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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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ßigung und Ruhe sich in ihm zusammen. Sein
Lied ist wie das spiegelhelle unbewegte Meer, wann
es die Farbe des Himmels trägt. Er ist ein ge-
waltiges Gebirge, das, tiefgewurzelt in die gute
mütterliche Erde, das weiße Haupt in Aetherfernen
streckt.

Es rauscht' im Gebüsche und Caton trat her-
ein. Er lächelte und setzte sich auf einen Säulen-
stumpf. Die Sonne war hinunter. Es ward schon
dunkel um uns. Caton sagte: Griechenlands
Sänger sind die größten. Wie Kinder spielten un-
ter Blumen in dem schönen Lande die Söhne des
Himmels. Aber größer sind Griechenlands Helden.
Wo ist eine Brust wie die freyheitstrunkene Seele
des Leonidas, wo ist die ernste Thatkraft eines
Epaminondas, wo sind uns're Timoleone? Jch
verstand nicht, was er wollte damit sagen. Wir
giengen ins Schloß.

Aber der Geist Homers wich nicht von meiner
Seele. Jch kehrte spät zurück zu den drey Säulen:
Einsam saß ich an ihrem Fuß unter dem Bilde
Homers. Seine Helden stiegen in meinem Geist
empor aus den Trümmern um mich her und
schwebten an mir vorüber in langen dunkeln Ge-

ßigung und Ruhe ſich in ihm zuſammen. Sein
Lied iſt wie das ſpiegelhelle unbewegte Meer, wann
es die Farbe des Himmels traͤgt. Er iſt ein ge-
waltiges Gebirge, das, tiefgewurzelt in die gute
muͤtterliche Erde, das weiße Haupt in Aetherfernen
ſtreckt.

Es rauſcht’ im Gebuͤſche und Caton trat her-
ein. Er laͤchelte und ſetzte ſich auf einen Saͤulen-
ſtumpf. Die Sonne war hinunter. Es ward ſchon
dunkel um uns. Caton ſagte: Griechenlands
Saͤnger ſind die groͤßten. Wie Kinder ſpielten un-
ter Blumen in dem ſchoͤnen Lande die Soͤhne des
Himmels. Aber groͤßer ſind Griechenlands Helden.
Wo iſt eine Bruſt wie die freyheitstrunkene Seele
des Leonidas, wo iſt die ernſte Thatkraft eines
Epaminondas, wo ſind unſ’re Timoleone? Jch
verſtand nicht, was er wollte damit ſagen. Wir
giengen ins Schloß.

Aber der Geiſt Homers wich nicht von meiner
Seele. Jch kehrte ſpaͤt zuruͤck zu den drey Saͤulen:
Einſam ſaß ich an ihrem Fuß unter dem Bilde
Homers. Seine Helden ſtiegen in meinem Geiſt
empor aus den Truͤmmern um mich her und
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[143/0153] ßigung und Ruhe ſich in ihm zuſammen. Sein Lied iſt wie das ſpiegelhelle unbewegte Meer, wann es die Farbe des Himmels traͤgt. Er iſt ein ge- waltiges Gebirge, das, tiefgewurzelt in die gute muͤtterliche Erde, das weiße Haupt in Aetherfernen ſtreckt. Es rauſcht’ im Gebuͤſche und Caton trat her- ein. Er laͤchelte und ſetzte ſich auf einen Saͤulen- ſtumpf. Die Sonne war hinunter. Es ward ſchon dunkel um uns. Caton ſagte: Griechenlands Saͤnger ſind die groͤßten. Wie Kinder ſpielten un- ter Blumen in dem ſchoͤnen Lande die Soͤhne des Himmels. Aber groͤßer ſind Griechenlands Helden. Wo iſt eine Bruſt wie die freyheitstrunkene Seele des Leonidas, wo iſt die ernſte Thatkraft eines Epaminondas, wo ſind unſ’re Timoleone? Jch verſtand nicht, was er wollte damit ſagen. Wir giengen ins Schloß. Aber der Geiſt Homers wich nicht von meiner Seele. Jch kehrte ſpaͤt zuruͤck zu den drey Saͤulen: Einſam ſaß ich an ihrem Fuß unter dem Bilde Homers. Seine Helden ſtiegen in meinem Geiſt empor aus den Truͤmmern um mich her und ſchwebten an mir voruͤber in langen dunkeln Ge-

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/153>, abgerufen am 03.05.2024.