blühen. Wir fühlen nur halb des Lebens Kraft und Schöne: denn seine andere Hälfte, der Körper, ist für uns verloren. Wir staunen an die Werke des Alterthums, wie unglaubliche Riesenschöpfungen, aber die Quelle, woraus der Geist der Alten floß, bemerken wir nicht.
Der Geist des göttlichen Pindaros ruht, wie eine unermeßliche Eiche, über den griechischen Kämpf- ern, in deren Schatten sie den Schweiß sich trock- nen von der freyen. Heldenstirne. Jn seinen feuer- trunk'nen Gesängen liegt das Geheimniß griechischer Erziehung. Kein Grieche spricht den Geist seines Volkes mehr aus in seiner Kraft und Fülle, wie er. Alle Strahlen griechischer Vollkommenheiten sind in ihm gesammelt, und wie zu Einer großen Sonne geworden.
Meine seligsten Stunden bracht' ich im Anti- kensaale zu. Schon als ein kleiner Knabe, wo mich die Zukunft, wie ein zarter Geist umsäuselt, wo ich mit kindlich heiterm Sinn nur nach dem Näch- sten griff, ach! wo mich all' das, was ich jetzt er- kannt, wie eine dunkle Ahnung noch umspielte, vergaß ich lächelnd Gegenwart und Zukunft, und kniete staunend in dem heil'gen Raume. Da hieng
bluͤhen. Wir fuͤhlen nur halb des Lebens Kraft und Schoͤne: denn ſeine andere Haͤlfte, der Koͤrper, iſt fuͤr uns verloren. Wir ſtaunen an die Werke des Alterthums, wie unglaubliche Rieſenſchoͤpfungen, aber die Quelle, woraus der Geiſt der Alten floß, bemerken wir nicht.
Der Geiſt des goͤttlichen Pindaros ruht, wie eine unermeßliche Eiche, uͤber den griechiſchen Kaͤmpf- ern, in deren Schatten ſie den Schweiß ſich trock- nen von der freyen. Heldenſtirne. Jn ſeinen feuer- trunk’nen Geſaͤngen liegt das Geheimniß griechiſcher Erziehung. Kein Grieche ſpricht den Geiſt ſeines Volkes mehr aus in ſeiner Kraft und Fuͤlle, wie er. Alle Strahlen griechiſcher Vollkommenheiten ſind in ihm geſammelt, und wie zu Einer großen Sonne geworden.
Meine ſeligſten Stunden bracht’ ich im Anti- kenſaale zu. Schon als ein kleiner Knabe, wo mich die Zukunft, wie ein zarter Geiſt umſaͤuſelt, wo ich mit kindlich heiterm Sinn nur nach dem Naͤch- ſten griff, ach! wo mich all’ das, was ich jetzt er- kannt, wie eine dunkle Ahnung noch umſpielte, vergaß ich laͤchelnd Gegenwart und Zukunft, und kniete ſtaunend in dem heil’gen Raume. Da hieng
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bluͤhen. Wir fuͤhlen nur halb des Lebens Kraft
und Schoͤne: denn ſeine andere Haͤlfte, der Koͤrper, iſt
fuͤr uns verloren. Wir ſtaunen an die Werke des
Alterthums, wie unglaubliche Rieſenſchoͤpfungen,
aber die Quelle, woraus der Geiſt der Alten floß,
bemerken wir nicht.
Der Geiſt des goͤttlichen Pindaros ruht, wie
eine unermeßliche Eiche, uͤber den griechiſchen Kaͤmpf-
ern, in deren Schatten ſie den Schweiß ſich trock-
nen von der freyen. Heldenſtirne. Jn ſeinen feuer-
trunk’nen Geſaͤngen liegt das Geheimniß griechiſcher
Erziehung. Kein Grieche ſpricht den Geiſt ſeines
Volkes mehr aus in ſeiner Kraft und Fuͤlle, wie er.
Alle Strahlen griechiſcher Vollkommenheiten ſind
in ihm geſammelt, und wie zu Einer großen Sonne
geworden.
Meine ſeligſten Stunden bracht’ ich im Anti-
kenſaale zu. Schon als ein kleiner Knabe, wo mich
die Zukunft, wie ein zarter Geiſt umſaͤuſelt, wo
ich mit kindlich heiterm Sinn nur nach dem Naͤch-
ſten griff, ach! wo mich all’ das, was ich jetzt er-
kannt, wie eine dunkle Ahnung noch umſpielte,
vergaß ich laͤchelnd Gegenwart und Zukunft, und
kniete ſtaunend in dem heil’gen Raume. Da hieng
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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/34>, abgerufen am 17.07.2024.
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