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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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Jch bin angegriffen in dem Tief -- Jnnersten.
Das Heiligste, was ich hatte, das Geliebteste, ist
mir entheiligt und geraubt.

Jetzt erst seh' ich ein, wie gränzenlos ich liebe.
O ich Armer! ...

War das dein Schmerz, Caton, den auf der
Brust du trugest? Und nun ist er weg? So ist es denn
also gewiß, kein Mensch trägt ewig einen Schmerz.

Du Guter, Treuer! wenn du mich liebest, so
weine mit mir. Jch schlage krampfhaft meine Hände
auf die Brust und wende wie verzweifelt meine Augen
umher. Aber das ist kein Trost für mein verwundet
Gemüth! Weine! Weine! mit Thränen will ich aus-
waschen die blutende Wunde. Jch bin ja unglücklich.

Höre. Schon einige Tage ist's, als wäre zwi-
schen mich und Atalanta ein neidischer Dämon getreten.
Es lag schwer auf mir: ich konnte nicht ruhen des
Nachts.

Da wandelt' ich gestern Abend durch den Garten,
von meinem Schmerz gequält. Der Himmel war
umhüllt von nächtlichen Regenwolken, finster, wie
meine Seele.

Jch bin angegriffen in dem Tief — Jnnerſten.
Das Heiligſte, was ich hatte, das Geliebteſte, iſt
mir entheiligt und geraubt.

Jetzt erſt ſeh’ ich ein, wie graͤnzenlos ich liebe.
O ich Armer! …

War das dein Schmerz, Caton, den auf der
Bruſt du trugeſt? Und nun iſt er weg? So iſt es denn
alſo gewiß, kein Menſch traͤgt ewig einen Schmerz.

Du Guter, Treuer! wenn du mich liebeſt, ſo
weine mit mir. Jch ſchlage krampfhaft meine Haͤnde
auf die Bruſt und wende wie verzweifelt meine Augen
umher. Aber das iſt kein Troſt fuͤr mein verwundet
Gemuͤth! Weine! Weine! mit Thraͤnen will ich aus-
waſchen die blutende Wunde. Jch bin ja ungluͤcklich.

Hoͤre. Schon einige Tage iſt’s, als waͤre zwi-
ſchen mich und Atalanta ein neidiſcher Daͤmon getreten.
Es lag ſchwer auf mir: ich konnte nicht ruhen des
Nachts.

Da wandelt’ ich geſtern Abend durch den Garten,
von meinem Schmerz gequaͤlt. Der Himmel war
umhuͤllt von naͤchtlichen Regenwolken, finſter, wie
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[4/0004] Jch bin angegriffen in dem Tief — Jnnerſten. Das Heiligſte, was ich hatte, das Geliebteſte, iſt mir entheiligt und geraubt. Jetzt erſt ſeh’ ich ein, wie graͤnzenlos ich liebe. O ich Armer! … War das dein Schmerz, Caton, den auf der Bruſt du trugeſt? Und nun iſt er weg? So iſt es denn alſo gewiß, kein Menſch traͤgt ewig einen Schmerz. Du Guter, Treuer! wenn du mich liebeſt, ſo weine mit mir. Jch ſchlage krampfhaft meine Haͤnde auf die Bruſt und wende wie verzweifelt meine Augen umher. Aber das iſt kein Troſt fuͤr mein verwundet Gemuͤth! Weine! Weine! mit Thraͤnen will ich aus- waſchen die blutende Wunde. Jch bin ja ungluͤcklich. Hoͤre. Schon einige Tage iſt’s, als waͤre zwi- ſchen mich und Atalanta ein neidiſcher Daͤmon getreten. Es lag ſchwer auf mir: ich konnte nicht ruhen des Nachts. Da wandelt’ ich geſtern Abend durch den Garten, von meinem Schmerz gequaͤlt. Der Himmel war umhuͤllt von naͤchtlichen Regenwolken, finſter, wie meine Seele.

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/4>, abgerufen am 18.04.2024.