Jch bin so empfindlich, so verletzbar. Das macht mich unglücklich unter den Menschen. Wohin ich mich bewege, stoß' ich an, und das schmerzt, und wird nach und nach zu Einer großen, vielleicht un- heilbaren Wunde.
Jch weiß nicht, ist's meine Schuld oder der Menschen. Jeder nimmt mich nur theilweise, nimmt mich nicht ganz: darum bin ich jedem ein anderer und keinem der wahre, der ganze.
Jch würde verzweifeln in dieser Zeit: aber ein unendlich seltsames Etwas fühl' ich quillen aus dem Tief-Jnnersten, aus dem Geiste selbst, aus dem Mittelpunkte meines Wesens, und gründen und bilden aus all' der Fülle eine selige Einheit, schaf- fen und ordnen darinn, und erzeugen ein volles, jugendlichstrebendes Bewußtseyn.
Phaethon an Theodor.
Jch bin ſo empfindlich, ſo verletzbar. Das macht mich ungluͤcklich unter den Menſchen. Wohin ich mich bewege, ſtoß’ ich an, und das ſchmerzt, und wird nach und nach zu Einer großen, vielleicht un- heilbaren Wunde.
Jch weiß nicht, iſt’s meine Schuld oder der Menſchen. Jeder nimmt mich nur theilweiſe, nimmt mich nicht ganz: darum bin ich jedem ein anderer und keinem der wahre, der ganze.
Jch wuͤrde verzweifeln in dieſer Zeit: aber ein unendlich ſeltſames Etwas fuͤhl’ ich quillen aus dem Tief-Jnnerſten, aus dem Geiſte ſelbſt, aus dem Mittelpunkte meines Weſens, und gruͤnden und bilden aus all’ der Fuͤlle eine ſelige Einheit, ſchaf- fen und ordnen darinn, und erzeugen ein volles, jugendlichſtrebendes Bewußtſeyn.
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Phaethon an Theodor.
Jch bin ſo empfindlich, ſo verletzbar. Das macht
mich ungluͤcklich unter den Menſchen. Wohin ich
mich bewege, ſtoß’ ich an, und das ſchmerzt, und
wird nach und nach zu Einer großen, vielleicht un-
heilbaren Wunde.
Jch weiß nicht, iſt’s meine Schuld oder der
Menſchen. Jeder nimmt mich nur theilweiſe,
nimmt mich nicht ganz: darum bin ich jedem ein
anderer und keinem der wahre, der ganze.
Jch wuͤrde verzweifeln in dieſer Zeit: aber ein
unendlich ſeltſames Etwas fuͤhl’ ich quillen aus dem
Tief-Jnnerſten, aus dem Geiſte ſelbſt, aus dem
Mittelpunkte meines Weſens, und gruͤnden und
bilden aus all’ der Fuͤlle eine ſelige Einheit, ſchaf-
fen und ordnen darinn, und erzeugen ein volles,
jugendlichſtrebendes Bewußtſeyn.
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/89>, abgerufen am 16.02.2025.
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