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Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823.

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O Lieber! wie sie da stand und auf den Boden
blickte und dann wieder auf zum Himmel, die
Schöne, Göttliche, wie sie endlich niederkniete auf den
Teppich, und das Gewand in langen reichen Fal-
ten über das gebog'ne Knie hinunterwallte, wie sie
die schöne zitternde Hand auf den Busen legte und
mich anblickte, so lieblich schmerzlich, als wollte sie
sagen, warum forderst du das von mir? O wandle
von Stern zu Stern, und du findest doch nichts,
das erhab'ner wäre.

Jch verlor mich besinnungslos in die Schöne
des knieenden Mädchens, und wenn sie dann die
Augen aufhob und sah meine Verwirrung, und
daß ich sie nur anblicke, ohne zu arbeiten, da flog
ein glühend Rosenlicht über ihre Wangen, und ihr
Auge sah so wunderbar trunken empor, als fühlte
sie selbst, wie schön sie sey.

Eine unendlich süße Begeisterung schwebte zu-
letzt, wie befruchtender Thau, in meine Seele,
und ich arbeitete trunken, wie in einem Schwindel,
fort und fort. -- -- -- Und hundertmal fragt'
ich: ist Atalanta müde? Dann antwortete sie lä-
chelnd: nein!

O Lieber! wie ſie da ſtand und auf den Boden
blickte und dann wieder auf zum Himmel, die
Schoͤne, Goͤttliche, wie ſie endlich niederkniete auf den
Teppich, und das Gewand in langen reichen Fal-
ten uͤber das gebog’ne Knie hinunterwallte, wie ſie
die ſchoͤne zitternde Hand auf den Buſen legte und
mich anblickte, ſo lieblich ſchmerzlich, als wollte ſie
ſagen, warum forderſt du das von mir? O wandle
von Stern zu Stern, und du findeſt doch nichts,
das erhab’ner waͤre.

Jch verlor mich beſinnungslos in die Schoͤne
des knieenden Maͤdchens, und wenn ſie dann die
Augen aufhob und ſah meine Verwirrung, und
daß ich ſie nur anblicke, ohne zu arbeiten, da flog
ein gluͤhend Roſenlicht uͤber ihre Wangen, und ihr
Auge ſah ſo wunderbar trunken empor, als fuͤhlte
ſie ſelbſt, wie ſchoͤn ſie ſey.

Eine unendlich ſuͤße Begeiſterung ſchwebte zu-
letzt, wie befruchtender Thau, in meine Seele,
und ich arbeitete trunken, wie in einem Schwindel,
fort und fort. — — — Und hundertmal fragt’
ich: iſt Atalanta muͤde? Dann antwortete ſie laͤ-
chelnd: nein!

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[104/0114] O Lieber! wie ſie da ſtand und auf den Boden blickte und dann wieder auf zum Himmel, die Schoͤne, Goͤttliche, wie ſie endlich niederkniete auf den Teppich, und das Gewand in langen reichen Fal- ten uͤber das gebog’ne Knie hinunterwallte, wie ſie die ſchoͤne zitternde Hand auf den Buſen legte und mich anblickte, ſo lieblich ſchmerzlich, als wollte ſie ſagen, warum forderſt du das von mir? O wandle von Stern zu Stern, und du findeſt doch nichts, das erhab’ner waͤre. Jch verlor mich beſinnungslos in die Schoͤne des knieenden Maͤdchens, und wenn ſie dann die Augen aufhob und ſah meine Verwirrung, und daß ich ſie nur anblicke, ohne zu arbeiten, da flog ein gluͤhend Roſenlicht uͤber ihre Wangen, und ihr Auge ſah ſo wunderbar trunken empor, als fuͤhlte ſie ſelbſt, wie ſchoͤn ſie ſey. Eine unendlich ſuͤße Begeiſterung ſchwebte zu- letzt, wie befruchtender Thau, in meine Seele, und ich arbeitete trunken, wie in einem Schwindel, fort und fort. — — — Und hundertmal fragt’ ich: iſt Atalanta muͤde? Dann antwortete ſie laͤ- chelnd: nein!

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Zitationshilfe: Waiblinger, Wilhelm: Phaëthon. Bd. 1. Stuttgart, 1823, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waiblinger_phaeton01_1823/114>, abgerufen am 08.05.2024.