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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823.

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Geschöpf, das verloren wäre ohne ihre Liebe, mit
der Milch ihres Busens nähret, so nähret die Gott-
heit sie selbst mit ihrer ewigen, lauteren Fülle.
Jch durfte nicht Mutter werden! Jch sterbe noch so
jung.

Mein Gott wollt' es. Jch habe mich ihm
ganz ergeben. Kennst du diese entzückendste der
Wonnen, dieses gränzenlos selige Gefühl noch? zu
leben, zu seyn in ihm, dem Geiste der Liebe? zu
glühen in ihm wie in einem warmen, allesdurch-
quillenden Lichte! zu schauen in die endlose Tiefe
seines Wesens, wie ein Aug' in den klaren, und
doch unergründbaren Aether ....!

Und ist der Tod denn schrecklich. Jst das Mor-
genroth nicht schön nach der kurzen Nacht? Jst der
Tod nicht die erhabendste Wiedergeburt des unsterb-
lichen Geistes? nicht der Triumph der Seele über
den Körper? O! aus dem Grabe blüht, wie eine
ewig junge Blume, neues glühenderes Leben, voll-
eres schöneres Daseyn. Rosen und Myrten, die
Blumen der Liebe, sind die Sinnbilder des Todes.

Es ist das seligste Hochzeitfest, das Fest der
ewigen und innigen Verbindung mit Gott. Jüng-

Geſchoͤpf, das verloren waͤre ohne ihre Liebe, mit
der Milch ihres Buſens naͤhret, ſo naͤhret die Gott-
heit ſie ſelbſt mit ihrer ewigen, lauteren Fuͤlle.
Jch durfte nicht Mutter werden! Jch ſterbe noch ſo
jung.

Mein Gott wollt’ es. Jch habe mich ihm
ganz ergeben. Kennſt du dieſe entzuͤckendſte der
Wonnen, dieſes graͤnzenlos ſelige Gefuͤhl noch? zu
leben, zu ſeyn in ihm, dem Geiſte der Liebe? zu
gluͤhen in ihm wie in einem warmen, allesdurch-
quillenden Lichte! zu ſchauen in die endloſe Tiefe
ſeines Weſens, wie ein Aug’ in den klaren, und
doch unergruͤndbaren Aether ....!

Und iſt der Tod denn ſchrecklich. Jſt das Mor-
genroth nicht ſchoͤn nach der kurzen Nacht? Jſt der
Tod nicht die erhabendſte Wiedergeburt des unſterb-
lichen Geiſtes? nicht der Triumph der Seele uͤber
den Koͤrper? O! aus dem Grabe bluͤht, wie eine
ewig junge Blume, neues gluͤhenderes Leben, voll-
eres ſchoͤneres Daſeyn. Roſen und Myrten, die
Blumen der Liebe, ſind die Sinnbilder des Todes.

Es iſt das ſeligſte Hochzeitfeſt, das Feſt der
ewigen und innigen Verbindung mit Gott. Juͤng-

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[137/0137] Geſchoͤpf, das verloren waͤre ohne ihre Liebe, mit der Milch ihres Buſens naͤhret, ſo naͤhret die Gott- heit ſie ſelbſt mit ihrer ewigen, lauteren Fuͤlle. Jch durfte nicht Mutter werden! Jch ſterbe noch ſo jung. Mein Gott wollt’ es. Jch habe mich ihm ganz ergeben. Kennſt du dieſe entzuͤckendſte der Wonnen, dieſes graͤnzenlos ſelige Gefuͤhl noch? zu leben, zu ſeyn in ihm, dem Geiſte der Liebe? zu gluͤhen in ihm wie in einem warmen, allesdurch- quillenden Lichte! zu ſchauen in die endloſe Tiefe ſeines Weſens, wie ein Aug’ in den klaren, und doch unergruͤndbaren Aether ....! Und iſt der Tod denn ſchrecklich. Jſt das Mor- genroth nicht ſchoͤn nach der kurzen Nacht? Jſt der Tod nicht die erhabendſte Wiedergeburt des unſterb- lichen Geiſtes? nicht der Triumph der Seele uͤber den Koͤrper? O! aus dem Grabe bluͤht, wie eine ewig junge Blume, neues gluͤhenderes Leben, voll- eres ſchoͤneres Daſeyn. Roſen und Myrten, die Blumen der Liebe, ſind die Sinnbilder des Todes. Es iſt das ſeligſte Hochzeitfeſt, das Feſt der ewigen und innigen Verbindung mit Gott. Juͤng-

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 2. Stuttgart, 1823, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton02_1823/137>, abgerufen am 27.04.2024.