigten ihn oft sogar, wenn er an des Pfarrers Stelle in St. Gertrauden Kinderlehre hielt, oder wenn er die Kerzen am Altar anzündete und dabei zufällig zu weit nach den Weiberstühlen hinüber sah, oder wenn er gar bei Hochzeiten fungiren, den Gottespfennig von der Braut einholen und Tags darauf die Gebühren von dem jungen Eheherrn einfordern mußte. Was ihm da das Roßhaar unterm Sitze glühte, wenn die junge Frau ihn zum Ausruhen genöthigt und ihm einen Herzogskuchen vorgeschnitten hatte, der, verlockend wie die Ehe selber,

ledig geblieben, um ihrem Bruder als Beispiel vorzuleuchten, und sehr gereizt in ihren Ausdrücken, wenn der bösen Zungen gedacht wurde, welche des Einsamen Zukunft als eine nicht lange mehr einsame verkündigten. Der verheirathete Bruder auf dem Meierhofe am Erlenkamp vermied gern den Geburtstagsgang, um nicht über seine Meinung befragt zu werden; seine kugelrunde Ehefrau aber fand sich mit ihrer Kuchenspende regelmäßig ein und führte, in ihrer äußern Erscheinung wie in ihren ehefreundlichen Aeußerungen, dem Küster ein so überzeugendes Exempel von den Wohlthaten jener ältesten Paradiesesstiftung vor, daß er noch wochenlang nachher in seinem Herzen Gewissensbisse über die in ihm wachgerufenen Gedanken empfand.

Denn theilten sich schon in dem Oertchen die Stimmen sehr zwischen verdammenden und entschuldigenden, wenn von der möglichen Küsterehe die Rede war, so kämpften in ihm selbst noch viel heftigere Widersacher und beunruhigten ihn oft sogar, wenn er an des Pfarrers Stelle in St. Gertrauden Kinderlehre hielt, oder wenn er die Kerzen am Altar anzündete und dabei zufällig zu weit nach den Weiberstühlen hinüber sah, oder wenn er gar bei Hochzeiten fungiren, den Gottespfennig von der Braut einholen und Tags darauf die Gebühren von dem jungen Eheherrn einfordern mußte. Was ihm da das Roßhaar unterm Sitze glühte, wenn die junge Frau ihn zum Ausruhen genöthigt und ihm einen Herzogskuchen vorgeschnitten hatte, der, verlockend wie die Ehe selber,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0015"/>
ledig geblieben, um ihrem Bruder als Beispiel      vorzuleuchten, und sehr gereizt in ihren Ausdrücken, wenn der bösen Zungen gedacht wurde,      welche des Einsamen Zukunft als eine nicht lange mehr einsame verkündigten. Der verheirathete      Bruder auf dem Meierhofe am Erlenkamp vermied gern den Geburtstagsgang, um nicht über seine      Meinung befragt zu werden; seine kugelrunde Ehefrau aber fand sich mit ihrer Kuchenspende      regelmäßig ein und führte, in ihrer äußern Erscheinung wie in ihren ehefreundlichen      Aeußerungen, dem Küster ein so überzeugendes Exempel von den Wohlthaten jener ältesten      Paradiesesstiftung vor, daß er noch wochenlang nachher in seinem Herzen Gewissensbisse über die      in ihm wachgerufenen Gedanken empfand.</p><lb/>
        <p>Denn theilten sich schon in dem Oertchen die Stimmen sehr zwischen verdammenden und      entschuldigenden, wenn von der möglichen Küsterehe die Rede war, so kämpften in ihm selbst noch      viel heftigere Widersacher und beunruhigten ihn oft sogar, wenn er an des Pfarrers Stelle in      St. Gertrauden Kinderlehre hielt, oder wenn er die Kerzen am Altar anzündete und dabei zufällig      zu weit nach den Weiberstühlen hinüber sah, oder wenn er gar bei Hochzeiten fungiren, den      Gottespfennig von der Braut einholen und Tags darauf die Gebühren von dem jungen Eheherrn      einfordern mußte. Was ihm da das Roßhaar unterm Sitze glühte, wenn die junge Frau ihn zum      Ausruhen genöthigt und ihm einen Herzogskuchen vorgeschnitten hatte, der, verlockend wie die      Ehe selber,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] ledig geblieben, um ihrem Bruder als Beispiel vorzuleuchten, und sehr gereizt in ihren Ausdrücken, wenn der bösen Zungen gedacht wurde, welche des Einsamen Zukunft als eine nicht lange mehr einsame verkündigten. Der verheirathete Bruder auf dem Meierhofe am Erlenkamp vermied gern den Geburtstagsgang, um nicht über seine Meinung befragt zu werden; seine kugelrunde Ehefrau aber fand sich mit ihrer Kuchenspende regelmäßig ein und führte, in ihrer äußern Erscheinung wie in ihren ehefreundlichen Aeußerungen, dem Küster ein so überzeugendes Exempel von den Wohlthaten jener ältesten Paradiesesstiftung vor, daß er noch wochenlang nachher in seinem Herzen Gewissensbisse über die in ihm wachgerufenen Gedanken empfand. Denn theilten sich schon in dem Oertchen die Stimmen sehr zwischen verdammenden und entschuldigenden, wenn von der möglichen Küsterehe die Rede war, so kämpften in ihm selbst noch viel heftigere Widersacher und beunruhigten ihn oft sogar, wenn er an des Pfarrers Stelle in St. Gertrauden Kinderlehre hielt, oder wenn er die Kerzen am Altar anzündete und dabei zufällig zu weit nach den Weiberstühlen hinüber sah, oder wenn er gar bei Hochzeiten fungiren, den Gottespfennig von der Braut einholen und Tags darauf die Gebühren von dem jungen Eheherrn einfordern mußte. Was ihm da das Roßhaar unterm Sitze glühte, wenn die junge Frau ihn zum Ausruhen genöthigt und ihm einen Herzogskuchen vorgeschnitten hatte, der, verlockend wie die Ehe selber,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:58:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:58:19Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/15
Zitationshilfe: Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/15>, abgerufen am 18.12.2024.